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Der Kampf gegen rechts

Von Univ.-Prof. Paul Gottfried

Der Fall Jost Bauch

Lesenswert ist eine Neuerscheinung des Ares Verlags mit dem Titel „Der Niedergang“, ein zupackender, ideenreicher Sammelband, den der Diplomsoziologe und Publizist Jost Bauch jüngst vorgelegt hat. Wegen einer Cause célèbre geriet der Verfasser im letzten Jahr schlagartig ins Licht der Aufmerksamkeit. Die Universität Konstanz versuchte, ihm den Vertrag zu kündigen, nachdem sich ein Häuflein linksaktivistischer Studenten über seine Lehrinhalte empört hatte. Nach seinen beiläufig vorgebrachten Anspielungen auf Carl Schmitts Begriff des Verhältnisses von Freund und Feind sowie auf Samuel Huntingtons Darstellung über den Zusammenprall der widerstreitenden Kulturen mußte der Redner mit der Zusammenrottung sogenannter Antifaschisten rechnen.

Den zurückhaltenden Bauch verfolgte man mit Steckbriefen; und die empörten Radikalen setzten der Univerwaltung mit der unbedingten Forderung zu, den außerplanmäßigen Professor zu entfernen. Erwartungsgemäß fügte sich der Rektor. Der Verabschiedete zeigte sich später erleichtert, daß er dem Unruheherd unversehrt entkam. Rechtlich ließ sich seine Suspendierung letztlich allerdings doch nicht durchsetzen.
Daß seine anscheinend anstößigen Verweise für viel Erregung sorgten, verwundert Bauch keineswegs. Aus seinen Schriften gewinnt man den Eindruck, daß er das Dogma bezweifelt, wonach das heutige Deutschland die „freieste Gesellschaft im Verlauf der deutschen Geschichte“ darstellen soll. Ganz im Gegensatz dazu problematisiert er, warum die heutigen Deutschen selbsternannten Meinungsrichtern fast klaglos erliegen. Sei es der Druck von seiten des Staates oder von anderer Seite, immer knickt die Bevölkerung ein und vollzieht die vorgeschriebenen Rituale. Was Bauch in Konstanz erlebt hat, bestätigt ihn nur in seiner grundsätzlichen Auffassung. Im Zuge der Abwehr einer bösen Vergangenheit lassen die meisten Deutschen alles über sich ergehen – vorausgesetzt natürlich, daß die etablierten Drahtzieher den Marschbefehl geben. Das deutsche Publikum wehrt sich ebensowenig, wenn die Innenstädte von Muslimen besetzt werden, wie wenn die deutsche Geschichte mit steter Berufung auf die NS-Verbrechen durchgehend schlecht geredet wird – und selbst dann protestiert es nicht, wenn seine Regierung die Souveränität eines in diesem Punkt vermutlich einigen Volkes ohne Volksentscheid verschenkt.
Obwohl sich in Umfragen die meisten Deutschen für Thilo Sarrazin und seine Kritik an der deutschen Einwanderungspolitik ausgesprochen haben, schwenkte dasselbe Volk laut politischer Meinungsforschung mittlerweile nach links zu den grünen Wächtern der politischen Korrektheit und fortschreitenden Multikultur. Eingeschliffene Gewohnheiten, die staatspolitisch und medial anerzogen wurden, sind schwer abzulegen.
Es ist weiter zu beachten, daß Bauch in seinen Schriften den schwarzen Peter nicht an die gewöhnliche Adresse schickt. Er richtet seine Geschütze weder auf die angeblichen Reste der „preußischen Kasernenkultur“ noch auf eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Nicht ein einziges Mal erwähnt er die sprichwörtlich in Deutschland entstandene „autoritäre Persönlichkeit“. Bauch erkennt andere, weitaus aktuellere Gründe für den Kotau seiner Landsleute vor ihren Machthabern. Sie verhalten sich ganz im Sinne der Massendemokratie und entsprechen der Erwartungshaltung anderer Leute. Bauch lehnt sich an die Theorie von der „Schweigespirale“ an, die von einer Pionierin der Demoskopie in Deutschland, nämlich Elisabeth Noelle-Neumann, entwickelt wurde. Was Noelle-Neumann meint, ist die Abhängigkeit des einzelnen von einer selbstkonstruierten oder sogar eingebildeten öffentlichen Meinung. Immer mehr abgeschottet von jenen vernetzten Beziehungen, die in traditionsgebundenen Gemeinschaften walten, klammert sich das Individuum an vage Hinweise, um sich einen Begriff von dem zu machen, was ihm abverlangt wird. Um einen Bezugspunkt zu haben, nimmt es auf die anderen und auf die Einrichtungen, die die anderen mitprägen, Rücksicht. Es hütet sich dabei, zu sehr aufzufallen, damit es nicht Anstoß erregt oder sich zu stark von seinen Mitbürgern abhebt. Bauch beansprucht keine vollkommene Originalität und macht die Arbeiten Noelle-Neumanns für seine Herangehensweise fruchtbar. Ihm geht es darum, die Situation im eigenen Land aufzuklären; dafür wendet er auch bereits gewonnene Erkenntnisse an.
Die Situation im Land nimmt er aus immer wieder wechselnden Perspektiven in den Blick. Vorzeichen seiner Betrachtungen ist der „Niedergang“, der sich in vielen Manifestationen zeigt; so zum Beispiel in einer schwindenden Geburtenrate, im verbissenen Kampf gegen die Restbestände von Bürgerlichkeit, gegen überlieferte religiöse Haltungen oder in der Verachtung so manches Deutschen im Hinblick auf den verglimmenden Nationalstaat.
Zwei weitere Schwerpunkte der Bauchschen Situationsanalyse sind die von seinem Doktorvater in Bielefeld, Niklas Luhmann (1927–1998), dargelegten Theorien der sozialen Interaktion und seine eigenen Analysen immer wiederkehrender gesundheitspolitischer  Kampagnen. Bauch spricht in diesem Zusammenhang von einer auf „Saluto-Correctness“ gerichteten Regierungsweise, die – neben Political correctness und „Sozialverträglichkeit“ –, die Gesinnungskonformität verbürgen sollen. Damit wird ein weiteres Anliegen verfolgt, nämlich Gesundheit durch einen immer weiter um sich greifenden Sozialstaat sicherzustellen.
Bauch verdeutlicht, auch mit Bezug auf Luhmann, daß das soziale Zusammenleben aus einer Vielfalt von Mitteilungsinhalten und Wegen ihrer Vermittlung besteht, die sich vielfach verschränken. Ohne einen offengehaltenen Zufluß besteht weder für das Individuum noch für Gruppen die Möglichkeit, eine Lebenswelt aufzubauen oder zu bewahren. In der Spätmoderne haben sich zwei Faktoren entwickelt, die die Tradierung des bislang „vererbten“ Allgemeinwissens und sozialer Verhaltensweisen versperrt oder verringert haben. Im Hinblick auf Allgemeinwissen und soziale Verhaltensweisen spielen heute zum einen eine sich ständig ausdehnende Verwaltung und das Bildungswesen als Mittel, Grundhaltungen aufzubauen und soziale Ausprägungen zu stiften, eine zentrale Rolle. Bei den Deutschen dienen der „demokratische“ Beamtenstaat und der Lehrerstand überdies als Stützpunkte für die Formung eines Sonderbewußtseins, das von einer unabänderlichen Schuld ausgeht. Die gleichförmigen Medien hauen in die gleiche Kerbe. Privilegierte Sinnstifter tragen dazu bei, alles, was zeitlich vor der Umerziehung liegt, systematisch zu entwerten.
Zum anderen haben wir es inzwischen mit einer Gesellschaft zu tun, die ständig in Bewegung ist, und der zunehmend ein sicherer Kitt fehlt. Ein im steten Wandel begriffenes Milieu ist für generationenübergreifende und sozial bindende Beziehungen nicht besonders zuträglich; zudem öffnet der Abbau tradierter Strukturen den staatlichen Erziehungsansprüchen und medialen Tugendwächtern Tür und Tor.
Bauch lehnt ohne Zögern jenen Begriff von „bürgerlicher Gesellschaft“ ab, der von  Jürgen Habermas und seinen Schülern vertreten wird. Er hält es für einen bloßen Trick von Habermas, wenn er dem Publikum eine maßgeschneiderte Gesellschaftsform, die von allem gemeinschaftlichen Zusammenhang abgekoppelt ist, als Raum „spontaner Meinungs- und Willensbildung“ präsentiert. Der Nachfolger der Frankfurter Schule will einen „herrschaftsfreien Diskurs“ führen mit Teilnehmern, die immer schon entsprechend dressiert sind.
Im Klartext führt der Plan zu einem abgestumpften Zusammenleben von Marionetten, deren zwischenmenschliche Kontakte staatstherapeutisch beaufsichtigt sind. Bauch entlarvt das als Taschenspiel, um das „kommunikative Handeln“ in eine staatsideologische Kunstgesellschaft oder in einen Bund der Verblödeten zu verwandeln.
Da sich Bauch mit dem Thema Gesundheitspolitik tagtäglich beschäftigt, ist es nicht verwunderlich, daß er dieses Thema, wie oben bereits angedeutet, in seinem Sammelband aufgreift. Dabei gelangt er zu dem Schluß, daß Sozialpolitik und Gesundheitsfragen in einem zeitgemäßen Wohlfahrtsstaat soweit ineinandergreifen, daß sie nicht mehr zu trennen sind. Mit staatlich geregelten Krankenkassen und dem Anspruch der Regierenden, das Wohlergehen des Bürgers sicherzustellen, bekommt der Staat das Recht, „Gesundheit“ begrifflich zu bestimmen. Unter „salus“ versteht man immer das, was die „Wächterklasse“ so definiert. Noch komplizierter wird es bei psychischen Faktoren. So steckt hinter der „psychischen Gesundheit“ immer ein Werturteil, das ideologisch gefärbt ist.
Und das ist um so mehr der Fall, wenn es um die deutsche Regierung geht. Hier handelt sich nämlich um eine zeithistorisch bedingte Staatsform, die mit einer ideologischen Sendung ins Leben gerufen wurde. Von Anfang an war das politische und kulturelle Leben der Bundesrepublik davon geprägt, „nichtdemokratische Restbestände“ zu bekämpfen. Bis auf den heutigen Tag zeigt sich die „konservative“ Union im Gleichschritt mit den linken Parteien bereit, riesige Geldsummen aufzubringen, um bundesweit jede Spur von „Rechtsextremismus“ auszutreiben.
Die erwünschten Meinungen werden so massiv eingefordert, daß jedem bange wird, der ein abweichendes Denken wagen möchte. Wer dabei Pech hat, dem wird das gleiche Schicksal ereilen wie Professor Bauch, nämlich durch den Ansturm heulender Eiferer gehetzt und durch den Entzug seiner Lehrerlaubnis beruflich an den Rand gedrängt zu werden. Wer hinreichend umerzogen ist, wird finden, daß es dem Bestraften recht geschah, auch wenn der Übeltäter keine Ahnung hat, was er verbrochen haben soll. An einen Fehltritt reihen sich weitere, so lautet das moralistische Credo, bis die allein seligmachende Demokratie wiederum stürzt. So lehren es die Machthaber, und in einer freiheitlichen Demokratie darf man demnach nichts durchgehen lassen, was sich jenseits der Sperrzone befindet.

Buchtipp

Jost Bauch
DER NIEDERGANG
Deutschland in der globalisierten Welt
216 Seiten, Hardcover

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