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Für Israel, die USA und die Aufklärung

Von Werner Olles

Die „Antideutschen“ und die Tragödie der Linken

In einen ausgewachsenen Familienkrach sollte man sich – immer das gute alte deutsche Sprichwort „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ vor Augen – aus Prinzip tunlichst nicht einmischen. Von außen darf man die Sache jedoch, je nach Laune, amüsiert, betroffen oder verständnislos zur Kenntnis nehmen und im Zweifelsfall natürlich auch kommentieren. Vor allem, wenn es sich bei den Kontrahenten um verschiedene Fraktionen der radikalen bzw. extremen Linken handelt, die zur Zeit offenbar nicht davor zurückschrecken, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Zwar ist dieser Tatbestand in der Geschichte der radikalen Linken nicht unbedingt neu, aber so viel Ärger über- und Wut und Haß aufeinander war schon lange nicht mehr.

Aktuell geht es dabei um eine Demonstration der sogenannten „Antideutschen“ am 10. Juni durch die Berliner Bezirke Kreuzberg und Neukölln; jene Stadtteile also, in denen türkische Sozialhilfeempfänger, arabische Kleinkriminelle und ein paar wenige Restbestände deutscher Arbeitsloser laut rot-grünem Drehbuch das in die Praxis umsetzen sollen, was die Linke euphemistisch – und augenscheinlich ein wenig voreilig – seit Jahren unverdrossen als „multikulturelle Gesellschaft“ feiert. Als geschworenen Israel- und USA-Fans ist den „Antideutschen“ derlei harmoniesüchtiger Hokuspokus jedoch inzwischen aus gutem Grund weitgehend suspekt. So hieß es dann auch in dem Demonstrationsaufruf, diese Bezirke seien „antisemitische Wehrdörfer“, deren „multikulturelle Alltagskultur empfindlich gestört und bekämpft werden müsse“. Unter anderem forderten die rund 200 Demonstranten unter dem Motto „Gegen den antizionistischen Konsens! Schluß mit der antisemitischen Gewalt in Kreuzberg und Neukölln!“ die Schließung von Sozialprojekten für muslimische Jugendliche und skandierten Parolen wie „Panzer in Ramallah – das ist wahre Antifa!“.
Aufgerufen zu der Demonstration, bei der es nach Presseberichten auch zu körperlichen Übergriffen gegen Ausländer und Kinder kam, hatten Gruppen wie die AG „No Tears for Krauts“/Halle, Gruppe Morgenthau/Frankfurt, Gruppe Offene Rechnungen/Berlin, Initiative Verteidigt Israel/Kiel, IsF Freiburg, Prozionistische Linke Frankfurt, Redaktion T 34 und die Redaktion der „Bahamas“, dem Zentralorgan der Hardcore-Anti
deutschen. Eine illustre Gesellschaft, wie man sieht, die da auf hohem Aggressionslevel den „vorzivilisatorischen Schrecken“ des „Islamo-Faschismus“ und seiner hiesigen Genossen Paroli bietet und dabei – das ist bei deutscher Wertarbeit nun einmal so üblich – allerlei aufmischt und durcheinanderwirbelt, was doch eigentlich auf Gedeih und Verderb zusammengehört. Dachte man jedenfalls bis jetzt.
Begonnen hatte das alles Ende der achtziger Jahre in den Wirren der deutschen Wiedervereinigung, als eine „antinationale Linke“ mit der Parole „Nie wieder Deutschland!“ nichts weniger als ihren eigenen bejammernswerten Zustand dokumentierte. Innerhalb des linksextremistischen Spektrums etablierte sich in den folgenden Jahren mit den „Antideutschen“ eine Strömung, die anläßlich des Golfkriegs 1991 nicht nur mit den traditionell antiimperialistischen, antizionistischen und antiamerikanischen Grundüberzeugungen der radikalen Linken brach, sondern die Solidarität mit dem Staat Israel in den Mittelpunkt ihrer Ideologie stellt. Da die USA nach dem „antideutschen“ Lehrbuch als einzige „Schutzmacht“ Israels gegen eine Welt von Feinden – zu der vor allem auch Deutschland gehört – zu betrachten sind, wurde dem offenen oder latenten Antiamerikanismus der Kampf angesagt. Diese „uneingeschränkte Solidarität“ galt fortan allen Maßnahmen bis hin zu Kriegen, die im Namen der „Zivilisation“ gegen sämtliche Feinde Israels und der USA geführt wurden und werden. Der Beginn der palästinensischen Al-Aksa-Intifada im Jahre 2000, als erstmals in größerem Ausmaß durch islamistische Terroristen Selbstmordanschläge in Israel durchgeführt wurden, brachte den bis dahin zahlenmäßig eher schwachen und organisatorisch diffusen „Antideutschen“ einigen Zulauf aus diversen „Antifa“-Gruppen, der dann nach dem 11.9. noch einmal beträchtlich verstärkt wurde.

Der Irak-Krieg als antifaschistisches Waffenlager

Das Ende des Irak-Kriegs 2003 feierten die „Antideutschen“ folgerichtig als „ersten antifaschistischen Waffengang im neuen Jahrhundert“. Die Friedensbewegung wurde als „Friedensmob“ bezeichnet und gleichzeitig den Globalisierungsgegnern „antiamerikanische Verschwörungstheorien“ zugunsten der imperialistischen Absichten des europäischen und vor allem des deutschen Kapitalismus vorgeworfen. Während die gemäßigten, orthodox-kommunistischen und autonomen Strömungen der Linken so lange vornehm geschwiegen hatten, wie sich der Amoklauf der „Antideutschen“ hierzulande allein gegen Bürger richtete, die in Kundgebungen der Vertreibung der Deutschen nach 1945 und der Zerstörung unserer Städte durch die alliierten Bomberkommandos im Zweiten Weltkrieg gedachten, lief die Rechtfertigung von Kriegen gegen unbotmäßige Dritte-Welt-Staaten wie den Irak so offensichtlich linksradikalen Mehrheitspositionen zuwider, daß inzwischen selbst innerhalb der „Antideutschen“ deutliche Brüche und Widersprüche sichtbar geworden sind.
Fein säuberlich differenzierte man jetzt zwischen „Softcore-“ und „Hardcore-Antideutschen“, wobei Publikationen wie „Konkret“, „Jungle World“, „Sinistra“, „iz3W“ und „Phase 2“ zur ersten Gruppe zählen, während „Bahamas“ die „antideutsche“ Ideologie auf den Punkt brachte und bislang unangefochten die härteste bellizistische Position vertritt. Immerhin weicht man Grundsatzfragen zu diesem offenen Spaltungsprozeß, der sich nach dem 11. September 2001 und im Kontext des Irakkrieges innerhalb der radikalen Linken vollzogen hat, inzwischen nicht mehr aus. Harte, jedoch gleichwohl seltsam verschwommene Kritik kommt nicht nur aus dem orthodox-marxistischen Lager und von autonomen Gruppen, sondern vor allem aus der ehemaligen „Krisis“-Gruppe um Robert Kurz. Hier sieht man zwar sehr genau, daß der imperiale Krieg „kein Gegenstand differenzierender Ausgewogenheit sein kann“, und „Kriegsgegnerschaft und Bellizismus nicht nur in der aktuellen Erscheinung einen Gegensatz bilden, der viel tiefer geht“ (Robert Kurz), „die Quellen der antideutschen Ideologie in bürgerlichen Diskursen … aufzudecken“ (Kurz) dürfte aber selbst gestandenen Nürnberger Philosophen schwerfallen.
Tatsächlich geht es nämlich nicht nur um die von den „Antideutschen“ meisterhaft beherrschte hohe Kunst der Provokation mit all ihren diversen Variationsmöglichkeiten. Wenn die „Junge Welt“ beispielsweise dem „Konkret“-Herausgeber Hermann L. Gremliza vorwirft, dieser vertrete eine „Herrenrassemeinung“ und „Bahamas“ betreibe „Volksverhetzung“, stört dies höchstens die innerlinke Kommunikation ein wenig. Weil die Linke aber nicht weniger verrückt ist, als die Gesellschaft, die sie bekämpft, und die „Antideutschen“ nur der letzte Schrei eines faktisch längst überwunden geglaubten Sektensyndroms in ihrem extremsten Spektrum sind, läuft das Denunziationspotential sämtlicher linker Strömungen inzwischen zur Höchstform auf.

Spielwiese der Geheimdienste

Während die „Bahamas“ zur „Verteidigung der Zivilisation“ aufruft und energisch vor den „Gefahren eines Antikapitalismus“ warnt, „der nur noch den vorzivilisatorischen egalitären Schrecken bereithält“, und den man „bekämpfen muß, wie jede andere faschistische Gefahr auch“, beklagen Franz Schandl und Norbert Trenkle in „Krisis“ den „grassierenden Obskurantismus in der radikalen Linken“ und „das Wiederaufleben kannibalistischer Orgien“. Justus Wertmüller von der „Bahamas“-Redaktion, den Robert Kurz gern als „Wertmullah“ verhohnepiepelt, mag das „Gefasel von Revolution, Kommunismus und Klassenkampf“ dagegen nicht mehr hören und spricht sich wenig revolutionär „für Israel, für eine Politik der auch militärischen Konfrontation mit islamischen Terroristen und Despoten, gegen Old Europe und alle anderen Feinde der USA und Israels!“ aus. Das hört sich in der Tat nicht nur sehr nach „bürgerlicher Vernunft“„ an, sondern riecht nach einem jämmerlichen Moralismus, der nicht davor zurückschreckt, Auschwitz für seine private Geschichtspolitik zu instrumentalisieren und zu mißbrauchen. Das ist nicht nur hemmungslos denunziatorisch und hurra-bellizistisch, die Entsagung jeglicher Kapitalismuskritik führt letztlich auch dazu, daß die Linke, deren Existenzminimum der „Kampf gegen Ausbeutung und Armut“ (Wolfgang Pohrt) sein muß, wenn sie sich auf die „anti
deutsche“ Ideologie einläßt, ihre ohnehin bereits angeknackste Existenzberechtigung ganz verliert. Und daß der Zentralrat der Juden in Deutschland qua seinem offiziellen Organ „Jüdische Allgemeine Zeitung“ dieser Farce der Farce auch noch seinen Segen gibt, rückt manches Gemunkel über dubiose Einflüsse gewisser israelischer Dienste in den Bereich des Vorstellbaren.
Ähnliches gab es schon einmal Mitte der siebziger Jahre, als sogenannte „Marxisten-Leninisten Deutschland“ (MLD), ein Spaltprodukt der stalinistischen KPD/ML-Roter Morgen, zum Entsetzen der restlichen Linken zur Wahl der CSU aufriefen, die DKP zum inneren und die „sozialimperialistische Sowjetunion“ zum äußeren Hauptfeind erklärten und damit erhebliche Verwirrung unter den moskauhörigen, antiautoritären, spontaneistischen und maoistischen Gruppen und Parteien auslösten. Man schloß ohne auch nur mit der Wimper zu zucken Bündnisse mit dem bürgerlichen „Klassenfeind“, der die „Arbeiterklasse“ als historisches Subjekt ersetzen durfte. Auch damals durfte gerätselt werden, welche Dienste da in wessen Auftrag tätig wurden. Nichts anderes als die MLD praktizieren heute die „Antideutschen“. So folgt in der radikalen Linken ein Déjà-vu dem nächsten.
Wenn Robert Kurz also die „unaufhaltsame Regression der linksradikalen Szene“ beklagt, hat er zwar einerseits völlig Recht, beschreibt damit gleichzeitig aber auch die der Linken immanente inkonsequente Subjektivität, die sich in seinem Fall sogar einmal mehr als der Weisheit letzter Schluß intoniert. Immerhin sorgen die „Antideutschen“ wenigstens noch für ein wenig Stimmung in dem eher trist gewordenen Laden, der inzwischen weitgehend nur noch von Nostalgie und einer Neuauflage reformistischer Illusionen à la ATTAC lebt. Eine Gesellschafts- und Sozialkritik, die etwas auf sich hält, eine Zukunftsperspektive aufweist und sich zudem auf dem Niveau der Anforderungen bewegt, ist von den traurigen Restbeständen dieser Linken – ob mit oder ohne „Antideutsche“ – sowieso nicht mehr zu erwarten. Als psychopathologischer Schwanz der Bewegung dürfen diese daher ab und zu ein noch bißchen über die Stränge schlagen, Begriffsmüll absondern und ein paar Kinderkreuzzüge organisieren. Das war es dann aber auch schon!

 
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