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Gesellschaft ohne Zukunft

Von SKH Dr. Otto von Habsburg

Die Landwirtschaftspolitik der EU sei zu teuer, lautet einer der Vorwürfe der britischen Politik. Während der Mensch aber auf so manches Produkt der Industrie verzichten könnte, ist dies bei Lebensmitteln (Agrarprodukte) unmöglich.

Eine der bedrückendsten Diskussionen, die jüngst bei Auseinandersetzungen in der Europäischen Union geführt werden, ist die Frage des zukünftigen Haushaltes, vor allem bezüglich der Agrarpolitik. Das war schon bisher eines der schwierigsten Probleme. Man darf nicht vergessen, auch wenn dies unpopulär ist, daß in der Gesamtwirtschaft der Völker die Landwirtschaft noch immer mit Abstand am wichtigsten ist. Man kann, wenn es sein muß, so gut wie ohne irgend eines der Produkte unserer industrialisierten Wirtschaft auskommen, man hat aber noch nicht den Menschen erfunden, der ohne Lebensmittel bestehen kann. Der Name „Lebensmittel“ für Agrarprodukte beweist die Bedeutung der Landwirtschaft.
Die Tatsache, daß derzeit der britische Premier den Vorsitz in der Union übernommen hat, ist für Europa ein politischer Tsunami. Man kann mit Sicherheit damit rechnen, daß die Angriffe auf unsere Landwirtschaft nicht nur von seiner Seite, sondern von all denen getragen werden, die, politisch blind, die Landwirtschaft wegen ihrer Finanzierung beneiden. Viel wird davon abhängen, welche Widerstände gegen die Bestrebungen, der Landwirtschaft ihre Lebensgrundlage zu entziehen, aufgebaut werden können.
Förderung unserer Landwirtschaft ist kein Widerspruch
zur Entwicklungshilfe
Diese Frage wird heute diskutiert, fast immer mit dem Argument, daß die Unterstützung unserer Landwirtschaft und die Entwicklungshilfe unvereinbar sind. Man bezeichnet die Bauern als egoistisch und damit verantwortlich dafür, daß jenseits unserer Grenzen Menschen hungern und sich gegenseitig umbringen.
Leider wird dieser Unsinn vielfach geglaubt, weil die meisten Menschen nur zu selten die Gelegenheit hatten, sich selbst sachkundig zu machen. Sie glauben daher, man müsse die erste Hilfe den Allerärmsten geben. Dabei ist erwiesen, daß eine weltweite Unterstützung auf möglichst breite Schultern verteilt werden muß. Es gibt unter den Entwicklungsländern viele, die schon knapp vor der Selbsterhaltung stehen. Sie könnten daher in relativ kurzer Zeit selbst an der Entwicklung mitwirken und für die anderen ein nachahmenswertes Beispiel sein. Die Beschränkung der Mittel auf die Allerärmsten verhindert langfristige Planung und ist schuld, daß die Hilfe mehr Almosen als Motor des Fortschrittes ist.
In der Diskussion aber wird eine Tatsache vergessen: Wir leben in einer Welt, in der es noch immer viele Abenteurer, Terroristen und nicht zuletzt unverantwortliche Politiker gibt. Man darf aber nicht die Möglichkeit eines größeren internationalen Konfliktes ausschließen. Die Erfahrungen aus den Weltkriegen haben uns gezeigt, daß für Europa zum Überleben und zum Erfüllen seiner Aufgabe gegenüber sich selbst und seinen Partnern geboten ist, zumindest ein Minimum der Lebensnotwendigkeiten zu erhalten. Demgegenüber wird betont, daß man eine Überproduktion hat, so daß man bei uns drosseln muß, um denen, die nachkomme sollen, einen größeren Markt zu sichern.
Man legt damit genau die Waffen nieder, so wie seinerzeit England eine große Verantwortung an dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs getragen hat, weil die Politik von Ministerpräsident Baldwin damals sein Land total abgerüstet hatte. Das hat Hitler den Weg geebnet. Genau das gleiche kann gegenüber den gefährlichen Mächten in der heutigen Zeit eintreten, wenn wir unsere Landwirtschaft zerstören.
Sieht man sich zum Beispiel die neue Zuckerordnung an, so ist klar, daß bei uns in Europa wieder ein Gutteil der Produktion eingestellt werden muß. Man habe doch, so wird gesagt, die Möglichkeit, in den Entwicklungsländern ausreichend Zucker zu kaufen. Bricht allerdings ein Krieg aus, speziell ein nuklearer Schlagabtausch, gibt es keinen Verkehr mehr auf dem Meer und demzufolge keinen Nachschub von Zucker für Europa.
Die meisten Vorschläge, denen wir heute begegnen, sind eine Bedrohung der Zukunft unserer Bevölkerung, sie sind nur zu oft selbstmörderisch. Man nimmt unseren Generationen ihre Zukunftsperspektive in einer Stunde, in der sie positive Ideen dringend nötig haben.

 
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