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Österreichs Geburtsstunde

Von Hans Schmitzer

Friedrich von Schwaben, als Kaiser Friedrich I., war wohl die glänzendste Persönlichkeit, die während des Mittelalters die Würde eines deutschen Königs und eines Herrn und Kaisers der Christenheit vereinigte. Die Italiener nannten ihn nach seinem rotblonden Bart „Barbarossa“. Seit dem Triumphe des Papsttums beim ersten Kreuzzug (1096–1099) war die deutsche Kaiserwürde zum Schatten herabgesunken. Friedrich Barbarossa wußte, daß der Schlüssel zur kaiserlichen Größe in Italien lag. Dort war die Lage für ihn sogar günstig. Viele italienischen Städte und sogar das Papsttum wünschten die Wiederherstellung der kaiserlichen Macht in Italien. So kann Barbarossa schon zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung, nämlich 1154 in Italien erscheinen, wo er im folgenden Jahr vom Papst zum Kaiser gekrönt wird. Doch schon bald bricht der alte Konflikt um die Vormachtstellung mit dem Papsttum wieder auf. Auch die Römer, die den Einzug des Kaisers anfangs bejubelt hatten, wenden sich gegen ihn, und der Widerstand der mächtigen lombardischen Städte kann von der viel zu schwachen Streitmacht des Staufers nicht endgültig gebrochen werden. So strebt der Kaiser die Heimkehr an. An der Veroneser Klause im Etschtal verlegen ihm die aufständischen norditalienischen Städte, die die Begrenzung ihrer in den Jahrzehnten abwesender kaiserlicher Macht angeschwollenen Freiheit nicht akzeptieren wollen, sogar den Rückweg. Da führt Pfalzgraf Otto von Wittelsbach seinen Heerbann über das Gebirge und faßt die „Welschen“ im Rücken. Viele Jahre später, nämlich 1180, wird Friedrich Barbarossa seinen treuen Gefolgsmann mit dem Herzogtum Bayern belohnen, in dem die Wittelsbacher bis 1918, als 738 Jahre lang Herrscher bleiben sollen.

Kaiser Friedrich I. mußte nach seinem ziemlich erfolglosen Italienfeldzug dafür Sorge tragen, ehestmöglich mit einer großen Streitmacht nach Italien zurückkehren. Zu diesem Zwecke brauchte er die Unterstützung aller deutschen Fürsten, insbesondere des mächtigen Welfen Heinrich des Löwen, seines Vetters. Ihm mußte er nun das bereits vor dem ersten Italienzug versprochene Herzogtum Bayern zurückgeben. Vor allem wichtig war aber der innere Frieden im Reich, weshalb diese Rückgabe „konsensual“ zu erfolgen hatte.

Das Herzogtum Bayern im Hochmittelalter

Nur ein Blick auf die bayerischen Verhältnisse kann zum Verständnis der ersten Regierungsjahre Kaiser Rotbarts führen. Das durch erfolgreiche Ostkolonisation groß gewordene Bayern wurde unter den Sachsenkaisern beschnitten. Seine weitere Geschichte gestaltete sich ebenfalls ungünstig.

Otto der Große belehnte die Babenberger mit dem bajuwarisch besiedelten Nordgau (937). Dieses ostfränkische Geschlecht kam aus Bamberg. Die Babenberger werden 976 Markgrafen der bayerischen Ostmark, 1139 Herzöge von Bayern, 1156 Herzöge von Österreich.

Bayern wird unter Otto dem Großen eine Sekundogenitur des sächsisch-ottonischen Herrscherhauses und stellt mit Heinrich II. dem Heiligen (1002–1024) schließlich selbst einen Kaiser. Nach ihm wird das Herzogtum wie eine Art Reichsland durch direkt vom König eingesetzte Beamte verwaltet.

Schon unter Otto II. waren Kärnten, Friaul, Istrien und die Mark Verona reichsunmittelbar geworden und Bayern verlorengegangen.
lHeinrich IV. entreißt dem Sachsen Otto von Nordheim das Land Bayern (1070) und setzt Welf I. als Herzog ein.

Auftrag des Welfen Heinrich des Stolzen die Steinerne Brücke in Regensburg zu bauen (1135).

Heinrich der Stolze erhält als Schwiegersohn Kaiser Lothar III. 1137 Sachsen als zweites Herzogtum und gewinnt die Mathildischen Güter (die seiner italienischen Tante) zurück. Jetzt reicht die Welfenmacht von der Nordsee bis nach Rom und droht das Reich zu zersprengen.

Den deutschen Fürsten sind die Welfen nun zu mächtig geworden. Statt Heinrich den Stolzen wählen sie Konrad III., einen Staufer, zum deutschen König (1137).

Konrad III. erklärt den Besitz von zwei Herzogtümern für unzulässig. Als sich Heinrich der Stolze dem widersetzt, wird die Reichsacht verhängt, beide Herzogtümer werden frei. Die österreichischen Markgrafen, die Babenberger, erhalten Bayern.

Graf Welf, ein Bruder Heinrichs des Stolzen leistet in Bayern Widerstand, wird aber von Konrad besiegt.

Konrad III. versucht einen Ausgleich mit den Welfen und anerkennt den Sohn Heinrich des Stolzen, den jungen Heinrich den Löwen als Herzog von Sachsen (1142). Heinrich der Löwe gibt den Anspruch auf Bayern aber nicht auf.

Der Staufer Friedrich von Schwaben, ein Neffe Konrads III., wird als Friedrich I. neuer König (1152).

Das war die geschichtliche Ausgangslage, als Friedrich I. (Barbarossa) seinen zweiten Italienzug vorbereiten mußte.
Um im Inneren des Reiches Frieden herzustellen und um die Geschlossenheit nach außen herbeizuführen, berief Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1156 – für die Zeit um Mariä Geburt, 8. September – einen Reichstag vor die Tore Regensburgs. Aus politisch-rechtlichen Gründen trat die Versammlung nicht in der Stadt selbst zusammen, denn Regensburg war zu jener Zeit Hauptstadt des Herzogtums Bayern. Man traf sich „unter Zelten, anderthalb Meilen vor der Stadt“ (Conrad Theodor Gemeiner, Regensburger Chronik, 1800) auf den Fluren Barbings nächst dem später genannten Kreuzhof, dessen Kapelle ebenfalls in dieser Zeit entstand.

Der entscheidende Reichstag

Der Streit um Bayern wurde von Barbarossa so entschieden:
Der Babenberger Heinrich Jasomirgott mußte auf die bayerischen Herrschaftsansprüche verzichten. Als Gegenleistung für diesen Verzicht erhielt er die bayerische Ostmark, die von Bayern abgetrennt und zum selbständigen Herzogtum erhoben wurde, für das sich fortan der Name Österreich durchsetzte. (Ein Herzog konnte ja nicht gut eine „Mark“ besitzen, schon gar keine bayerische!) Übertragen wurde ihm durch das sogenannten „Privilegium minus“ ferner die unbeschränkte Gerichtshoheit, die weibliche Erbfolge sowie eine Beschränkung der Heerfolgepflicht. (Die weibliche Erbfolge sollte dann fast 500 Jahre später bedeutsam werden, nämlich beim Österreichischen Erbfolgekrieg zur Zeit Maria Theresias.)
lHeinrich der Löwe erhielt die Herzogswürde und die Herrschaft über das restliche Bayern. Dieses welfische Bayern reichte vom Fichtelgebirge bis nach Trient und vom Lech bis Wels im jetzigen Oberösterreich. Das babenbergische Österreich umfaßte nur das heutige Niederösterreich und Oberösterreich bis nach Linz.
„Als der Handel so entschieden worden, da ertönte in der Versammlung der Stände die Luft von dem Jubelgeschrei. Es wurde sich nach der Stadt begeben, die Standeserhöhung verbrieft und besiegelt, der Landfriede beschworen“ (Conrad Theodor Gemeiner).
Dieser 1156 geschlossene Kompromiß, durch welchen das Siedlungsland Ostmark/Österreich vom Mutterland Bayern abgetrennt und mit besonderen Rechten den Babenbergern übergeben, Bayern hingegen mit Heinrich dem Löwen wieder welfisch wurde, war vom Standpunkt der Reichspolitik verständlich. Für Bayern bedeutete die Entscheidung jedoch, daß es ab 1156 zum reinen Binnenland geworden war, die Kulturarbeit im Osten und Südosten aufgeben mußte und keine Ausbreitungsmöglichkeit mehr besaß. Heinrich der Löwe schenkte folgerichtig dem Lande Bayern kaum noch Aufmerksamkeit. Ehe er sich ganz nach Sachsen (jetzt: Niedersachsen) zurückzog, weil dort die Ostkolonisation möglich war (Braunschweig: Denkmal Heinrichs des Löwen!), leistete er in Bayern noch etwas Spektakuläres: Zwei Jahre nach dem Reichstag bei Barbing ließt er die Föhringer Isarbrücke zerstören, die den Freisinger Bischöfen gehörte, welche durch sie aus dem Salzhandel von Bad Reichenhall nach Schwaben Nutzen zogen. Heinrich der Löwe errichtete isaraufwärts beim Dörfchen „zu den Mönchen“ eine eigene Brücke, über die der Salzhandel jetzt laufen mußte. Im Jahre 1158 schlug dadurch also die Geburtsstunde von München.

Die Folgen für Bayern, Böhmen und Österreich

Welche Folgen hatte der 1156 geschlossene Kompromiß nun für Österreich, Bayern und die böhmischen Länder?
lDer Zustrom Deutscher nach Böhmen schwächte sich ab, vor allem auch deshalb, weil zwei Jahre nach dem Kreuzhofer/Barbinger Reichstag Barbarossa die erbliche Königswürde an die Przemysliden übertrug. Als keine hundert Jahres später, nämlich 1290, der damalige Kaiser Rudolf von Habsburg den Böhmen auch noch die Kurwürde verlieh, waren die jeweiligen böhmischen Herrscher zu den mächtigsten Männern im Reich aufgestiegen. Der Böhme galt als der erste unter den sieben Kurfürsten und hatte die ehrenvolle Aufgabe des Mundschenks. Das im Range niedrigere Bayern besaß keinen Einfluß in Böhmen, zumal Prag längst schon einen Bischof erhalten hatte, Böhmen also nicht mehr zum Regensburger Bischofsstuhl gehörte (seit 972). Das Egerland, Teil des Nordgaues, zählte allerdings zum Herzogtum Bayern und zur Regensburger Diözese. Es war jedoch stark mit Reichsgut und staufischen Hausgut durchsetzt.
Die Babenberger (später die Habsburger) hatten mit ihrer zunächst kleinen Hausmacht unbegrenzte Ausbreitungsmöglichkeit nach Nordosten, Osten und Südosten. Wien wurde bald viel mächtiger und bedeutender als Regensburg oder München. Die Deutschen in Böhmen und Mähren blickten also fortan nach Wien. Dorthin entsandten sie auch ihre Geistesgrößen. Das Reich im Westen konnte ihnen nicht helfen und nichts nützen. Aus den später so genannten Sudetendeutschen wurden schon damals „Auslandsdeutsche“, obwohl Böhmen und Mähren noch mehr als 700 Jahre nach dem Reichstag an der Kreuzhofkapelle Teil des Deutschen Reiches bzw. des deutschen Bundes blieben.
Auf der Barbinger Ebene entschied sich vor beinahe achteinhalb Jahrhunderten bereits ein sudetendeutsches Schicksal; zumindest wurde es auf dem Reichstag des Jahres 1156 vorprogrammiert. Die Deutschen in Böhmen und Mähren, ohne Rückhalt im Reich, mußten selbständiger, fleißiger und tüchtiger werden, um sich gegenüber der größeren Volksmasse der Slawen zu behaupten. Selbständigkeit, Fleiß und Tüchtigkeit zeichnete noch die Vertriebenengeneration aus. Ihre Kindeskinder bedürfen des Volkstumskampfes nicht mehr. Dies und der materielle Wohlstand ließen die geschichtlichen und kulturellen Bezüge zum Erliegen kommen.
lDas allseits von anderen deutschen Ländern umgebene Bayern, von Heinrich dem Löwen nur als Durchgangsland von der Nordsee nach seinen italienischen Besitzungen benötigt, geriet zunehmend in Bedeutungslosigkeit. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die kommenden Jahrhunderte. Im Jahre 1180 wurde Bayern Heinrich dem Löwen, der mehrfach die Heerfolge verweigert hatte, endgültig weggenommen. Barbarossa belehnte damit Otto von Wittelsbach, der ihm ein Vierteljahrhundert davor an der Veroneser Klause aus der Klemme geholfen hatte.
Die Wittelsbacher regierten Bayern 738 Jahre lang, viel länger als die Habsburger in Wien residierten. Dennoch blieb Bayern im Reich meist ein unwichtiges Wagenteil. Politik wurde in der Neuzeit in Wien und Berlin gemacht. Eine Zeitlang versuchte Bayern, mit anderen deutschen Kleinstaaten und im Bündnis mit Frankreich eine dritte Kraft im Reiche zu bilden. Der Versuch scheiterte. Ist es zu weit hergeholt, wenn die Ursache dieser Entwicklung auch an der Kreuzhofkapelle im Osten Regensburgs gesucht wird?

 
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