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Glück in Österreich

Von Wolfgang Saur

Zur Architektur des österreichischen Barock

Als im Umkreis der Weltkriege intellektuelle Wegsucher die Grundlagenkrise überwinden wollten – den Antagonismus der Mächte, die zerfallende bürgerliche Gesellschaft, die Dissoziation des Ichs – um geistig den Menschen neu zu gründen, – da suchten sie nach Paradigmen, positiven Modellen, um ihre Vision symbolisch auszudrücken.
Anschaulich zeigen dies die Künstler. Impulsiv wenden sie sich gegen neuzeitlichen Realismus, Wirklichkeitsfetischismus und Abbildmanie, die Unterwerfung unters Tatsächliche. Statt dessen fordern sie jetzt eine Autonomie des Geistes. Plötzlich werden Bildmodelle interessant, die man vorher als exotisch, bizarr, primitiv abtat. Sie wenden sich an verschüttete und ausgeblendete Traditionen. Es waren dies: die Formenwelt Alt-Ägyptens, byzantinische Ikonen, islamisches Ornament und Miniaturmalerei, die schwarzafrikanische Plastik. Sie alle offenbaren das „Imaginäre“. Ihr Antinaturalismus, die extreme Stilisierung durchbrechen die konventionelle Weltsicht. Von Desiderius Lenz und der Beuroner Schule, über Matisse und die Fauves, die Expressionisten zu Kandinsky und der Abstraktion, bis hin zum Kubismus. Kennzeichnend: der spirituelle Impuls, der Zug zum Unbedingten dieser 1920er, dann auch der 1950er Jahre, der sich in zahlreichen Kulturdebatten niederschlug.
Diese brachten auch eine ideelle Renaissance des Barock, dessen vorsichtig kunsthistorische Rehabilitation schon seit dem späten 19. Jahrhundert (in Wien seit Albert Ilg) im Gange war. Jetzt aber ging es nicht um totes Wissen, historischen Schutt, vielmehr um eine geistige Funktion. Eindrucksvoll pries etwa Wilhelm Hausenstein im „Geist des Barock“ (1924) dessen „metaphysischen Genius“, seinen Drang zur Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen.

Diese Aspekte sind bleibend festzuhalten, überschreiten sie doch das nur Historische und auch rein Ästhetische. Sie durchbrechen noch die Faszination ‚des Imaginären‘, erscheinen vielmehr als echte Impulse zur Transzendenz und zur Synthese. Denn: über die mythopoetische Energie des einzelnen Künstlers hinaus ermöglichen beide Prinzipien die Gründung einer wahrhaft ganzheitlichen Kultur, wie sie der Barock exemplarisch veranschaulicht, zu einem wirklich objektiven System. Diesem Bedeutungsgehalt und seiner ästhetischen Figur entspricht auch die Idee des „Abendlandes“ in Differenz zu „Europa“.
Kennzeichen des abendländisch-barocken Prinzips bleibt die Grundvorstellung einer integralen Einheit ganzheitlicher Wirklichkeitsschichten und substantieller Erfahrungen, die sich in einer vielgliedrig-gestuften, symbolischen Ordnung ausdrücken. Solch symphonischer Gedanke der ‚Einheit in Vielfalt‘ opponiert daher der postmodernen Zeitlage, die gerade durch vermittlungslose ‚Vielheit‘, jegliche Einheit leugnend, bestimmt wird.
Erst das hybride Zusammenspiel einer unendlichen, heterogenen empirischen Vielheit und der wuchernden, leeren Subjektivität mit dem rationalen Universalismus einer globalen Vernetzung erzeugt die gewaltförmige Struktur planetarischer Zurichtung, der wir unterworfen sind. Zwischen Wirklichkeitssplittern und Mobilmachung gibt es also Grund genug, auf eine Lebensform und Kunstpraxis zu schauen, die Realität, Individuum, Universalität so ganz anders faßte als wir Heutigen.

Barock als österreichischer „Reichsstil“

Das große Beispiel gibt der österreichische Barock mit seiner „Sakrallandschaft“ – den handelnden, den schöpferischen Menschen, ihren Ideen, seinen Monumenten mit ihrem sinnlichen Reiz, ihrer Anmut fürs geistige ‚Auge‘, ihrer oft tiefgründigen Symbolik. Der Barock – als letzte umfassende Stilform im Vollsinn – zeigt sich vor allem im großartigen Gesamtkunstwerk seiner höfischen und kirchlichen Bauten, zumal den pathetischen Stiften und Abteien, oft in herrlicher Lage. Es entstand ein ‚heiliger Hain‘, eine vernetzte „Sakrallandschaft“, eine Struktur, die nicht bloß die Städte durchwirkte wie mit goldenen Fäden, sondern ins Land hinaus ging, natürlichen Raum umformte und verdichtete zum ‚Kulturraum‘, einer Sinngestalt. Aus diesen vielfältigen Zeichen spann sich die eigentliche Barock kultur, die – so Hans Sedlmayr – nur Österreich hervorbringen konnte, standen ihr anderswo doch unverträgliche Momente entgegen: in Italien das Prinzip des autonom Kunstschönen, in Frankreich der rationale Zweckgedanke, formalistische Klassizität und Zentralismus, im protestantischen Norddeutschland nüchterne Kargheit und evangelischer Bildersturm. Nur die habsburgischen Lande haben die kosmische Vision des göttlich-menschlichen Welttheaters entfaltet und zur Mentalität verdichtet, einer pietas austriaca und der Vienna gloriosa, oder zu Persönlichkeiten wie Kaiser Karl VI., dem „neuen Konstantin“, und dessen Baumeister, Johann Bernhard Fischer von Erlach, dem Vollender des österreichischen Hochbarock.
Fischer: der das römische System in seine Heimat überträgt und in Wien mit dem imperialen Plan für Schönbrunn, der Hofbibliothek und der Karlskirche bereits den „Habsburg-Mythos“ konfiguriert. Die Worte Otto Beneschs von 1950 fassen die große Wertschätzung Fischers seit Albert Ilg zusammen: „Mit Fischer von Erlach tritt das österreichische Barock in seine größte schöpferische Periode. Die fremden Anregungen wurden zu einem national-österreichischen Stil umgeschmolzen: kühn und neuartig im Ausdruck, schrankenlos in der Phantasie, groß in der Form, voll erhabenen Strebens nach höheren geistigen Werten.“
Der 350. Geburtstag Fischers in diesem Jahr gibt auch äußerlich Anlaß, diese Kunst zu umreißen, ihre Stelle zu ermessen – schreibt doch Bruno Grimschitz: „Es sind welthistorische Perspektiven, in denen das Österreich der barocken Jahrhunderte steht. Diesen Perspektiven entspricht die europäische Funktion der barocken Kunst Österreichs.“
Die Blüte der barocken Kunst Österreichs fällt in die Jahre 1690–1740. Bis zur Jahrhundertmitte sterben die großen Baumeister dieser Periode: Johann Bernhard Fischer stirbt 1723, Prandtauer 1726, Prunner 1739, Munggenast 1741, Hildebrandt im Jahr 1745 und auch Fischers Sohn, Joseph Emanuel, verstummt 1942. Markiert wird der zeitliche Rahmen positiv durch das Ende des 30jährigen Krieges (1648), die Entsetzung Wiens von den Türken (1683), die endgültige Befreiung Ungarns durch Prinz Eugen 1697–1718 und nicht zuletzt durch die Überwindung der Pest (1679/1713); negativ schließt der Horizont mit der Zerschlagung des Barockkatholizismus durch Joseph II., dem Revolutionsjahr 1789, dann der Säkularisierung im Reich (1803) sowie Wiens Besetzung durch Napoleon (1805); schließlich legt Franz II. die Kaiserkrone nieder, das Reich erlischt (1806). Strukturell wurzelt also die österreichische Barockkultur im Aufschwung der gegenreformatorischen Kirche und dem Niedergang des osmanischen Reichs, der ungarischen Wende, dem Rückzug der Habsburger auf ihre Erblande nach 1648, dem Antagonismus mit Frankreich, der – trotz des neu aufkeimenden Dualismus Berlin–Wien (1740–63) – am Ende mit der napoleonischen Invasion doch siegt.

Die Barockkaiser

Dynastisch weist die Periode auf 4 Regentschaften hin, deren Träger – zwischen Kirchenspaltung und Revolution – die Donaumonarchie entwickelten und aufbauten:
Leopold I., Josef I., Karl VI. und Maria Theresia.
Leopold I. (1658–1705) brachte die Befreiung des Balkans durch seine Großoffensive seit 1683 entscheidend voran. Freilich band das die Kräfte und schwächte den Kaiser im Konflikt mit Frankreich: Ludwigs XIV. Hegemonialstreben bescherte andauernde Komplikationen; sie eskalierten mit der Zerstörung der Pfalz 1688–97. Nach dem Tod des letzten spanischen Habsburgers, Karls II. (†1700), suchte Leopold das Erbe im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–14) zu sichern, was fehlschlug. Doch begründete er die österreichische Großmachtstellung und begann mit dem Ausbau des barocken Wien. Seine tiefe Frömmigkeit bestätigte den Einklang des Hauses Habsburg mit der Kirche.
Trotz seiner kurzen Regierung gelten die Jahre Josephs I. (1705–1711) als ein Höhepunkt kaiserlicher Reichs- und österreichischer Großmachtpolitik. Zwar ließ sich der Bruder als Karl III. nicht dauerhaft in Spanien installieren (1704–1711), doch gelangen italienische Erwerbungen.
1711 kehrte Karl aus Spanien zurück, er gab Madrid für Wien auf. Trotzdem nahm die Monarchie jetzt ihre größte Ausdehnung. 1714 gewann man Mailand, Belgien, Neapel, dann Sizilien – wenn auch letztere beide bald wieder verlorengingen (1735).
Mit Karl VI. (1711–1740) erreicht die österreichische Barockkultur ihren Höhepunkt. Dem entsprachen Karls zeremonielles Wesen, die erhabene Würde, die Förderung von Kunst und Wissenschaft, der Glanz der habsburgischen Krone: die Verbreitung der dynastischen Symbolik in diversen Bildmedien. Zentrale Bedeutung erlangten hierbei die Monumentalbauten der Karlskirche und der Hofbibliothek durch Fischer von Erlach, beide Karl, und mehr noch: das Haus Österreich verherrlichend. Schwierig gestaltete sich erneut die Nachfolge. Seine „Pragmatische Sanktion“ von 1713 hatte die Unteilbarkeit der Erblande unter dem Prinzip der Primogenitur bestimmt, auch für die Tochter.
Und doch mußte nach seinem Tod die nunmehrige Kaiserin, Maria Theresia (1710–1780), um ihr Erbe kämpfen. Das geschah im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–48), der 1745 Schlesien kostete. Der Konflikt mit Friedrich II. führte zu einem neuen Dualismus, der den habsburgisch-bourbonischen verdrängte. Die Donaumonarchie selbst verschob sich weiter nach Nord-Ost, dank der polnischen Teilungen (1772–95), die Galizien einbrachten, und des Erwerbs der Bukowina, einer damals vernachlässigten osmanischen Randprovinz. Im Inneren praktizierte Maria Theresia einen ‚aufgeklärten Absolutismus‘, dessen Verwaltungsreformen sich vielfach am Feind orientierten. Doch hielt sie bei tiefer Frömmigkeit fest am katholischen Charakter der Monarchie und verweigerte sich toleranter Religionspolitik.
Auch dies machte die gemeinsame Regentschaft mit dem Thronfolger, dem späteren Joseph II., von 1765 bis zu ihrem Tod 1780 äußerst konfliktreich. Josefs Antiklerikalismus, mit dem er 1782 alle kontemplativen Orden liquidierte, sein expansives Machtstaatsdenken, sein doktrinärer Rationalismus, mit dem er die Untertanen pädagogisierte und seine Reformprogramme mit brachialer Gewalt durchdrückte, gehören schon einer anderen Zeit an.

Das barocke Weltbild

Der „Reichsstil“ Karl VI. und Fischer von Erlachs setzt ideell und ästhetisch das barocke Weltbild voraus. Dessen in Gott zentrierte Kosmologie entwarf einen gestuften, vielfältig vermittelten Weltbau als Seinspyramide, eine Vielzahl von Welten in eins fassend. Verbunden sind diese im Analogieprinzip: die Sphären entsprechen einander. Seit der Spätantike veranschaulichte man dies im Bild des Spiegels. Tatsächlich wird das Spiegelmotiv wichtig im Barock, bis in die ephemeren ästhetischen Formen der Spiegelsäle und -kabinette. Konzeptionell gehaltvoll erscheint es jedoch in der Metaphysik des Leibniz, seiner Monadenlehre, deren ‚Monaden‘ als individuelle Einheiten je das Ganze spiegeln. Dieses vielgliedrige und dynamische Ganze durchwaltet die „prästabilierte Harmonie“ – ein Abbild Gottes. Die stufenartige Ordnung veranschaulicht eine Hierarchie, die von Gott ausgeht und zu ihm hinführt, was dem barocken Menschen ein polyphones und gleichsam schwebendes Daseinsgefühl eingibt. Kulturell mündet das im Systemdenken, entfaltet sich als universale Anschauung. Diese verdichtet sich ästhetisch zum Gesamtkunstwerk. Das führt alle Künste unter das Primat der Architektur zusammen, einer Architektur, die mit Baukörpern und Raumformen experimentiert. So „entdeckt“ man die Ellipse, deren zwei Brennpunkte – unterschieden von dem in sich ruhenden, vollkommenen Kreis der Renaissance – Dynamik und Dramatik ermöglichen, architektonisch dann die Verschmelzung von Längs- und Zentralbau.
Die Barockarchitektur zeigt sich also „weniger als eine Masse, denn als ein bewegtes Proportionalgeschehen, als ein System von Formen und Funktionen, die überall aufeinander verweisen und sich zu einem dynamischen Gesamt zusammenschließen und abrunden“, so der Philosoph Heinrich Rombach in seinen Überlegungen 1986 zur oberösterreichischen Landesausstellung, „Die Welt des Barock“ in St. Florian. Dort heißt es weiter: „Dieser Grundgedanke führt architektonisch vor allem zur Prädominanz des Kuppelbaus, der sowohl auf- wie grundrißhaft das Strukturbild des in sich geschlossenen Ganzen zeigt. (…) So läßt sich eine barocke Kirche als eine Vielheit von sphärischen Räumen verstehen, die ineinander greifen und ein spannungsgeladenes Raumgeschehen entfalten, für das die Wände nur noch die Bedeutung von Außenschalen haben. Der Raum ist nicht mehr das Resultat von Mauern und Gewölben, sondern Mauern und Gewölbe sind das Resultat von Räumen, die zusammen einen lebendigen Organismus ausmachen. Der Raum tritt an die Stelle der Fläche, die Tiefendimension an die Stelle der Gesamtansicht. Das Raumgeschehen verselbständigt sich (…) Der Eintretende wird durch die Eigendynamik des Raumgeschehens gerade zu, überwältigt‘, in gewisser Weise überflogen und hinaufgetragen.“
Zu diesem Taumel tragen auch die Bildprogramme bei. Sie kombinieren christliche und mythologische Motive, zum Ruhme Gottes, seiner Heiligen und des Hauses Habsburg. Dessen Vertreter erscheinen in zahlreichen Herrscherapotheosen, in Verbindung mit der Sonne, mit Herkules und der Alexandergeschichte. Der Verherrlichung von Glauben und Kirche tritt so eine ausgedehnt dynastische Repräsentation im barocken Symbol zur Seite: „Zusammen mit den großen Neu- und Umbauten von St. Karl, Schönbrunn, Klosterneuburg, der Wiener Hofburg und Hofbibliothek dienen die Ehrenstatuen, Reliefs, Ehrensäulen, Triumphbögen und Ehrengerüste, Herrscherporträts, allegorischen Fresken, Kupferstiche, Embleme, Münzen und Medaillen, sowie der römische Adler über der Weltkugel mit aufwendig gestaltetem Treppenaufgang, dessen Lasten enorme Atlanten wuchten. Dann wandte er sich Lucas von Hildebrandt (1668–1745) zu, wurde dessen wichtigster Auftraggeber. Dieser erbaute seinem Herrn den herrlichsten Wiener Palast: 1714–16 entstand das Untere Belvedere als eigentlicher Wohnort, 1721–23 dann das legendäre Obere Belvedere, dessen Bedeutung man verglichen hat mit Vanbrughs Blenheim Palace (1705–25). Diese Analogie verfängt kaum, betrachtet man die schwerfällig-düstere Formensprache John Vanbrughs, der in freier Landschaft eine repräsentative Residenz bizarren Ausmaßes (275 x 175 m) ohne politische Funktion realisierte. Dem gegenüber steht Hildebrandts Belvedere: ein heiter festliches Lustschloß. Haus und Garten wurden zum Ort strahlender Festlichkeiten. Auch Maria Theresia hat das Zauberschloß später so genutzt. Hildebrandts Belvedere stellt sich dar als eine reizvolle Verschmelzung des Feierlichen mit dem Eleganten. Der breit hingelagerte Bau spiegelt sich südwärts in einem gewaltigen Wasserbecken, das die Kutschen umfahren. Über der Rampe erhebt sich dann ein dreigliedriger Torbau mit geschweiftem Giebel, Mitte des sieben-teiligen Baus, dessen gestufte Dachlandschaft seitlich abfällt und in flankierenden Ecktürmen ausschwingt. Die exotische Silhouette verschiedenartiger Dachformen spielt auf die Umrisse türkischer Zelte an und wird so zum Schlüssel der Bausymbolik. Ästhetisch erhält der Komplex seine grandezza durch den glücklichen Ausgleich der eigenwilligen Vertikalgliederung unterschiedener Bauteile mit der durchgängigen Horizontalverstrebung durch Sockel und Kranzgesims. Den luftigen Garten- und Festcharakter hat Hildebrandt mit seinem Treppenhaus genial ausgedrückt. Es führt vom offenen Torbau auf halber Höhe nach oben zum Festsaal und auf den großen Balkon, mit herrlichem Ausblick zur Stadt, abwärts jedoch zum Gartensaal, und somit wieder ins Freie.
Hildebrandts Genie nimmt die Herausforderung der Barocktreppe an. Als Architekt der Familie Schönborn ist er beteiligt an Residenzen in Würzburg und Pommersfelden (Bamberg). Beider Prunkstiegen aus seiner Hand sind Zeichen der Weltkunst. Die Prunkstiege zeigt sich als eigener Beitrag mitteleuropäischen Barocks. Vergleichbares in Frankreich und England existiert kaum. Das Motiv verdankt sich den zeremoniellen Erfordernissen deutscher Residenzen und Reichsabteien. Deren Herren agierten politisch als Regenten, hatten also mit offiziellen Besuchen, kaiserlichen womöglich zu rechnen. Die rituelle Darstellung von Rang und sozialer Distanz war nun symbolisch darzustellen im höfischen Welttheater. Dafür dienten die Prunkstiegen, die morphologisch aus den Freitreppen italienischer Villen hervorgingen. Sie werden nun transformiert in Teile des Baukörpers selbst. So entstanden – überwölbt von grandiosen Deckenbildern – weite, hohe, pathetisch inszenierte ‚Treppensäle‘, über deren Altane, Passagen, Emporen hin die fürstliche Empfangschoreographie sich zeremoniös bewegte. So führt Hildebrandt in Pommersfelden die zweiläufige Treppe über Podeste empor, zum Vestibül vor dem Kaisersaal. Von drei Seiten strömt das Licht über luftige Galerien in den arkadenhofartig gestalteten, dreigeschossigen Raum.
Auch in dem 1721–27 von Hildebrandt zum anmutigen Sommerschloß umgebauten Salzburger Mirabell entsteht ein fulminanter Stiegenaufgang. Die vergleichsweise simple Treppe, wandläufig empor geführt, wird mit denkbar phantastischen Balustraden geschmückt. Der Bildhauer Raphael Donner (1693–1741) formt – gleichsam wellenförmig nach oben flutend – ein ausschwingendes Geländer aus Voluten und verschlungenen Ranken, auf deren Scheiteln – Schaumkronen gleich – spielende Putten sich herumtreiben: das Ganze ein bizarr schlingerndes, filigranes Ornamentband.

Die Entfaltung des Barock in Österreich

Die Entfaltung des österreichischen Barockbaus tritt um so stärker hervor, sieht man ihn auf der Folie älterer Entwicklungen, zwischen Renaissance und Frühbarock. So zeigt das Wiener Palais Porcia von 1600 noch eine reine Renaissance-Fassade mit kaum ausgebildeter Portalzone. Seine Schauseite gliedert sich in flächige Wandfelder aus Doppelfenstern samt Kartuschen und bekrönt von diskret profilierten Blendgiebeln: eine ruhige, in sich ausgewogene Ordnung, deren Partikulareinheiten sich je schließen und so gestalterisch „addieren“. Die Fassadenordung strahlt Harmonie und Ruhe aus und reflektiert insofern das Renaissance-Ideal ewiger Proportionen.
Doch schon entstehen Bauwerke, die diese Prinzipien verlassen und einer neuen Epoche zustreben, ein neues Lebensgefühl artikulieren. Dabei handelt es sich um Bauten, die die Fachwissenschaft wechselnd periodisiert, mal als Renaissance, mal als Barock. Tatsächlich drücken sie eine Zwischenlage aus.
Das zeigt besonders gut das sogenannte Mausoleum Ferdinands II. in Graz (1715–33, de Pomis), baulich ein zweiteiliger Komplex, die Katharinen-Kapelle mit lateinischem Kreuz und die eigentlichen Grabkapelle, ein Oval. Die düster-monumentale Fassade präsentiert sich rein manieristisch: ihre Kolossalordnung aus Säulen und Giebeln ballt die kontrapunktische Verschränkung extrem polarer Formprinzipien zum explosiven Gesamtausdruck, dessen innere Spannung eine gewalttätige Formwirkung freisetzt. Damit steht das Grazer Mausoleum gleich weit entfernt vom anthropomorphen Proportionsdenken des Humanismus wie des symphonischen Ideals der coincidentia oppositorum, dem optimistischen Ausdruck eines barocken Triumphalismus. Die eigentliche Grabkapelle weist indes mit ihrem Übergang von klassischer Kreisform zur Ellipse direkt auf den Barock hin. Vollendet hat all das Fischer, der seit 1716 mit dem elliptischen Zentralraum der Karlskirche die Keplersche Geometrie ästhetisch monumentalisiert hat.
Zurückhaltend erscheint gegenüber de Pomis’ Expressionismus das seit 1625 unweit Graz erbaute Schloß Eggenberg: ein schlichter Vierkantbau mit Ecktürmen, den Hoheitszeichen weltlicher Macht, Fensterbändern und sparsamem Profilschmuck. Als Bauschema diente hier der spanische Escorial, dessen schmucklose Vierkantanlage in gewaltiger Ausdehnung vier Innenhöfe und als Herzstück eine Kirche umfaßt. Der von Philipp II. als ‚Klosterresidenz‘ konzipierte Bau – eine Mischung aus Kaserne, Abtei und Palast – stand Pate für zahlreiche Bauten in Österreich und hat auch die prominenten Kaiserstifte angeregt. Jedenfalls faßt dieser Typ in seiner Monumentalform Glaube und Herrschaft emblematisch zusammen.
In die barocke Ära führt schließlich der Salzburger Dom, 1614–28 von Santino Solari erbaut. Im ausgewogenen Spannungsverhältnis von Horizontalen und Vertikalen, von Flächen und Profil erscheint seine Doppelturmfassade. Das Innere, lateinisches Kreuz mit 3-Konchen-Anlage, zieht den Besucher vehement nach vorn, folgt damit einem wichtigen Aspekt nachtridentinischer Theologie. Unterstützend greift die Lichtwirkung ein: Indirektes Dämmerlicht im Mittelschiff, dann strahlender Lichteinfall aus Querarmen und vom Tambour her, erzeugen den stimmungsvollen Kontrast einer überlegten ‚Lichtdramaturgie‘. Verständlich, daß Thomas DaCosta Kaufmann urteilt: „Auch dieses Bauwerk ist eines jener ‚prime objects‘, von denen in der Folgezeit in den mitteleuropäischen Ländern viele ‚Repliken‘ geschaffen wurden.“
Wie beim Salzburger Dom sind bis in die 80er Jahre zahlreiche Italiener im Alpenraum und den habsburgischen Ländern tätig, so vor allem in Wien, wo Frederigo Lucchese 1660–66 den frühbarocken Leopoldinischen Trakt der Hofburg erbaut. Charakteristisch für diese Periode ist die „Längserstreckung“ der Gebäude und ein Rastersystem, das die Fassaden gliedert. Nach einem parataktischen Reihungsprinzip überziehen gleichförmige Fensterachsen den Baukörper (bei der Hofburg 29!), identisch gestaltete Längskompartimente mit riesigen Wandpfeilern oder Säulen, deren strikte Häufung eine entgrenzende Staffelung der Baulichkeiten bewirkt. Was haargenau dem Architekturtraktat des Fürsten Liechtenstein entspricht (1678). Die Architektur müsse ‚majestätisch‘ und ‚erhaben‘ sein, meint er dort: Je größer ihre Längsausdehnung, desto nobler. Ein serielles Zeichensystem aus Fenstern und Säulen löse das am besten. Dem entsprechen das Palais Starhemberg und die Favorita in Wien, das Lustschloß Leopolds, das Palais Czernin in Prag etwa oder auch das berühmte Sommerhaus Peters d. Gr. in St. Petersburg.
Wien als östliche Frontstadt gegen die Türken war bis 1683 auf seine Befestigung angewiesen. Das verhinderte die Ausdehnung. Man mußte sich behelfen in der mittelalterlichen Enge. Die große Raumnot fiel besonders den Zugereisten auf, so noch 1716 Lady Montague, der Frau des englischen Botschafters. Erst nach 1683 begann die Ausbreitung der Stadt im Umland des alten Mauergürtels. Weniger der Kaiser selbst, vielmehr der große Adel baute sich nun neue Palais mit Gärten und Parkanlagen. Wie Planeten umkreisen diese die hauptstädtische Mitte. Noch Bellottos herrliche Vedoute „Blick vom oberen Belvedere“ aus dem Jahr 1760 veranschaulicht diese Entwicklung. Der Blick folgt dem sanft abfallenden Park nach dem unteren Belvedere mit der vorgelagerten Favorita, gewahrt seitlich den markanten Bau des Schwarzenbergpalais‘ mit dem plastisch ausgeformten Mittelrisalit (Hildebrandt u. Fischer) und weiter links die noch frei stehende Karlskirche, in der Vorstadt Wieden.

Lucas von Hildebrandt

Das Belvedere ist nun, Anlage und Baulichkeiten nach, das kühnste und aufwendigste Ensemble solch eines funkelnagelneuen Adelssitzes: schlagender Ausdruck des hochbarock höfischen Wien. Prinz Eugen, seit dem Türkensieg 1697 zum wichtigsten Staatsmann Österreichs und kaiserlichen Ratgeber aufgerückt, hatte sich 1695–98 von Fischer ein Stadtpalais erbauen lassen, mit aufwendig gestaltetem Treppenaufgang, dessen Lasten enorme Atlanten wuchten. Dann wandte er sich Lucas von Hildebrandt (1668–1745) zu, wurde dessen wichtigster Auftraggeber. Dieser erbaute seinem Herrn den herrlichsten Wiener Palast: 1714–16 entstand das Untere Belvedere als eigentlicher Wohnort, 1721–23 dann das legendäre Obere Belvedere, dessen Bedeutung man verglichen hat mit Vanbrughs Blenheim Palace (1705–25). Diese Analogie verfängt kaum, betrachtet man die schwerfällig-düstere Formensprache John Vanbrughs, der in freier Landschaft eine repräsentative Residenz bizarren Ausmaßes (275 x 175 m) ohne politische Funktion realisierte. Dem gegenüber steht Hildebrandts Belvedere: ein heiter festliches Lustschloß. Haus und Garten wurden zum Ort strahlender Festlichkeiten. Auch Maria Theresia hat das Zauberschloß später so genutzt. Hildebrandts Belvedere stellt sich dar als eine reizvolle Verschmelzung des Feierlichen mit dem Eleganten. Der breit hingelagerte Bau spiegelt sich südwärts in einem gewaltigen Wasserbecken, das die Kutschen umfahren. Über der Rampe erhebt sich dann ein dreigliedriger Torbau mit geschweiftem Giebel, Mitte des sieben-teiligen Baus, dessen gestufte Dachlandschaft seitlich abfällt und in flankierenden Ecktürmen ausschwingt. Die exotische Silhouette verschiedenartiger Dachformen spielt auf die Umrisse türkischer Zelte an und wird so zum Schlüssel der Bausymbolik. Ästhetisch erhält der Komplex seine grandezza durch den glücklichen Ausgleich der eigenwilligen Vertikalgliederung unterschiedener Bauteile mit der durchgängigen Horizontalverstrebung durch Sockel und Kranzgesims. Den luftigen Garten- und Festcharakter hat Hildebrandt mit seinem Treppenhaus genial ausgedrückt. Es führt vom offenen Torbau auf halber Höhe nach oben zum Festsaal und auf den großen Balkon, mit herrlichem Ausblick zur Stadt, abwärts jedoch zum Gartensaal, und somit wieder ins Freie.
Hildebrandts Genie nimmt die Herausforderung der Barocktreppe an. Als Architekt der Familie Schönborn ist er beteiligt an Residenzen in Würzburg und Pommersfelden (Bamberg). Beider Prunkstiegen aus seiner Hand sind Zeichen der Weltkunst. Die Prunkstiege zeigt sich als eigener Beitrag mitteleuropäischen Barocks. Vergleichbares in Frankreich und England existiert kaum. Das Motiv verdankt sich den zeremoniellen Erfordernissen deutscher Residenzen und Reichsabteien. Deren Herren agierten politisch als Regenten, hatten also mit offiziellen Besuchen, kaiserlichen womöglich zu rechnen. Die rituelle Darstellung von Rang und sozialer Distanz war nun symbolisch darzustellen im höfischen Welttheater. Dafür dienten die Prunkstiegen, die morphologisch aus den Freitreppen italienischer Villen hervorgingen. Sie werden nun transformiert in Teile des Baukörpers selbst. So entstanden – überwölbt von grandiosen Deckenbildern – weite, hohe, pathetisch inszenierte ‚Treppensäle‘, über deren Altane, Passagen, Emporen hin die fürstliche Empfangschoreographie sich zeremoniös bewegte. So führt Hildebrandt in Pommersfelden die zweiläufige Treppe über Podeste empor, zum Vestibül vor dem Kaisersaal. Von drei Seiten strömt das Licht über luftige Galerien in den arkadenhofartig gestalteten, dreigeschossigen Raum.
Auch in dem 1721–27 von Hildebrandt zum anmutigen Sommerschloß umgebauten Salzburger Mirabell entsteht ein fulminanter Stiegenaufgang. Die vergleichsweise simple Treppe, wandläufig empor geführt, wird mit denkbar phantastischen Balustraden geschmückt. Der Bildhauer Raphael Donner (1693–1741) formt – gleichsam wellenförmig nach oben flutend – ein ausschwingendes Geländer aus Voluten und verschlungenen Ranken, auf deren Scheiteln – Schaumkronen gleich – spielende Putten sich herumtreiben: das Ganze ein bizarr schlingerndes, filigranes Ornamentband.

Johann Bernhard Fischer von Erlach

Auch der, neben Hildebrandt erstrangige Architekt, Johann Bernhard Fischer (nob. von Erlach, 1656–1723) hat zwei Hauptwerke in Salzburg geschaffen: die Dreifaltigkeitskirche (1694–1702) und die Kollegienkirche (1696–1707). Mit ihnen tritt der Salzburger Hochbarock deutlich hervor. Beide reflektieren Fischers italienische Bildung und die immense Wirkung Borrominis. Anders als die edle, plane Westfassade des Domes schwingt die Außengestalt der Dreifaltigkeitskirche ein, während ihre Ecktürme vorspringen; die Kollegienkirche hingegen wuchtet konvex vor und setzt die Seitentürme markant ab.
Der am 20. Juli 1656 als Sohn eines Bildhauers in Graz geborene Fischer lernt die väterliche Kunst, bevor er zu Beginn der 1670er Jahre für lange Zeit nach Rom geht. Dort wird er im Umkreis Berninis zum Architekten, ausgebildet in Carlo Fontanas Atelier. Mit seiner Ankunft in Wien tritt hier erstmals ein einheimischer Baumeister auf. Schnell macht er nun Karriere und verbindet sein Schicksal mit dem der Habsburger. Schon 1689 unterrichtet er den Kronprinzen; seit 1691 wird er ausgezeichnet, 1696 geadelt, 1704 avanciert er zum Chef des ganzen Hofbauwesens.
Schon zu Beginn schreibt sich Fischer in die Geschichte ein mit seinem Plan für Schönbrunn: ein virtuelles Kolossalprojekt (1692/93), dessen bloße Visualisierung schon zu einer sprechenden Apotheose kaiserlichen Anspruchs gerät, das aber nie verwirklicht wurde.
Fischers Hauptwerk ist die Karlskirche (1716–37). Diese vom Kaiser im Pestjahr 1713 gelobte Kirche ist der gewaltigste Barockbau Wiens, vielleicht das Vermächtnis des österreichischen Barock überhaupt. Hans Sedlmayr hat dieser hochkomplexen Architektur tiefschürfende Betrachtungen gewidmet und exemplarisch hier seine „Strukturanalyse“ aufgezeigt. Wichtig zu sehen: Die Karlskirche umfaßt nicht bloß diverse Aspekte. Sie verwirklicht vielmehr eine dynamische Einheit aus zahlreichen, in die Gesamtkomposition verwobenen Baugliedern und -gruppen, aus unterschiedlichen Bildprogrammen und Sinnschichten, am Ende verschiedenen ‚Wahrnehmungssystemen‘ gar. Denn: Horizontale, Vertikale, Tiefe dimensionierten das Bauwerk in je eigener Weise. Dem ovalen, überkuppelten Zentralbau mit Seitenkapellen, gestauchten Querarmen und langem Chor ist keine bloße Fassade vorgeblendet. Vielmehr entfaltet der Bau westlich, in pompöser Breitseite, als eigenständige Baugruppe: seine monumentale, plastisch völlig durchgeformte Schauseite. Die Vorhalle mit Säulenportikus erweitert sich zur gewaltigen Querachse, deren Seitenarme konkav rückschwingen und seitlich Eckpavillons ausgestalten, Glockentürme samt Tordurchfahrten. Die konkave Drehbewegung geht ein in die Spiralwindung der beiden Kolossalsäulen, die zwischen Tempelfront und Eckrisaliten den Dom vollends zur sakralen Triumphpforte erhöhen. Riesigen Kerzen gleich, fassen sie das bauliche Programm emblematisch zusammen. Zunächst stehen sie für des Kaisers Wahltugenden: Festigkeit und Mut, sodann gelten sie dem Hlg. Borromäus, dessen Vita die umlaufenden Bildreliefs erzählen. Weiter zitieren sie den Tempel Salomonis, die Weltsäulen des Herkules und schließlich den verehrten Ahnherrn, Karl V., der sie im Wappen führte, um den eschatologischen Anspruch seines Reichs zu betonen. Die mythischen Säulen stützen die Welt und beanspruchen, historisch-politisch, zugleich das spanische Erbe, was – wiederum mythisch – auf Habsburgs universale Friedensherrschaft verweist. Im Sinn von Goethes „Faust“ nämlich: „Die höchste Tugend, wie ein Heiligenschein / Umgibt des Kaisers Haupt, nur er allein / Vermag sie gültig auszuüben: / Gerechtigkeit! – Was alle Menschen lieben / Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren / Es liegt an ihm, dem Volk es zu gewähren.“
Welchen Anspruch der Architekt nun selber mit seiner Schöpfung verband, zeigt die Dokumentation des Baus in seinem großen Architekturwerk „Entwurf einer historischen Architektur“ von 1721. Dieser Tafelband vereinigt exemplarische Darstellungen imaginärer, historischer und eigener Bauten: Er beginnt mit dem salomonischen Tempel (Portikus, von Säulen flankiert) und schließt mit der Karlskirche!
Mit ihr hat Fischer eine heroische Synthese geschaffen aus römischem Hochbarock und französischer Klassik. Er verschmolz nicht nur Stilformen, sondern auch die Legitimitäten des Auftraggebers: katholischen Glauben, kaiserlichen Universalanspruch und dynastische Würde. Letztere gewann an Bedeutung in Folge des Verfalls kaiserlicher Macht: Das aber wandelte die Reichsidee der translatio imperii zum „Habsburg-Mythos“ (Claudio Magris).
Diese Prinzipien konfigurieren das ideelle Fundament der österreichischen Barockkultur und führen zum „Reichsstil“ Karls VI. (Sedlmayr). Dessen weltliches Seitenstück zur Karlskirche bildet die von Fischer begonnene und von dessen Sohn vollendete Hofbibliothek (1723–26), einem eingewölbten Saal mit quergestelltem Oval. Diesem Innenraum liegt die Pantheon-Idee zugrunde, ausgedeutet als „Bibliothekstempel“ und Ruhmeshalle für den Fürsten. Tatsächlich erscheint Karl inmitten mythologisch gewandet, und zwar als Herkules, der Musenführer. War in der Karlskirche die Kuppel der Borromäus-Glorie (Rottmayr) vorbehalten, versammeln die Künstler hier einen festlichen Reigen zum Ruhm der Dynastie. Der gipfelt in Daniel Grans jubilierendem Deckenfresko: „Triumph des Hauses Österreich durch die Wissenschaft“ (1730).

Joseph Emanuel Fischer von Erlach

Nach dem Tode Fischers 1725 führte sein Sohn, Joseph Emanuel, dessen Projekte zu Ende und nahm neue Aufträge in Angriff. Er startete mit dem Michaelertrakt der Hofburg und stellte 1730 den Reichskanzlertrakt fertig. Hofbibliothek, Karlskirche und Hofstallgebäude (heute Museumsquartier) wurden vollendet, 1729–35 entstand die neue „Winterreitschule“.
Die barocke Spiel- und Festfreude hat hier die mittelalterliche Tradition der Turniere adaptiert und in eine zeremonielle Kunstform übersetzt. Aus dem Duell des Mittelalters ist ein prächtiges Schauspiel geworden. Es stellt die höfische Rangordnung des Absolutismus nicht in Frage, vielmehr dar. „Auf den großen Reitfesten wie (…) den Roßballetts in Wien“, schreibt Richard Alewyn in seinem Buch über „Das große Welttheater“, „werden Geschwader von Reitern in Reihen oder in Trupps, nach Farben und Kostümen unterschieden, wie Tänzergruppen behandelt. Die vorgeschriebene Bewegung nur gelegentlich durch ein Stechen oder Knallen unterbrechend, beschreiben sie anmutige Muster oder tiefsinnige Figuren auf der Reitbahn: Wappen, Namenszüge, Embleme, eine unendliche Melodie bewegten Ornaments, die unablässig neue Formen gebiert und verschlingt.“

Brunnen und Pestsäule

Der herrlichste Barockbrunnen verdankt sich dem Genie Raphael Donners, den dieser im Auftrag der Stadt Wien 1737–39 auf dem Neumarkt gestaltete. Wie ein Anruf des manieristischen Prag von 1600 nehmen sich die apart gelängten Figuren aus: die männlichen Allegorien der heimischen Flüsse mit der Vorsehung als weiser Staatslenkung obenauf. Unweit davon treffen wir am Graben auf die Pestsäule Leopolds, die dieser in Erinnerung an das Pestjahr 1679 stiftete. Das hochaufragende Monument mit seiner komplexen Ikonographie fokussiert das habsburgische Programm. Es gliedert sich in einen mächtigen Sockel, auf dem sich eine bewegte Wolkenpyramide auftürmt. Sie gipfelt in der Gruppe der Dreifaltigkeit, samt Kreuz und strahlender Glorie. Die luftigen Gefilde durchschweben Engel, während darunter, seitlich auf halber Höhe des Postaments, der Kaiser betend kniet: über einer Allegorie der gestürzten Pest und des siegreichen Glaubens. Flankiert wird der Monarch von Reliefs mit dem Lamm Gottes und dem Globus – heilige und kosmische Zeichen! Die Pointe liegt in Leopolds Fürbitte selbst: einerseits wird Demut, nicht Triumph apostrophiert,. andererseits dokumentiert eben jene den Anspruch, war die ‚Fürbitte‘ (deesis) doch traditionsgemäß Maria und den Heiligen vorbehalten. Weiter markiert die christliche Symbolik auch eine Differenz zu Frankreich. Dessen dynastische Selbstdarstellung steigert Ludwig persönlichkeitskultisch, rühmt seine Taten und die französische Gloire. Dagegen tritt das Haus Österreich diskreter auf, agiert indirekt, vermeidet das Persönliche und betont die Familientradition, die Legitimität der kaiserlichen Macht und ihre Verbindung mit dem eigenen Haus. Seit 1630 wurden keine persönlichen Denkmäler mehr errichtet, dagegen Frömmigkeit akzentuiert, allegorisch und symbolisch. Kurz: Die Habsburger hielten, als sich das Königtum in Frankreich säkularisierte, unvermindert am Gottesgnadentum fest. Dies war ein wesentlicher Teil des österreichischen Barockkatholizismus, der nach dem 30jährigen Krieg den Triumph der Kirche und die feste Loyalität der Dynastie mit großer Pracht ausdrückte. In Theologie und Volksfrömmigkeit standen dabei: die Verehrung des Altarsakraments, der Maria Immaculata, der Heiligen und Schutzpatrone, und schließlich – wie bei der Pestsäule – die Trinität ganz obenan.

Abteien und Stifte – Jakob Prandtauer

Baulich verkörpern barocke Frömmigkeit die Abteien und Stifte, die mit Neubauten und Ausstattungen wetteiferten. Ihre Prachtentfaltung und Assimilation kaiserlich-habsburgischer Bildprogramme spekulierte auf kaiserlichen Besuch, denn die Habsburger sind viel unterwegs: auf Krönungsreisen, Huldigungsreisen und Wallfahrten, also gehalten, unterwegs abzusteigen in Klöstern, die stolz ihre Kaisersäle, -stiegen und -zimmer vorweisen.
So zumal bei den Donauklöstern St. Florian, Melk, Dürnstein, Göttweig. Dieser Raum hat noch einen genialen Baumeister der Zeit hervorgebracht: Jakob Prandtauer (1660–1726). Der gebürtige Stanzer läßt sich 1689 als Bildhauer in St. Pölten nieder und arbeitet seit 1700 als Architekt. Im nächsten Jahr beginnt er mit der Planung des Neubaus von Stift Melk. Durch den Tod Carlo Antonio Carlones fallen ihm dessen Bauaufgaben in Garsten, St. Florian und Kremsmünster zu, was ihm den Ruf einträgt, der erste Klosterbaumeister seiner Zeit zu sein. Kreativ formt er die Hinterlassenschaft Carlones in St. Florian um: Das Eingangstor zur westlichen Hauptfront gestaltet er zu einem machtvollen Portalbau aus Sockeln, Atlanten, Gesimsen, Voluten, Hermen, Balustern, Vasen, zierlichen Heiligenfiguren und einem duftigen Balkon. Das drückt barocke Ästhetik exemplarisch aus: dynamische Rhythmisierung der Formen, Fassadenzentralisierung und plastische Ausgestaltung der Portalzone. Meisterlich löst Prandtauer die Aufgabe des Treppenaufgangs mit genialem Griff: Gewaltige Pfeiler verklammern über 3 Stockwerke das Stiegenhaus. 14 Arkaden, unterschieden in Größe und Form, lösen die Wandfläche auf ins Transparente. Rundbogen und Säulchen, verwoben mit filigranem Ornament und Balustern, muten an wie orientalisches Gitterwerk.
Zu Prandtauers Meisterwerk wurde Melk (1702–36). Wie ein riesiges Schiff, ja eine Gottesstadt schiebt der gewaltige Bau sich zum Rand der Anhöhe, weit über der Donau. Fanfarengleich wendet das Stift die Schauseite der Doppelturmfassade mit seiner ausschwingenden Terrasse, deren Einfassung zum Diadem geformt ist, dem Strom zu. 1711 waren die Türme, 1712 auch die Kuppel vollendet. „Gäbe es nur dieses eine Werk des deutschen Barock: dieser Stil wäre mit ihm schon für ewig gerechtfertigt als eine der großen unbegreiflichen Schöpfungen der Menschheit“, befand enthusiastisch Richard Benz beim Besuch 1949. Zur Erfahrung der weitläufigen Anlage auf ihrem dramatischen Hochsitz gesellt sich das Erlebnis des Kirchenraums, ist es doch „die außerordentliche Verlebendigung seiner Wandgrenzen mit ihrer prachtvollen Farbigkeit, die das hochaufstrebende Gebilde von Schiff, Querarmen und Chor mit der sie gewaltig überragenden Kuppel zu einer unvergleichlichen Gesamterscheinung von großartiger Feierlichkeit erhebt“. (Grimschitz)
Prandtauers Projekte wurden nach 1726 von dessen Neffen Josef Munggenast fortgeführt. Der hatte 1706 auch Pläne für Klosterneuburg angefertigt. Das letzte Donaustift vor Wien war schon im 12. Jahrhundert Residenz der Babenberger gewesen. Nun wollte Karl VI. das seit 1050 bestehende Augustiner-Chorherren-Stift zu einer gigantischen Anlage, einem „österreichischen Escorial“, umgestalten, wozu F. d’Allio (1730) die Pläne lieferte. Von der gewaltigen Anlage mit ihren 5 Höfen wurde nur ein Viertteil realisiert. Auf seinen spätbarocken Formen liegt der Glanz einer zu Ende gehenden Epoche.

Maria Theresia und das Rokoko

Maria Theresia wendet sich nun ab vom feierlichen Repräsentationsstil des Vaters. Sie schätzt größere Intimität und die heitere Anmut der spielerischen Rokokoformen. Die bestimmen nun auch die Ausgestaltung Schönbrunns, ihres liebsten Ortes. Die zauberleichten Dekore erfindet dort Nicolà Pacassi. Gleichwohl finden sie in Österreich wenig Nachahmer.
Doch greift zu kurz, wer das Rokoko zum bloßen Dekorationsstil macht und ihn mit dem Paris der Régence identifiziert. Im oberschwäbischen Raum und der Alpenregion hat diese Kunst in Schöpfungen der Zimmermann, Neumann und der Asam ein letztes Feuerwerk der Kreativität entfacht – raffiniert und volkstümlich zugleich, dabei so spirituell wie nur denkbar. nur. Hier werden die Gattungen negiert, Raumgrenzen überspielt und architektonische Kontur sphärisch aufgehoben. Diese letzte, geistigste Sublimierung bringt in Steinhausen, Weltenburg, der Wies oder Neresheim das totale Raumerlebnis hervor.
Österreich hat diese Wendung nicht mehr mitvollzogen. Wo sich Rokokoräume finden, da sind ausländische Kräfte am Werk, in Bayern im Innviertel oder in Wilhering. Dort schmücken Wessobrunner Stuckateure seit 1733 die Stiftskirche aus und vollenden sie zum großartigsten Denkmal des österreichischen Rokoko. Dem großen Fischer war die Stilentwicklung antipathisch, legte er doch Wert auf die ‚Ordnung der Künste‘ mit ihren Grenzen und Gattungsidentitäten. Ältere Kunsthistorie, die hinter den Phänomenen ein Wesen sah, meinte deshalb, „der sinnlich-realistischen Grundanlage des österreichischen Stammes entzieht sich die absolute Geistigkeit des reinen Rokoko“. (Grimschitz)

Die Einheit des barocken Lebens zerfällt

Rasch betritt der Klassizismus den Plan. Ihn besiegelt F. Hetzendorf von Hohenberg mit der Gloriette (1775) im Schönbrunner Park – auf eben jener Anhöhe, die Fischer mit seinem Phantasieschloß hatte bekrönen wollen. Hohenberg bringt schließlich 1783–86 mit dem Palais Fries den trocken-utilitarischen Geist des Josephinismus auf den Punkt. Errichtet an der Stelle eines von Joseph demolierten Klosters, weist seine triste Kasernenfassade unüberbietbar das kalte Gesicht der neuen Zeit auf. Josephs Maßnahmen, schreibt DaCosta Kaufmann, führten dazu, „daß sich die enge Verflechtung der Künste mit allen anderen Bereichen der Kultur, die bis dahin die Geschichte Mitteleuropas gekennzeichnet hatte“, auflöste.
Dieser Vorgang war begleitet von kunstkritischen Debatten, deren Argumente in den 1750er Jahren wurzeln. Schon hier wurde dem Ornament der Kampf angesagt. Dekore nähmen der Architektur ihre Wirkung, hieß es, und Malerei bleibe unklar, solang sie Teil eines „Gesamtkunstwerks“ sei. Der Trend wies auf Entflechtung. Das ging einher mit sozialen und politischen Veränderungen, die im 19. Jahrhundert einen systemischen Prozeß funktioneller Differenz provozierten, auch in den Künsten. Der zersprengte die Einheit barocken Lebens. Neue Autoren bestätigen so die These Hans Sedlmayrs vom „Verlust der Mitte“.
Bilanzierend schrieb einst der Wiener Joseph August Lux: „Im Barock erneuert sich die einheitliche volkstümliche Kultur auf religiöser Grundlage, die alle Kräfte umfaßt, von dem niedersten Handwerk bis zu den höchsten Leistungen der Kunst, der Musik und der Dichtung, alles zu überwältigenden Wirkungen gesteigert, im Dienste Gottes. Dasselbe Prinzip, das wir im gotischen Mittelalter gefunden haben, offenbart sich im Barock. Aber noch eines ist jetzt hinzugetreten: die Formenfülle der Renaissancekunst, die nun erst religiös bewältigt, der Verherrlichung Gottes dient. Die Unermeßlichkeit dieser symbolischen Kunst, die den Himmel wieder erschließt, ist nicht zu Ende zu denken. Diese seltsame Mischung von Todeswitterung und jubelnder Ekstase, diese ungeheure, seelische Spannung in dem Verhältnis von Vergänglichkeit und Ewigkeit ist das psychische Merkmal, sowohl des Romantikers wie des Barockmenschen und vornehmlich des Österreichers. Das ist die Grundlage, aus der hier die glanzvolle Barockkultur erwachsen mußte.“



 
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