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Der letzte Romantiker

Von Wolfgang Saur

Zum 150. Todestag von Joseph von Eichendorff (1788–1857)

„Weißt Du, daß der Mensch noch lebt?“, fragt der junge Bismarck lakonisch seine Braut in einem Brief 1851. Das gilt dem alten Joseph Eichendorff – Erstaunen über eine Zeitgenossenschaft, die damals im 63. Jahr steht. So fremd waren der neuen Ära die Goethezeit, ihr Idealismus und alle Romantik geworden, daß man sich unwillig die Augen rieb: ein so altertümliches Relikt, ihren „letzten Ritter“, als sperriges Gerümpel im Heut’ noch vorzufinden. Bismarcks Wort reflektiert den Epochenbruch nach Hegels und Goethes Tod, das Hervortreten neuer politischer und intellektueller Kräfte. Das schnelle Veralten von Eichendorffs Dichtung nach 1848 signalisiert so exemplarisch einen tiefen Prinzipienwechsel der Moderne, dem zumal die Romantik zum Opfer fiel. Eichendorffs Poesie, die tief im Zeichen des Abschieds steht, hat das vorausgewußt. Desto paradoxer, daß ausgerechnet sie am Ende doch populär wurde und sich dem literarischen Bewußtsein einschrieb: mit ihren Motiven, Farben und Lichtern.

Günther Schiwy hat Eichendorff den Dichter des „Zu spät“ genannt. Tatsächlich prägt dessen Poesie eine schwermütige Abschiedsgeste. Sie durchzieht sein Werk, so auch den Roman „Ahnung und Gegenwart“. Von dessen Held Friedrich heißt es einmal: „Friedrich legte das Papier stillschweigend zusammen. Ihn befiel eine unbeschreibliche Wehmut bei der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten. Er dachte sich, wie sie alle dort noch immer (…) friedlich wohnen, im ewig gleichen Wechsel einförmiger Tage frisch und arbeitsam Gott loben und glücklich sind, und nichts wissen von der andern Welt (…).“
Dieser Ort war das oberschlesische Lubowitz, das elterliche Gut, auf dem der Dichter aufwuchs. Es wurde ihm zum Inbegriff der Heimat, des menschlichen Daseins überhaupt. Der Vater, Besitzer zahlreicher Ländereien und prächtiger Schlösser, wirtschaftete schlecht und verlor viel. 1823 endgültig veräußert, sind die Eichendorff-Brüder eigentlich schon 1810 von dort geschieden. Damals schrieb Eichendorff zum „Abschied“:
„Dir gibt nicht Ruhm noch Namen, / Was ich hier dacht’ und litt, / Die Lieder, wie sie kamen, / Schwimmen im Strome mit. // So rausche unverderblich / Und stark viel hundert Jahr! / Der Ort bleibt doch unsterblich, / wo einer glücklich war.“
Seit 1810, dann 1818 und 1822 haben die Eichendorffs ihre Besitzungen verloren. Schon zur Studienzeit der Brüder war die Familie verarmt.
Am Ende des Lebens wanderte der Greis auf dem Höhenschloß Johannesberg über kühle Terrassen und durch stille Parks und notierte: „Aus den Papieren eines Einsiedlers (…): Ich sitze hier auf den Trümmern meines Geburtsorts, das Schloß ist abgebrannt; der alte Ziergarten verwildert: einzelne Alleen, Statuen. Aber Alles verlassen, still, nur die Nachtigallen schlagen noch, wie damals. Alles todt, keiner kennt mich mehr. – Dabei unermeßliche Aussicht über die Länder (…) Mein vergangenes Leben aus der Vogelperspektive: Szenen aus meiner Jugend aus Lubowitz. (…) Dazwischen ernste und humoristische Predigten über Ruhm, Eitelkeit, Dichterberuf, Tod (…) – Durch das Ganze ein tragisches Gefühl von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Weltglanzes und Lebens (…).“
Dies barocke Lebensgefühl, gemischt mit der romantischen Sehnsucht nach dem Unendlichen, geht durch Leben und Werk, verleiht beiden Atmosphäre und Würze, der Lyrik aber ihren gewaltigen, melodischen Klang. Und so wurde eben dies Eichendorffs Zeichen, seine Legende, die sich eingrub ins musische Gedächtnis deutscher Sprache.
Diesseits der archetypischen Qualität von Eichendorffs Weltschmerz läßt sich der biographisch-historische Kern seines Urerlebnisses rekonstruieren. Er stellt sich dar als Verkettung subjektiver und objektiver Faktoren. Eichendorff wuchs auf in der patriarchalisch-spätfeudalen Lebenswelt des schlesischen Landadels. Dessen Lebensform war agrarisch strukturiert. Bäuerlich orientierte man sich am Rhythmus des Jahreskreises, Urbanität lag fern. Preußische Staatlichkeit war neu, die kulturelle Prägung altösterreichisch.
Solch ländliche Welt war ‚außergeschichtlich‘, gewahrte die Zeitereignisse nur aus weiter Ferne. Und doch fällt Eichendorffs Geburt zeitlich mit der Französischen Revolution zusammen. Diese wurde zum historischen Katarakt, zur klassischen Krise. Zwischen 1789–1815 häufen sich die Ereignisse, Schlag auf Schlag. Dann folgen die Revolutionen von 1830 und 1848. Das identifizierten kluge Zeitgenossen als Revolution „in Permanenz“. Weit fehlt das Klischee, die Romantiker seien naiv und weltflüchtig. Ist doch das Gegenteil der Fall. War doch intensivste Zeiterfahrung unausweichlich: Okkupation, Säkularisierung, Fall der Kaiserwürde und des alten Reichs, dann der große Befreiungskampf. All das erlebt Eichendorff nicht als reifer Mann. Vielmehr prägen den Jugendlichen genau diese Jahre. So wächst er hinein ins prekäre Feld welthistorischer Turbulenzen, höchster Entscheidungen. Die Restauration mag manches zurückgebracht haben, doch gewiß nicht den Eichendorffs, die, verarmt, die künftige Ohnmacht des Adels vorauserlitten. Aus solchem Rückblick mußten dem Dichter die Zeit vor 1806, die Idylle des „ländlichen Jahrs“ und der Erlebnisraum der Natur als leuchtende Gegenwelt erscheinen.
Schließlich kommt seine biographische „Verspätung“ hinzu, rückt er 1788 doch als einer der letzten nach. Er hat alle romantischen Gefährten überlebt, begleitet nur von Bettina Brentano, die 1859 verstarb. Diese „Verspätung“ bedingt auch sein Eintreten in die Literatur 1815. Der junge Autor erbte das Glück und alle Schwere der Späten: Schiller hatte sein klassisches Drama geschaffen, Goethe die großen Romane verfaßt; die frühen Romantiker waren lang schon tot: Wackenroder, Novalis, Runge; selbst „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798) von Tieck, romantisches Grundbuch und poetisches Modell auch Eichendorffs, war Legende.
So entspann sich dies Leben zwischen drei Revolutionen, gesättigt vom Glück und der Tragik einer Weltwende. Abschied und Heimweh lauteten sein Schmerz, die Erkenntnis am Ende aber ein Ankommen im Anfang.

Biographisches

Joseph von Eichendorff wird am 10. März 1788, zwei Jahre nach seinem Bruder Wilhelm, auf Schloß Lubowitz geboren. Nach häuslicher Erziehung kommt er mit seinem Bruder zusammen 1801 nach Breslau ins katholische Gymnasium, das ehemalige Jesuitenkolleg. Beide maturieren dort August 1803. Frühjahr 1805 reisen sie über Dresden und Leipzig nach Halle, wo sie drei Semester Recht studieren. In den Semesterferien 1806 zu Besuch in Lubowitz, werden sie dort überrascht vom Zusammenbruch des preußischen Staates bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober. Napoleon schließt die Hallenser Alma mater. So entschließen sich die Eichendorffs, das Studium in Heidelberg fortzusetzen, wo sie nach romantischer Donaufahrt Anfang Mai 1807 eintreffen. Die nächsten zwei Semester nehmen sie dort teil am Leben der jüngeren Romantik, deren Protagonisten Clemens Brentano, Achim von Arnim und Joseph Görres sich nun der Geschichte, dem Mittelalter und der Volksdichtung zuwenden. Die Eichendorffs sind Görres behilflich bei seiner Volksbücherforschung. Nach ihrer Pariser Kavalierstour, im Juli 1808 wieder in Lubowitz, versuchen sie, den Vater zu unterstützen. Doch die pessimistische Familienlage erzwingt 1809 die Entscheidung beider für die juristische Laufbahn. Zuvor reisen sie nach Berlin. Dort gehen sie um mit Armin und Brentano, Adam Müller und Heinrich von Kleist und erleben den vaterländischen Aufbruch im patriotischen Umkreis. Im November 1810 kommen die Brüder nach Wien, wo sie bis März 1813 ihre Studien abschließen. Wien entwickelt sich zum wichtigen Zentrum der Spätromantik. So schließen die Eichendorffs sich Adam Müller an, verkehren intensiv mit Friedrich Schlegel und Dorothea. Die Eindrücke bestimmen Joseph zur Abfassung seines ersten Romans, „Ahnung und Gegenwart“, der 1815 erscheinen wird. 1813 trennen sich die Wege der Brüder: Joseph folgt dem Aufruf Friedrich Wilhelm III. „An mein Volk“ und meldet sich zum Lützowschen Freikorps. Bis zum 2. Pariser Frieden im Oktober 1815 nimmt er am Kriegsgeschehen auf wechselnden Schauplätzen teil.
1819 tritt Eichendorff der preußischen Verwaltung bei. Er dient dort in diversen, teils subalternen Stellungen, ohne berufliche Aufstiegsmöglichkeit. Die Versuche, im katholischen Ausland unterzukommen, scheitern. So fristen die Eichendorffs von 1831 bis zur Pensionierung 1844 in Berlin eine bescheiden biedermeierliche Existenz.
Die Erscheinungsdaten seiner Werke signalisieren, daß es sich um einen Autor der Restauration handelt, der „Formenwelt des Biedermeier“ also, der in poetischen und kritischen Schriften, abseits des Jungen Deutschland und des Vormärz, eine spätromantische Linie zieht. Auf „Ahnung und Gegenwart“ (1815) folgen 1819 die Novelle „Das Marmorbild“ und 1823/24 die Satire „Krieg den Philistern“, 1830 das Historiendrama „Der letzte Held von Marienburg“, 1833 das Lustspiel „Die Freier“ und 1834 schließlich Eichendorffs zweiter Roman: „Dichter und ihre Gesellen“. Nach der Revolutionsnovelle „Schloß Dürande“ 1837 erscheinen die „Gedichte“, dann 1841 der Zyklus „Die Glücksritter“. Große Bedeutung erhalten in der Spätzeit seine Übersetzungen aus dem Spanischen, so Calderons geistliche Schauspiele, die in den Jahren 1846–53 herauskommen. Neben staatspolitischen und amtlichen Schriften arbeitet der Autor in späteren Jahren an ästhetisch-historischen.
Gleich nach seiner Pensionierung verbringt Eichendorff einen langen, glücklichen Aufenthalt 1846–47 in Wien; danach wohnt er in Danzig, Berlin, Köthen, Dresden und wieder Berlin, bis er 1855 nach Neiße übersiedelt, wo seine Frau am 2. Dezember stirbt. Nach Aufenthalten auf dem Landgut Sedlnitz und auf Schloß Johannesberg verstirbt Eichendorff in Neiße am 26. November 1857.
Eichendorff schreibt im Alter: „Ich bin 1788 mit der Revolution geboren, der politischen wie der geistigen, literarischen, und die letztere habe ich mitgemacht.“ Die romantische Bewegung war etabliert, die wissenschaftliche und philosophische Erneuerung in vollem Gang. In dies reiche Kulturleben nun tritt Eichendorff ein, er lebt an Orten, die zu wichtigen Schauplätzen der Romantik werden. Dabei kommt er ihren Exponenten nahe. Wollte man all dies würdigen, müßte man eine Universalgeschichte der Romantik verfassen. Das kann hier nicht geschehen. Doch sollen einige Momente aus Eichendorffs Werdegang: Schauplätze, Kräfte, Einflüsse, Personen, Zeitzeichen näher beleuchtet werden.

Merkzeichen Heimat

„O unglückseliger Mann, der fern von Land und Ländlichkeit …“, so beginnt ein Jugendgedicht Eichendorffs 1802, und noch 1853 lesen wir in einem Altersbrief: „… diese herbstlichen Abschiedslaute der Wandervögel, das Fallen der Blätter, als wollten sie unser Leben begraben; all das Bangen, Sehnen in die Ferne hinaus und doch wieder heimische Behagen in den wohlgeheizten sicheren Stuben, wenn es draußen schneit und stürmt – das alles gehört wesentlich dazu, ein rechtes Dichterherz zu vertiefen. Überhaupt kann ein Dichter wohl von Glück sagen, wenn er eine ländliche Heimat hat (…).“
Das belegt eindrucksvoll, wie des Dichters Heimatgefühl sich der schlesischen Natur verband. Lubowitz gibt ihm das Bild der Natur: das sanfte Profil der Hügel, die Anhöhe, von der man weit auf die Oder blickt; die dunklen Wälder am Saum emsig bestellter Felder; der nachlässig verwischte Park mit seinen Geheimnissen; endlich der nahe Schloßgarten, freundlich klar, mit bunten Blumen, Kiesornamenten, den Linien seiner Buchsbaumhecken. Wir sehen, wie der Dichter die kindliche Naturerfahrung umformt in visuelle und akustische Reize, die einen komplexen, synästhetischen Bildraum gestalten. Das Fenster, das Lehnen und Hinausschauen, fungiert dabei als symbolischer Schlüssel. Er begründet Eichendorffs Weltsicht, vermittelt die Sphären. Schnell wird deutlich, daß sich hinter der Naturerfahrung eine tiefe Wahrheit auftut, die alles menschlich Verworrene löst, in eine andere Dimension befreit: „Er öffnete das Fenster. Der herrliche Morgen lag draußen wie eine Verklärung über dem Lande, und wußte nichts von den menschlichen Wirren, nur von rüstigem Tun, Freudigkeit und Frieden. Friedrich spürte sich durch den Anblick innerlichst genesen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des festen religiösen Willens wurde wieder stark in ihm.“
Zunächst waren die Eichendorffs reiche Magnaten; sie reisten vierspännig durch ihre Ländereien. Mußte der prächtige Barockpalast Krawarn schon früh aufgegeben werden, so hat der kleine Joseph das vieltürmige Renaissanceschloß Tost auf stolzer Höhe festlich miterlebt. Wie von selbst hat es seine Phantasie später mit bunten Rittern bevölkert. Ganz anders dagegen das Gutshaus Lubowitz in verhaltenem Rokokostil, mit Mansardendach und klassischer Fassade. Sedlnitz schließlich, träumerischer Ort des Biedermeier, gemahnt an die Harlekinaden des Taugenichts. Und doch erlebt Eichendorff die Revolutionen, erschaut die Herrensitze „wie Leichensteine des versunkenen Tages“. Seine Bücher durchzieht eine endlose Reihe von öden, verlassenen, brennenden Schlössern – toten, stummen Ruinen gar.

Breslau

Die Breslauer Schulzeit bringt neue Bildungseindrücke. Die Erziehung der Jesuiten betont die Aufklärung; gleichzeitig wird der kindliche Glaube orthodox vertieft – beides Tiefenschichten von Eichendorffs späterem Wesen. Als Romantiker wird er die Aufklärung kritisch sehen, und doch bleibt da eine Schranke gegen die „spekulative Denkform“.
Als ganz neue Erfahrung tritt das Theater hinzu. Die Brüder Eichendorff werden Theaterenthusiasten. Die Maskerade geht ins eigene Leben über, pflegen die Lehrer doch die Tradition des geistlichen Spiels. So erhält Eichendorff eine tiefe Ahnung vom großen katholischen Barockdrama, dem kosmischen „Welttheater“ Spaniens.
Er wohnt mit Wilhelm im festlich gestimmten Barockbau des Josephkonvikts mit seinem geschweiften Giebel. Wenige Jahre später schreibt der Bau Geschichte: Als Teil der 1811 neuerrichteten Universität zieht hier das physikalische Institut ein und mit ihm Henrik Steffens (1773–1845), der romantische Naturphilosoph. Seine Brandreden gegen Napoleon werden dort 1813 zum Signal des vaterländischen Aufbruchs. Die nationale Erhebung geht von Breslau aus.

Halle

In Halle stößt Joseph auf die altständische Welt der Studenten: bunt, derb, turbulent. Sie raufen unaufhörlich, besaufen sich und genießen doch sagenhaftes Ansehen in der Stadt. Die Alma mater selbst: eine Reformgründung des brandenburgischen Staates 1690, Stätte der Früh- und Hochaufklärung, bevorzugt praxisnahe Ausbildung und zieht bedeutende Gelehrte an. Durch den Pietismus August Hermann Franckes und seiner Stiftungen erhält Halle seinen besonderen Platz in der deutschen Frömmigkeit.
Im Jahr 1805 ist der Ort ein Treffpunkt der Romantiker, lehren hier doch Henrik Steffens und Friedrich Schleiermacher (1768–1834). Schleiermacher, bedeutendster evangelischer Theologe der Romantik, spielt eine gewichtige Rolle. Seine Schriften entwerfen – von den „Reden über die Religion“ (1799) bis hin zur „Glaubenslehre“ (1821) – eine neue Idee des Religiösen, das er von rationaler wie ethischer Dominanz befreit. Steffens, seine „hinreißende Erscheinung“ und „begeisterte Rede“, fasziniert die Jugend. In Halle wird er stracks in turbulent naturphilosophische Kontroversen mit den Empiristen verwickelt, woran die Studenten johlend Anteil nehmen.
Daneben lockt das Theater. Ins nahe Kurörtchen Lauchstädt veranstalten die Studenten wahre Wallfahrten. Auf der dortigen Miniaturbühne bietet Goethe seine Inszenierungen sommers dar, so Schillers Dramen. Der Meister ist das Idol der jungen Intellektuellen. Wie deren brausende Schar der zwergenhaft zierliche, pastellfarbene Theatersaal fassen mochte, bleibt ein Mirakel.
Zum Naturerlebnis wird das sanfte Tal der Saale. Es lockt ins Freie. Als Ziel winkt die krause Turmruine in ihrer „verwilderten Einsamkeit“:
„Da steht eine Burg überm Tale / Und schaut in den Strom hinein, / Das ist die fröhliche Saale, / Das ist der Giebichenstein. // Da hab’ ich oft gestanden, / Es blühten Täler und Höhn, / Und seitdem in allen Landen / Sah ich nimmer die Welt so schön!“
Eben dort lag das Anwesen des Kapellmeisters Reichardt, die „Herberge der Romantik“. Ein und aus gingen hier Goethe, Tieck, Schlegel, Fouqué, Arnim, Novalis, die berühmten Professoren und Prinz Louis Ferdinand. Steffens hat uns die anmutige Geselligkeit geschildert: „Wenn oft an schönen lauen und stillen Sommerabenden die alten wehmütigen lyrischen deutschen Gesänge, von dem Waldhorn begleitet, in dem stillen Garten erklangen, war der Eindruck hinreißend. (…) eine stille, friedliche, idyllische Ruhe herrschte auf dieser geweihten Stätte …“

Heidelberg

Zum überwältigenden Erlebnis wurde Heidelberg. „Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen und Wälder ein wunderbares Märchen aus der Vorzeit, als gäb es nichts Gemeines auf der Welt.“ Und doch ließen schrille Töne nicht lang auf sich warten.
So kam es zum Konflikt mit dem alten Heinrich Voß, dem Homer-Übersetzer. Der verfolgte ebenso ingrimmig die neue Kunde der Mythen und Symbole wie die folkloristische Tendenz der jüngeren Romantik. Sein spezieller Haß galt Friedrich Creuzers Genie (1771–1858), das die tiefe Korrespondenz der mythischen Bilder ans Licht zog, so aber den Primat griechischer Klassik bedrohte.
Eben Creuzer schrieb 1804 an Clemens Brentano: „(…) wann ich jetzt bei meinen einsamen Wanderungen in den mächtigen Ruinen des hiesigen Schlosses unsere neudeutsche Kleinheit fühle, empfinde ich lebhaft, daß diese Stadt ein Ort für Männer sei, die das alte große Deutschland in ihren Herzen tragen – für wahre Poeten wie Sie und Tieck – die den alten Romantischen Gesang in seiner Tiefe aufzufassen und (…) wieder zu beleben vermögen.“
Als Eichendorff hier einzog, wohnten Brentano (1778–1842) und Achim von Arnim (178–1831) schon hier. Nach der legendären Rheinreise waren sie mit der Herausgabe des „Knaben Wunderhorn“, ihrer Sammlung altdeutscher Volkslieder, beschäftigt; die machte großes Aufsehen (1805–08). Gleichzeitig veröffentlichte Joseph Görres (1776–1848) sein Opus über die deutschen Volksbücher (1807); und später (1812/15) schlossen sich die Brüder Grimm dem an mit ihren „Kinder- und Hausmärchen“. Das inspirierte Eichendorff, nun selber oberschlesische Sagen und Volkslieder zu sichten. Ging seine Kollektion auch verloren, bleibt uns doch die poetische Anschauung: wie er die alten Texte im dichterischen Wort sich aneignet.
„In einem kühlen Grunde, / Da geht ein Mühlenrad, / Mein’ Liebste ist verschwunden, / Die dort gewohnet hat.“ (…) // „Hör’ ich das Mühlrad gehen: / Ich weiß nicht, was ich will – / Ich möcht’ am liebsten sterben, / Da wär’s auf einmal still.“
Neben Friedrich Schlegel trafen die Eichendorffs in Görres den bedeutendsten Menschen ihres Lebens – die vielleicht mutigste Gestalt deutscher Literatur überhaupt. Görres, denkerisch wie sprachlich ein Universum für sich, ragt nicht nur als enzyklopädische Ein-Mann-Uni hervor: Rastlos durcheilte er alle Welten, von der politischen Publizistik über die Religionsphilosophie und Ästhetik bis hin zur Physik – und alles von gewaltigem Zuschnitt. Seine bewegte Biographie trug ihn vom rheinischen Jakobiner bis hin zum Künder der christlichen Mystik und Kirchenkämpfer im Alter. Jetzt, in Heidelberg, entdeckte er das Mittelalter in seinen christlichen, volkstümlichen und nordischen Bezügen, bevor seine Philologie sich zur universellen Religionsschau weitete.
Görres, so Eichendorff, war „ein Prophet, in Bildern denkend und überall auf den höchsten Zinnen der wildbewegten Zeit weissagend, mahnend und züchtigend“. Die Freundschaft mit Görres überdauerte alles andere.

Idealismus

In diesen Jahren kam Eichendorff mit dem Deutschen Idealismus in Berührung, der ja mit dem romantischen Impuls weithin verschmilzt. Waren die Romantiker philosophisch doch glänzend geschult, hatten (bei) Fichte studiert, die Kant-Debatte verfolgt, waren vom jungen Schelling begeistert. So gipfelt ihre Bewegung in dem „philosophischen Direktorium“ mit Görres, Franz von Baader, Friedrich Schlegel, Adam Müller und eben Schelling. Deren „positive Philosophie“ ist hier nicht auszubreiten – nur soviel:
Das Projekt einer idealistischen Metaphysik nach Kant – im Bestreben, das Ganze der Wirklichkeit zu fassen und systematisch darzustellen – war notwenig: gegen kirchlich-theologischen Verfall und den Atheismus der Zeit. Die Philosophen eilen Gott zu Hilfe. Ihre Spiritualität erfüllt die Epoche und läßt die Wissenschaften erblühen. Den geistigen Schwung hat keiner so gut gefaßt als Steffens: „Diese Ansicht des allumfassenden Lebens war es, die meine Jugend (…) beherrschte.“ Was mein „Gefühl (…) suchte, war nicht irgendeine bloß äußerliche Beziehung der Natur, sondern jene innere geistige Einheit in allem.“
Als Romantiker und Freund der „Enormen“ steht Eichendorff diesen Ideen nah. Freilich verstärkt sich im Lauf der Zeit seine Scheu vor dem denkerisch Gewagten.
Sein philosophisches Verhältnis hat er im Spätwerk exemplarisch an Schelling aufgezeigt. Gut erfaßt er das Problemerbe neuzeitlicher Subjektivität im Bemühen des nachkantischen Denkens, die Bewußtseinsphilosophie zu überwinden. Der Idealismus soll das Autonomiepostulat umkehren und „zu dem ursprünglich Göttlichen über dem Ich zurückkehren. Das versuchte Schelling philosophisch zu vermitteln, indem er das Ideale und Reale als Eines begründet im Absoluten, aus dem das Ich und die reale Welt hervorging und das also die Identität von Natur und Geist oder Gott selber ist. Dieser Totalanschauung des Lebens gemäß sind Wissenschaft und Religion [Hervorbringungen] jenes Absoluten, die Weltgeschichte nur die Selbstentwicklung und Offenbarung desselben, der Staat sein organischer Körper, die Schönheit aber die endliche Darstellung des Unendlichen vermittelst der Kunst. (…)
Man sieht (…), wie nahe verwandt diese Philosophie der Romantik war, indem sie eigentlich eben nur das wissenschaftlich begründete, was gleichzeitig die Romantik an den einzelnen Erscheinungen des Lebens poetisch nachzuweisen strebte“.

 

Berlin – Wien

Seit seinem ersten Aufenthalt 1809, vor allem aber dann seit 1831 hat Eichendorff sein Leben weitgehend in Berlin zugebracht – freilich ungern. Dagegen die Sehnsucht nach Wien! Am liebsten flöge er „mit unbeschreiblicher Freude in mein liebes altes Österreich zurück.“ Betrachtet man diesen Hang zum Süddeutschen, so wird man nicht nur landschaftlichen Reiz, katholische Frömmigkeit und altösterreichische Courtoisie sehen. Vielmehr machten mittelalterliche und barocke Traditionen den besonderen Charakter Wiens aus. Sie fehlten Berlin ganz: der mittelalterliche Stadtkern, die herrlichen Kirchen und Theater, Musik, die zahlreichen Feste und Wiener Belustigungen, die Volkssänger in den Gassen und bunten Trachten in der Vorstadt, schließlich der „gute Kaiser Franz“. Dagegen das platte Berlin auf der hölzernen Elle, mit seinen schnurgeraden Straßen, seinen Vernünftigkeiten und Nützlichkeitsticks!
Man wird Eichendorff leichter verstehen, versenkt man sich in die Bildwelt des Wiener Biedermeier: die Gemälde und Druckgrafik der Opitz, Danhauser, Amerling, Waldmüller und Schwind. Da betrachten wir Marktszenen, Bauernhochzeiten, Amüsements im Prater, Karussells und Limonadenbuden und Weinseligkeit, Reiten und Ausfahren im Sommer, Eislaufen winters, dann viele Familienporträts in häuslicher Aura, innige Figuren von Mutter und Kind, elegische Fräuleins mit flotten Federhüten und würdige Matronen in prächtigen Hauben, kaiserliche Redouten und kirchliche Volksfeste, Tanzvergnügen und Theaterspektakel, eitle Verschwender und sorglose Kinderspiele, schließlich Erzherzog Johanns Schloßgarten in Strechau: ein heimlich’ Paradies voll blüh’nder Bäume.

Romantische Weltanschauung

Richard van Dülmen hat verdeutlicht, daß die Jahre nach 1806 der Deutschen Bewegung andere Orientierungen aufdrängten als den Intellektuellen der 1770er oder 1790er Jahre. „Mit der Niederlage Preußens 1806 treten allgemein neue Themen in den Vordergrund (…), es sind dies (…) die geistig-politische Erneuerung (Preußens), der patriotische Einsatz gegen Napoleon und das Bekenntnis zur deutschen Nation (…). Auch die Romantiker blieben davon nicht unberührt: das weltbürgerlich-emanzipatorische Interesse des einzelnen Individuums tritt zurück, während die ‚alten‘ Werte, Christentum, Familie und Monarchie wieder stärker in den Vordergrund rücken; damit ist noch keine Restauration gemeint: Denn die neuen Vorstellungen der christlichen Religion, des Familienlebens und der ‚Volksmonarchie‘ unterscheiden sich wesentlich von den politischen Zielen der Restauration (…).“
In seinem Roman von 1815 läßt Eichendorff einen Ritter sagen, die Welt wimmele „wieder von Heiden. Die Burgen sind geschleift, die Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abschied genommen, und die Erde schämt sich recht in ihrer fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch eines einsam auf dem Felde steht; aber die Heiden hantieren und gehen hochmütig vorüber und schämen sich nicht“. – radikale Kulturkritik, die den geschichtsphilosophischen Pessimismus mit einem Satz ausdrückt.
Um so begreiflicher, daß die geistige Bewegung sich nun als Widerlager und konstruktive Kraft begreift. In diesem Sinn hat der Autor in „Halle und Heidelberg“ eine Kurzdefinition der Romantik gegeben. Er nennt sie eine „innere Regeneration des Gesamtlebens“ – als neue Ahnung von Schönheit und der symbolischen Bedeutung der Kunst, die das religiöse Gefühl erwecke. Der Religion kommt zentrale Bedeutung zu, integriert sie doch den „ganzen Menschen“, spricht ihn also in der Totalität seiner Fähigkeiten an. Sie gilt als höchstes Vermögen.
Analog dazu konzipieren die Romantiker nun Gesellschaft, Staat und Königtum. Eichendorffs staatstheoretische Anschauung entwickelt die Denkschrift „Preußen und die Konstitutionen“ (1832). Dort heißt es: „Lebendiges Heil (…) wird daher nur in der Mitte dieser streitenden Meinungen gefunden werden. Wir meinen nicht jene mechanische Mitte, welche in allgemeiner Mittelmäßigkeit eine Kraft durch die andere [aufhebt] und somit die Schaukel der Zeit (…) in gleichgültiger Schwebe“ hält, „sondern jene Höhe über dem Streit, auf welche die Regenten von Gottes Gnade berufen. (…) Sie sollten erkennen, daß dem Streite da unten zwei mächtige Elemente zum Grunde liegen: der lebendige Freiheitstrieb einerseits, auf dem die Bewegung, die Ehre und Individualität der Nationen beruht, und andererseits das tiefe Naturgefühl der heimatlichen Anhänglichkeit, der Treue und des Gehorsams, (…) welche wie der Glockenklang einer unsichtbaren, gemeinsamen Kirche durch alle Zeiten und Völker geht.“
Er folgert deshalb, eine Verfassung sei nicht willkürlich, dürfe nicht „gemacht“ werden, sie müsse 1) „alle Elemente des Volkslebens umfassen“, 2) „der physiognomische Ausdruck der Individualität eines bestimmten Volkes sein“ und 3) „mit und in der Geschichte der Nation (…) organisch emporwachsen wie ein Baum“. Sodann heißt es, jeder Verfassung komme nur relativer Wert „durch Identität mit ihrem Lande und Volke“ zu. Ihr Bestand werde garantiert nur durch das stabile Zusammenwirken der öffentlichen Gesinnung mit dem Monarchen, von „König und Volk zu einem untrennbaren nationalen Ganzen“.

Zur Dichtung Eichendorffs

Die existenzielle Ebene hat für den Dichter großes Gewicht. Sie führt ihn zu Grundhaltungen, die er poetisch fruchtbar macht. Zunächst hat die geschichtliche Verstörung eine umfassende Entfremdung ausgelöst. Diese Erfahrung bestimmt die dichterische Weltsicht. In der Konsequenz heißt es in „Ahnung und Gegenwart“: „Das Auge hat in sich Raum genug für eine ganze Welt (…).“
Diese Wendung nach innen schafft archetypische Figuren wie Einsiedler und Wanderer.
Beide wirken zusammen mit den „zwei Grundhaltungen“ Eichendorffs: dem Heimweh und dem Fernweh – die sich zunächst ausschließen, hier jedoch paradox zusammen gehen. Dazu kommt der Widerstreit von Zeit und Ewigkeit. Aus der Zeit, die „verwüstend rauscht“, entspringt das „Ewigkeitsgefühl, die Gleichgültigkeit, ja das Mißtrauen gegenüber der äußeren Gestalt der Dinge“ (Ermatinger). Die Sehnsucht treibt den Menschen aus all dem heraus. So schreibt Eichendorff 1817: „Wie sehnt sich meine ganze Seele nach jener altgewohnten Abgeschiedenheit und Unbeflecktheit von den alltäglichen Welthändeln, wo ich, mitten in einer der volkreichsten Städte, von dem großen Strome des Lebens nur das ferne Rauschen vernahm, das uns so wunderbar in die Tiefe versenkt.“
Schon die ältere Forschung erkannte das Wiederauftreten des barocken Lebensgefühls, das den Mensch auf seine ewige Bestimmung und himmlische Heimat weist. Es benennt eine universelle Reaktionsform auf die Abgründigkeit von Welt und Zeitlichkeit. Als modern erscheint das spezifische Sehnsuchtsmoment – komplementär zum Impuls der Distanzierung. Emil Ermatinger meint damit die Tendenz zur „Fernrückung alles Sinnlich-Bestimmten, der Flüchtigkeit aller Eindrücke“, die poetologisch bei Eichendorff zur „Beschränkung auf die (…) Linie des Allgemein-Gattungsmäßigen“ führt.
Hier liegt der Ursprung seines Desinteresses an Details, Individualisierung und Charakteristik von Schauplätzen und Figuren. Stets sind es Stereotype; weite Partien seiner Prosa wirken völlig klischiert. Das betrifft auch die Naturdarstellung, die nur wenige Elemente monoton variiert: stets rauschen die Wälder, wallen die Brunnen; glänzende Ströme ziehen in der Ferne vorbei und Reiter von Schloß zu Schloß; Nachtigallen schlagen an, Bäche murmeln still; lustige Studenten fahren den Rhein hinab und grüßen schöne Frauen am Ufer.
Wieder anders relativieren Ironie, humoristisches Spiel und Satire. Hierher gehört die Philisterschelte als parodistische Verulkung des Spießers. Der Philister als Antityp, seine Verhöhnung durchziehen die ganze Romantik. Eichendorffs Pauke lautet „Krieg den Philistern“ (1824); zum poetischen Gegenbild wird indes seine Taugenichts-Erzählung, die einen romantischen Hans im Glück einer zweckrationalen Welt gegenüberstellt.

Ahnung und Gegenwart

Eichendorffs erster Roman, Modell seiner Weltsicht und Poetik, entstand 1810–12 und erschien 1815 – wieder ‚verspätet‘. Er drückt die große, innere und äußere Erwartung einer Zeitwende aus, die nun zunächst 1813/14 erfüllt schien. Die Erzählung spiegelt einen düster-pessimistischen Grundton, eine existenziellen Spannung, die sich in apokalyptischen Bildern entlädt. Solch biblische Atmosphäre hat Eichendorff mit seinen humoristischen Erzählungen später konterkariert; der zweite Roman, „Dichter und ihre Gesellen“ (1834), wurde zum heiteren Gegenstück des Jugendwerks. Doch entfaltet dies ein Panorama an Motiven, Figuren, Stimmungen, Verhältnissen, die schon den ganzen Eichendorff zeigen. Gleichwohl bleibt es für uns harte Kost, müssen wir uns doch durch eine sentimental journey quälen, die, überwältigend monoton, stets dieselben Reize und Bilder rekapituliert.
Vertrackt ist zweifellos unsere Prägung durch den bürgerlichen Roman der Folgezeit: den realistischen Erzählduktus, seine Erfahrungsfülle und Charakteristik. Von „Anna Karenina“ aus wirken romantische Romane kindlich. Schon Goethe hat am „Sternbald“ mangelnde Anschauung gerügt.
Doch handelt es sich bei den romantischen Autoren um ein anderes „Kunstwollen“. Sie reflektieren je spezifisch ihre Situation, gestalten das Zeitschicksal symbolisch. Weshalb es absurd wäre, dies als hermetische Kunstrealität ohne Außenbezug zu werten. Vielmehr sind die Zeitzüge das eigentlich Interessante.
Die Reflexion bedingt dabei auch Selbstkritik, die Infragestellung romantischer Fehlhaltungen und Gefahren. Das betrifft sämtliche Einwände, die man seit den Jungdeutschen der Romantik vorwirft. Diese nahm jene sämtlich vorweg! So gibt es eine schlagende Parodie des Sentimentalen. Sie spießt die Relativismusgefahr auf, das Risiko eitler Selbstgefälligkeit. Und sie vollendet sich im Menetekel einer Literatur als „Betrieb“. „Friedrich aber dachte: in euch wird doch alles Wort nur wieder Wort.“ Was Friedrich dagegen sucht, ist der „Geist als Leben, das selbst ins Leben schneidet“, kein ödes l’art pour l’art.
Es geht um Sinn und Bestimmung des eigenen Lebens. Daraufhin streben Friedrich und der ganze Roman zu. So ist „Ahnung und Gegenwart“ auch ein Bildungsroman in Nachfolge des „Wilhelm Meister“. Doch findet in ihm keine eigentliche Entwicklung statt, der Held ist an sich fertig; er steht dem „Simplizissimus“ näher als Goethes bürgerlichem Protagonist. Im Unterschied zu Goethe, Keller, Stifter wird der Held durch die Erfahrung nicht reicher, erfüllter, vollendeter, sondern leerer und verzweifelter. Goethes Held wächst in die Welt hinein, Eichendorffs Held aus ihr heraus. Deren Nichtigkeit erkennt er zuletzt klar und geht ins Kloster.
Auch die Verpflichtung fürs Gemeinwohl nimmt eine wichtige Stelle im Roman ein. Der Held politisiert sich, und er erkennt seine patriotische Pflicht, bis es heißt: „Sein ganzes Sinnen und Trachten war endlich auf sein Vaterland gerichtet“. Er zieht in den Tiroler Befeiungskampf; der schlägt fehl. So tritt eine spirituelle Wende ein. Ausdrücklich sieht Friedrich: Alle irdische Reform greift zu kurz: „Es ist noch nicht an der Zeit, zu bauen (…) Mir scheint in diesem Elend (…) keine andere Hülfe, als die Religion. Denn wo ist in dem Schwalle von Poesie, Andacht, Deutschheit, Tugend (…) ein sicherer Mittelpunkt, aus welchem alles dieses zu einem klaren Verständnis, zu einem lebendigen Ganzen gelangen könnte?“ Der „Geist Gottes“ solle die Gemüter durchdringen, „dann erst wird es Zeit sein, (…) zu handeln (…) Und in dieser Gesinnung bleibe ich in Deutschland und wähle mir das Kreuz zum Schwerte“.

Lyrik

Die Romantik ist lyrischen Charakters. Sie streut lyrische Stücke in Roman und Drama, viele Autoren veröffentlichten Gedichte. Doch hat sie nur zwei Meister hervorgebracht: Clemens Brentano und Eichendorff. Während sich Brentano als Problemnatur auch in der Lyrik vielschichtig, hintergründig zeigt und komplizierte Formen bevorzugt, ist nur Eichendorff wirklich populär geworden – nicht zuletzt durch zahlreiche Vertonungen. Seine Texte sind eingängig und singbar, zwingend natürlich, sie werden von großem melodischem Fluß getragen. Die herrliche Musikalität läßt dabei seine begrenzte Welt vergessen. Überall aber verweist der intensive Ausdruck auf den existenziellen Rang dieser Gedichte. Sie orientieren sich an der großen Polarität Lebensfreude und Wehmut:
„Die treuen Berg’ stehn auf der Wacht: / ‚Wer streicht bei stiller Morgenzeit / Da aus der Fremde durch die Heid’?’ – / Ich aber mir die Berg’ betracht’ / Und lach in mich vor großer Lust, / Und rufe recht aus frischer Brust / Parol’ und Feldgeschrei sogleich: / Vivat Österreich!“
Und dann:
„Und alles irrt zerstreuet – / Sie ist so schön und rot – / Ich hab’ nichts, was mich freuet, / Wär’ ich viel lieber tot!“
Besonders die Lyrik macht das Ineinander von Fernsucht und Heimweh klar.
So im Reisegespräch: Das Unterwegssein an sich sei positiv, „nicht dahin und dorthin, sondern in die weite Welt hinein“ – entgegen dem ziel- und zweckbestimmten Reisen. Dagegen sei das „Leben der meisten eine immerwährende Geschäftsreise“, wohingegen „das Leben der Poetischen ein freies, unendliches Reisen nach dem Himmelreich“ ist. Die Vorstellung ist also dreigestuft: dem funktionalen Reisebegriff tritt ein freier, selbstbestimmter entgegen, der indes religiös aufgehoben wird. Dieser Gesichtspunkt löst das Paradox von Fern- und Heimweh: Ist die „kleine“ Heimat die konkrete der eigenen Kindheit, die Herkunft, so die „große“ die eigentliche des Menschen bei Gott. So fallen Wanderschaft und Heimweg letztlich in eins.
Eichendorff hat seine Gedichte nach Wanderliedern, Sängerleben, Zeitliedern, in Frühling und Liebe, Totenopfer, Geistliche Gedichte, Romanzen gegliedert, dazu kommen Übersetzungen aus dem Spanischen. Formal gestaltet er einfacher als die Großmeister der Zeit: Schiller, Hölderlin, Brentano, Platen, er bevorzugt die einfache Liedform, meist vierzeilig: „Der Morgen, das ist meine Freude! / Da steig’ ich in stiller Stund / Auf den höchsten Berg in die Weite / Grüß’ dich, Deutschland, aus Herzensgrund!“ Doch kommen auch reichere Strophenformen vor, wie im „Einsiedler“: „Die Jahre wie die Wolken gehn / Und lassen mich hier einsam stehn, / Die Welt hat mich vergessen, / Da trat’st du wunderbar zu mir, / Wenn ich beim Waldesrauschen hier / Gedankenvoll gesessen.“
Beweis für die Tragkraft und Spannweite der Eichendorffschen Lyrik sind seine Vertonungen, die seine Texte zu Volksliedern machten wie im „frohen Wandersmann“ („Wem Gott will rechte Gunst erweisen, / Den schickt er in die weite Welt“) bis hin zur monumentalen Eichendorff-Kantate „Von Deutscher Seele“ (1922) von Hans Pfitzner.

Aus dem Leben  eines Taugenichts

Eichendorffs Novelle von 1826, sein Erfolgstext überhaupt, ist das bezeichnendste literarische Dokument der Spätromantik. Kein romantischer Text ist so verbreitet und beliebt bis heute.
Er erzählt die Schicksale eines drolligen Müllersohns, den sein Vater als Faulpelz wegjagt. Also schnappt er sich seine Fiedel und verschwindet ins Weite, läuft glücklich in die Welt hinein. Er kommt auf einen adeligen Landsitz, wo er sich in die schöne Gräfin verliebt. Man macht ihn zum Gärtnerburschen, dann Einnehmer, da fühlt er sich betrogen. Auf einen Baum gekraxelt, sieht er „seit langer Zeit (…) wieder einmal so recht weit in das Land hinaus, wie da schon Schiffe auf der Donau zwischen den Weinbergen herabfuhren, und die (…) Landstraßen wie Brücken über das schimmernde Land sich fern über die Berge und Täler hinausschwangen“. Da „packte mich auf einmal wieder meine ehemalige Reiselust: alle die alte Wehmut und Freude und große Erwartung. Und so nahm ich die Geige von der Wand, ließ Rechnungsbuch, Schlafrock, Pantoffeln (…) liegen und wanderte, arm wie ich gekommen war (…), auf der glänzenden Landstraße von dannen“. So geht es lustig hinunter nach Italien. Er wird verwickelt in eine Kette von Abenteuern, Verwechslungen, Liebeleien, alles geht geheimnisvoll zu, der Handlungsfaden schnurrt märchenhaft ab. Er trifft Räuber, die sich als Maler entpuppen, kommt in fidele Wirtshäuser, wo er frohgemut zum Tanz aufspielt, wird auf ein prächtiges Schloß verschlagen, wo man ihn prinzlich hofiert, er entwischt, kommt nach sagenhaften Fahrten endlich nach Rom, das sich ebenso schillernd und mysteriös zeigt: wieder schöne Frauen, leere Häuser, lustige Maler, Verwechslungskomödien, doch scheinen ihn alle zu kennen, man erzählt von Zuhause, auch seine schöne Angebetete war hier, er tanzt und fiedelt und pokuliert mit dem heiteren Landvolk – bis es schließlich heimgeht, nach Österreich; mit Prager Studenten fährt er die Donau hinab, wunderbar kommen sie wieder zum Palast, von dem er auszog; die schöne Frau ist da, sie liebt ihn, ist gar keine Gräfin, und die Herrschaft schenkt beiden ein Schloß mit Garten und Springbrunnen. „Sie lächelte still und sah mich recht vergnügt und freundlich an, und von fern schallte immerfort die Musik herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloß durch die stille Nacht über die Gärten, und die Donau rauschte dazwischen herauf – und es war alles, alles gut!“

Ein Jahrtausend deutscher Romantik: Eichendorffs letztes Wort

Am Lebensende steht nicht Poesie, vielmehr ein Rückblick auf die deutsche Nationalliteratur. In diesem kühnen Werk, das versucht, es den germanistischen Säkularprojekten gleichzutun, hat Eichendorff seine historisch-kritischen Schriften zu einer katholischen Summe vereint. Denn: so sehr das Unternehmen am Historismus der Zeit teilhat, orientiert es sich doch an katholischen Prinzipien. Eichendorff hat mit seiner „Geschichte der poetischen Literatur in Deutschland“ (1856) nicht nur ein romantisches Gegenbuch zu linken sowie borussischen Positionen verfaßt. Es setzt ein letztes Wort der Romantik und ist zugleich konfessionelle Publizistik – deshalb auch nicht frei von einem gewissen Milieukatholizismus. Er bedingt bizarre Fehlurteile, so zur Weimarer Klassik: Schiller etwa wird ganz abgelehnt.
Doch das bleibt nebensächlich. Eichendorffs großes Werk, schnell vergessen und unbekannt geblieben, ist veraltet nach Material, Konzept, Begriff und Urteil. Und doch bleibt es wertvoll, formuliert es doch prägnant seine Werte über Geschichte, Kultur, Nation, Poesie und Mensch. Vor unseren Augen ersteht eine kohärente Lehre über Weltsinn und menschliche Bestimmung. Der leitende Gesichtspunkt ist religiös. Religion bestimmt er als universelles Bedürfnis, die transzendente Orientierung ist sein Dreh- und Angelpunkt, betrifft sie doch den ganzen Menschen. So wird ihm auch die Geschichte zum Auf und Ab zentrifugaler und zentripetaler Kräfte, „ein beständiger Kampf zwischen himmlischer Ahnung und irdischer Schwere“, die große Kreise „um den ewigen Mittelpunkt beschreiben“. In diesem metaphysischen Ringen nehmen die Völker ihre Rolle ein. Und auch die Kunst hat ihre Mission. Eichendorff verknüpft ganz romantisch alle drei. „Alle Poesie ist nur Ausdruck (…); die innere Geschichte der Nation aber ist ihre Religion; es kann daher die Literatur eines Volkes nur verstanden (…) werden im Zusammenhang mit dem [je] religiösen Standpunkt.“ Das macht für ihn die Schwierigkeit, das nachreformatorische Deutschland zu würdigen, ist es doch kirchlich „gefallen“: Es hat „die revolutionäre Emanzipation der Subjektivität [zum] Prinzip erhoben, indem [es] die Forschung über die kirchliche Autorität, das Individuum über das Dogma gesetzt (…)“.
Gottlob ficht Eichendorff das über weite Strecken nicht an. Als Romantiker würdigt er liebevoll die Anfänge, behandelt ausgiebig Sagen, Legenden, frühe Epen, dann die Volkslieder. Dankbar bekennt er sich zum Pionier Herder, dessen berühmte Sammlung er „gleichsam eine Generalkarte der Poesie“ nennt, „welche die poetischen Individualitäten aller Zeiten und Völker der Erde in ihren Volksliedern nachweist“.
Er begrüßt ausdrücklich Herders universale Hermeneutik, die den ‚göttlichen Spuren‘ in der Welt nachgeht. Und doch kommt wieder tiefes Mißtrauen auf, so bei Herders humanistischer Geschichtsphilosophie; die den ‚heiligen Text‘ entgrenzt. Das stößt den exklusiv Gläubigen zurück. Es gibt da eine unübersteigbare Schranke: den Konflikt von dogmatischer Theologie und kulturellem Verstehen. Diesen Wiederspruch zu vermitteln, war Eichendorff versagt.
Doch bleibt zuletzt – trotz allem – sein Bekenntnis zum deutschen Geist, der, „tiefer in die verborgenen Prinzipien des inneren Lebens [strebt], wo jene Elementarkräfte nicht mehr getrennt erscheinen, sondern aus der gemeinsamen Wurzel die vollständige Kraft des lebendigen Bewußtseins im Denken und Bilden hervorgeht“ (F. Schlegel).
Eichendorff, der Romantik „letzter Ritter“, gehört mit dem Biedermeier einer fernen, vergangenen Zeit an. Und doch haben seine Ideen fortgewirkt. Seine Identifizierung romantischer mit der christlichen Poesie überhaupt, seine religiöse Auffassung des Dichterberufs und seine metaphysische Geschichtsschau von Verlust und Wiedergewinnung einer absoluten „Mitte“, fanden im 20. Jahrhundert Nachfolger: so in der neukatholischen Literaturauffassung, der Kunsttheorie des Expressionismus und der Geschichtsphilosophie der Traditionalisten.
Der Hans im Glück aus dem verwunschenen Zauberland seiner poetischen Phantasie, sein Taugenichts, bleibt ohnehin unsterblich. Und seine Lieder sowieso. Ihnen wird die Zeit nichts anhaben.

 

Literaturempfehlung

Aus dem Leben eines Taugenichts. Novelle. Gb. Anaconda 2006, € 2,95
Sämtliche Erzählungen. Tb. Goldmann 2007, € 9,95
Sämtliche Gedichte und Versepen. Gb. Insel 2007, € 15,–
Werke in einem Band. Gb. Hanser 2007, € 29,90
Gedichte, Versepen, Dramen, Autobiogaphisches. 1 B. gb. Dünndruck. Artemis & Winkler, € 49,90
Werke. 6 Bde. Ed. Wolfgang Frühwald. Gb. Deutscher Klassiker Verlag 1995, € 298,–
Die schönsten Gedichte. 1 Audio-CD. Argon 2006, € 6,49
Triffst du nur das Zauberwort. Texte. 1 Audio-CD. Jumbo 2007, € 14,95
Eichendorff. Novellen-Märchen-Gedichte.. 10 Audio-CDs. Universal 2007, € 49,99
Günter Schiwy: Eichendorff – Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie. 734 S. gb. Beck 2007, SA € 19,90
Hermann Korte: Eichendorff. Rororo Monographien. Reinbek 2000. kt. 7,90 €

 

 
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