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Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik

Von Sebastian Pella

In der nationalen Bewegung der Gegenwart herrschen oftmals starke Ressentiments gegenüber den christlichen Religionen vor, deren in den letzten Jahrzehnten vollzogene, freiwillige Einreihung in die Kreise der Apologeten eines rigiden Nationalmasochismus oftmals Angriffspunkte für eine generelle Ablehnung der beiden großen Konfessionen des deutschen Volkes darstellen. Gleichwohl standen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert große Teile der Protestanten und auch Katholiken treu zum deutschen Staat und bildeten den Kern eines gesellschaftlichen Konsens, der Vaterlandsliebe als ein die Nation zusammenhaltendes Grundprinzip betrachtete. An diesem Punkt gilt es anzusetzen, indem existente Ausgrenzungstendenzen gegenüber nationalen Christen unterlassen und das gemeinsame, eben politische Ziel in den Mittelpunkt gestellt wird.

Unter Rechtskatholizismus versteht man eine Strömung im politischen Katholizismus, die schon im Kaiserreich eine dezidiert preußisch-nationale Richtung vertrat und „nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend mit der nationalistischen Rechten der Weimarer Republik verschmolz“1. Der sich nach 1918 allmählich entwickelnde „Neue Nationalismus“, der „alle materiellen, moralischen, geistigen Probleme ausschließlich unter dem Gesichtswinkel der Nation, die man als den höchsten Wert“2 deklarierte, betrachtete, stellte für die Rechtskatholiken den natürlichen Verbündeten in der politischen Auseinandersetzung dar. Gleichzeitig erfolgte die strikte Ablehnung von Liberalismus und demokratischer Ordnung, die als mit den Prinzipien des Katholizismus unvereinbar erklärt wurden. Auf diesen Antiparlamentarismus gründete auch die tiefe Abneigung gegenüber der Programmatik der katholisch bestimmten Zentrumspartei. Nach deren Bejahung der republikanischen Staatsordnung wandten sich die nationalen Katholiken den existierenden Rechtsparteien oder den im Gefolge der innenpolitischen Radikalisierung entstandenen nationalistischen Organisationen und Bewegungen zu.
In der Person Martin Spahns existierte ein charismatischer Intellektueller, dessen dezidiert nationale Positionierung ihn alsbald zu einem führenden Kopf in der rechtkatholischen Bewegung werden ließ. Die in Spahns Publikationen postulierten politischen Ansichten und Grundsätze standen zumeist repräsentativ für den Rechtskatholizismus und wirkten als einigendes Band für diese prinzipiell sehr heterogen zusammengesetzte Gruppe.3 Die „nationalen“ oder „rechten“ Katholiken besaßen vorwiegend einen sozialen und beruflichen Hintergrund aus „der Akademikerschaft, dem (grundbesitzenden) Adel, dem Unternehmertum und dem Offiziersstand“4 und bildeten hiermit die innerkatholische Gruppe, der „die Einordnung in sozialkonservative Führungsschichten des Kaiserreiches bzw. die Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft und ihrer Eliten am vollkommensten gelungen war“5.
Abgesehen von Arbeiten über Martin Spahn6 marginalisiert die recht überschauliche, wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik des Rechtskatholizismus dessen Bedeutung für den gesamten deutschen Katholizismus. Darüber hinaus existiert keine Gesamtdarstellung über den deutschen Rechtskatholizismus, der in Veröffentlichungen nur in Verbindung mit der Zentrumspartei und eben nicht als eigenständige Richtung innerhalb des politischen Katholizismus Erwähnung findet.7 Die enge Verbindung mit nationalistischen Kreisen der Zwischenkriegszeit veranlaßte die sich mit dem „Neuen Nationalismus“ beschäftigenden Historiker, die Rechtskatholiken ebenfalls vereinfachend als zu vernachlässigenden Teil einer Bewegung zu betrachten.8

Der organisierte Rechtskatholizismus

Ehedem in der Zentrumspartei organisiert, erfolgte aufgrund der innenpolitischen Wende 1917 (Bildung einer Koalition aus SPD, Zentrum und Fortschrittlicher Volkspartei) die Distanzierung der Rechtskatholiken von ihrer angestammten parteipolitischen Heimat. Der Bruch mit der Zentrumspartei erfolgte wegen deren Linksorientierung, die die führenden rechtskatholischen Persönlichkeiten Heinz Brauweiler und Martin Spahn zur Gründung einer Gegenbewegung veranlaßte, „die sich als Verteidiger christlich-konservativer Grundsätze“9 betrachtete. In einer konstituierenden Sitzung im Oktober 1918 distanzierte man sich offiziell vom parlamentarischen System und forderte die Errichtung eines ständischen Staatsaufbaues, wobei diese Sammlungsbewegung rechter Katholiken zunächst nicht in prinzipiellem Gegensatz zur Zentrumspartei, sondern „gegen die mit dem Namen Erzberger verknüpfte Linkspolitik der Partei“10 stand. Durch Einflußnahme mittels ständisch-konservativer Programmatik auf die für das Zentrum essentiellen sozialen Gruppen (Bauernschaft und christliche Arbeiterschaft) sollte eine parteiinterne Richtungsänderung nach rechts erfolgen.
Neben Spahn verbanden sich mit der Person Adam Stegerwalds, der zwar vor 1918 konkrete Überlegungen zur Gründung einer christlich-nationalen Partei aufstellte, aber nach dem Krieg das Handeln scheute, die Hoffnungen der Rechtskatholiken auf einen Politikwechsel der Zentrumspartei: Stegerwald, Spahn und Eduard Stadtler erarbeiteten bereits 1915/16 ein Programm zur Neuausrichtung der Partei, das die Reformierung in eine „christlich-ständische Volksbewegung“ postulierte und worin Zugeständnisse an die Arbeiter zur Verhinderung einer befürchteten Parlamentarisierung angedacht waren. Obschon Spahn – im Gegensatz zu dem sich immer mehr von den Rechtskatholiken zurückziehenden Stegerwald – den Kurs zur politischen Neuorientierung des Zentrums nach 1918 fortsetzte, schuf „die Hinwendung des Zentrums zur Weimarer Republik (…) eine tiefe Kluft zwischen der Partei und den Rechtskatholiken“11 und veranlaßte die ersten zum Parteiwechsel in die Deutschnationale Volkspartei (DNVP).
In Anbetracht der erhofften Kursänderung der Partei verblieb aber ein Großteil der nationalen Katholiken in der Zentrumspartei, selbst als das Zentrum der Weimarer Reichsverfassung zustimmte, was in ihren Reihen starke Proteste auslöste.
Die Rechtskatholiken warfen der Parteiführung des Zentrums vor, mit der Anerkennung der Verfassung „die Prinzipien der katholischen Kirche und der katholischen Weltanschauung“ sowie die Traditionslinien der Partei verraten zu haben. Die Kritik richtete sich insbesondere an den 2. Satz des 1. Artikels der Weimarer Reichsverfassung („Die Staatsgewalt geht vom Volkes aus“), worin aus konservativ-katholischer Sicht eine gottlose und revolutionäre Staatstheorie repräsentiert und legitimiert wurde. Darüber hinaus warf man der Parteiführung ein defizitäres Engagement für katholische Interessen sowie die Vernachlässigung von föderalistischen Grundsätzen während der Verfassungsberatungen vor. Im wesentlichen trafen die antirepublikanischen Anfeindungen der Rechtskatholiken die Person Erzbergers, der „zur negativen Symbolfigur der neuen Republik gestempelt und als die Personifikation von Waffenstillstand und Niederlage, von Revolution und Volkssouveränität angeprangert“12 wurde. Erzberger wurde seitens der Rechtskatholiken für den Linksrutsch innerhalb der prinzipiell als konservativ und rechts betrachteten Zentrumspartei verantwortlich und ein Verbleib in dieser vom zukünftigen Verhältnis der Partei zur Person Erzbergers abhängig gemacht.
Als nach der Ermordung Erzbergers die erhoffte Richtungsänderung ausblieb, entschied sich die um Spahn gruppierende, einflußreiche Schar von Rechtskatholiken, den Übertritt von der Zentrumspartei zur DNVP zu vollziehen. Die Bekanntgabe des Parteiwechsels des charismatischen und sowohl in akademischen als auch Arbeiterkreisen beliebten Spahns auf dem Deutschnationalen Parteitag (2. September 1921) löste auf seiten der Zentrumspartei die Befürchtung einer weiteren Abwanderung von katholischen Akademikern und Arbeitern aus. Gleichwohl erfolgten die vom Zentrum befürchteten Übertritte der katholischen Arbeiterschaft unter der Führung Stegerwalds nicht, sondern beschränkten sich auf eine „kleine Schar von katholischen Adeligen, höheren Beamten und ehemaligen Offizieren“13. Doch beeinflußte diese Gruppe durch ihr enormes publizistisches Engagement die Rechtsentwicklung innerhalb der katholischen Bevölkerung, wobei die katholische Akademikerschaft einen sehr hohen Anteil ausmachte, stark. Insbesondere die DNVP profitierte von dieser Entwicklung, die ihr bei folgenden Wahlen einen katholischen Wähleranteil von sechs bis acht Prozent bescheren sollte. Dies trug naturgemäß nicht zu einer Aussöhnung zwischen Rechtskatholiken und Zentrumspartei bei, sondern förderte deren erbitterte Konkurrenz, die von Diffamierungen, gegenseitigen Beschuldigungen und Verunglimpfungen geprägt war. Während die Rechtskatholiken dem Zentrum den „Verstoß gegen konservativ-christliche Grundsätze, eine mangelnde nationale Haltung und die Aufnahmebereitschaft für westliche Ideen“14 vorwarfen und die Vereinbarkeit von Nationalismus und Katholizismus betonten, beschuldigte die Zentrumspartei wiederum die Rechtskatholiken der Mißachtung katholischer Interessen und der einseitigen Ausrichtung auf die Prinzipien des Nationalismus. In beiden Lagern legitimierte man die eigene politische und weltanschauliche Haltung mit dem von Papst Leo XIII. postulierten Grundsatz, der den Katholizismus gegenüber politischer Betätigung als indifferent betrachtete.15
Mit dem zwischen 1918 und 1921 vollzogenen Übertritt der Mehrzahl der Rechtskatholiken in die DNVP verband sich deren Hoffnung, die in der Zentrumspartei verschwundenen christlich-konservativen und nationalen Grundsätze hier zu revitalisieren. Des weiteren betrachteten sie die parteipolitische Zusammenarbeit mit den Protestanten im Sinne eines einigenden Nationalismus’ als wichtigen Schritt zur Beilegung religionspolitischer Konflikte. Konfessionelle Auseinandersetzungen sollten zugunsten einer dezidiert nationalen Politikausrichtung zurückgestellt wurden. Doch im tagespolitischen Geschäft gestaltete sich die Bewahrung dezidiert katholischer Interessen in einer überwiegend protestantisch dominierten DNVP schwierig. Zur Bewahrung katholischer Identität und Interessen in der Partei konstituierte sich 1920 unter dem Vorsitz von Freiherrn von Landsberg-Vehlen ein Katholikenausschuß in der DNVP16, dessen Hauptaufgabe die ideologische Beeinflussung von Zentrumsanhängern für einen Übertritt in die DNVP darstellte. Neben dieser offensiven Parteiwerbung im katholischen Lager widmete sich der Ausschuß der kulturpolitischen Beratung der Parteiführung, der Durchsetzung von „Parität zwischen Katholiken und Protestanten innerhalb der Partei“17 sowie einer Aufnahme spezifisch katholischer Thematiken in die deutschnationalen Medien. Die Realisierung dieser Aufgaben bedurfte eines gut strukturierten Aufbaues, der in Gestalt eines zentralen Reichskatholikenausschusses (RKA) und der in den Landesverbänden der DNVP gegründeten Landeskatholikenausschüsse (LKA) organisiert wurde. Die Rechtskatholiken betrieben die publizistische Werbetätigkeit für die DNVP und die eigene Weltanschauung in eigens geschaffenen deutschnational-katholischen Zeitschriften wie dem „Katholischen Korrespondenzblatt“ (seit 1921), der von Spahn und Klinkenberg herausgegebenen Wochenzeitschrift „Das deutsche Volk“ (1926 bis 1929) oder den „Gelben Heften“ (seit 1924) Max Buchners. Der RKA negierte aufgrund der Anerkennung der Republik sowie des parteiinternen Linksrutsches in der Zentrumspartei deren Anspruch, alleiniger Vertreter des politischen Katholizismus zu sein und proklamierte diesen Führungsanspruch für sich. Die grundlegenden Ziele des Katholikenausschusses, nämlich eine paritätische Vertretung katholischer Parteimitglieder sowie die Berücksichtigung katholischer Interessen zu gewährleisten, wurden nicht erreicht. Dies gründete sich vornehmlich auf dem mangelnden Rückhalt innerhalb der Partei sowie den ausschußinternen Rivalitäten und Richtungsstreitigkeiten über die Positionierung gegenüber der DNVP- Führung.
Mit dem Führungswechsel an der Parteispitze (Hugenberg) und den Konflikten um das preußische Konkordat (1929) verschärften sich die Differenzen zwischen den in der DNVP organisierten Rechtskatholiken und der Parteiführung zunehmend. Die Festlegung des Hugenberg-Kurses implizierte einen Fraktionszwang, der es den rechtskatholischen Abgeordneten untersagte, für das Konkordat zwischen Preußen und der katholischen Kirche einzutreten, „was zu einem Entrüstungssturm vieler deutschnationaler Katholiken und schließlich zur Spaltung des Katholikenausschusses führte“18. Während eine einflußreiche Gruppe um von Landsberg-Vehlen unter Protest den Ausschuß verließ19, solidarisierte sich der Kreis um Spahn mit der Linie der Parteiführung, konnte aber den Zusammenbruch des Katholikenausschusses nicht verhindern. Die erbittert geführte Auseinandersetzung zwischen beiden Lagern drehte sich um die Frage nach der Führungsrolle über die Rechtskatholiken in der DNVP. Nach der Abspaltung des gemäßigten Flügels der DNVP (1929/30) wechselten jedoch auch die in Opposition zum Hugenberg-Kurs stehenden Rechtskatholiken um von Landsberg-Vehlen in die Reihen der Volkskonservativen, so daß sich der Konflikt um die Führung der Rechtskatholiken in der DNVP auf diesem Wege löste. Der Übertritt eines Großteils der Rechtskatholiken zu den Volkskonservativen bedeutete eine Entscheidung gegen die antirepublikanische und an einer Kooperation mit den Nationalsozialisten ausgerichteten Politik Hugenbergs und „für einen eher gemäßigten, auf evolutionäre Umgestaltung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung beruhenden politischen Weg“20. Nichtsdestoweniger verblieb eine Gruppe um die bedeutenden rechtskatholischen Intellektuellen Spahn, Lukassowitz und Dom in der DNVP und unterstützte über den neugegründeten Katholikenausschuß die radikale Linie Hugenbergs.
Abschließend sei noch die einflußreiche Beteiligung von Rechtskatholiken an außerparlamentarischen rechten Organisationen und Bewegungen (z. B. Stahlhelm, Jungdeutscher Orden, Jungkonservatives Politisches Kolleg, Juni-Klub) erwähnt. Mit der im nächsten Abschnitt ausführlich beschriebenen Verbindung von rechtskatholischem, jungkonservativem und nationalistischem Denken auf ideologischer Ebene überraschen auch die publizistischen und organisatorischen Querverbindungen zwischen diesen Lagern nicht. Insbesondere in dem von Spahn geleiteten „Politischen Kolleg“ waren sowohl jungkonservative, rechtskatholische als auch deutschnationale Richtungen vertreten.21

Ideologie

Im wesentlichen konzentrierte sich die politische Weltanschauung der deutschen Rechtskatholiken auf folgende, für zahlreiche nationalistische Bewegungen der Zwischenkriegszeit charakteristische Komponenten: „antiwestliche und antiparlamentarische Grundeinstellung, nationalistisch verengte Reichsidee, Monarchie, Ständestaat und christlich- deutscher Sozialismus“22.
Die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie begründeten die Rechtskatholiken mit deren das Volk täuschendem Charakter. Die Partizipation des Volkes werde nur vorgetäuscht und die absolutistischen Herrscher durch skrupellose Parteiführer ersetzt. Des weiteren warfen die „nationalen“ Katholiken der parlamentarischen Ordnung „Entartung, Mißbrauch, Korruption, Unterdrückung der Minderheiten und mangelndes Verantwortungsgefühl“23 vor. Parlamentarismus und Demokratie identifizierten die rechtskatholischen Vordenker um Spahn mit den von ihnen abgelehnten westlichen Werten, die als dem Deutschtum artfremd betrachtet wurden. Der als mechanistisch empfundenen parlamentarischen Ordnung setzten die Rechtskatholiken die Vision eines zukünftigen organischen Reiches entgegen; eine Idee, die die wohl „wirksamste Antithese“ gegen die Weimarer Republik verkörperte und hierdurch in „sich die verschiedenartigsten Gruppen [der Rechten; Anm. d. Verf.] wie unter einem Dach zusammenfinden“24 ließ. Eine dezidiert katholische Reichsidee mit einem geschlossenen Entwurf entwickelte zunächst nur der ideologische Vordenker der Rechtskatholiken, Martin Spahn, wohingegen andere rechtskatholische Intellektuelle nur Teilbereiche der Reichsidee25 darlegten. Ähnlich den „Jungkonservativen“ und ihrem geistigen Führer Moeller van den Bruck betrachtete Spahn „das kommende Reich als das auf das mittelalterliche (1. Reich) und das Kaiserreich von 1871 (2. Reich) folgende dritte großdeutsche Reich der Zukunft“26, dem die Aufgabe der Veredelung und Vervollkommnung des Deutschtums zufallen sollte. Des weiteren zeichnete die Rechtskatholiken – im Gegensatz zur Zentrumspartei – ein an Preußen und Bismarck orientiertes Geschichts- und Traditionsverständnis aus, infolgedessen ein starkes Preußen als Grundlage und Zentrum des zukünftigen Reiches propagiert wurde. In einem christlichen Reich mit (groß)deutsch-preußischem Zentrum sollte als bestimmende Macht des europäischen Kontinents ein Rückgriff auf das germanisch-christliche Reich des Mittelalters vorgenommen werden. Der spezifisch deutsche Reichsgedanke sollte die Idee des Nationalstaates „durch die Bindung an das abendländisch christliche Erbe überhöhen und zu neuer politischer Gestalt formen“27.
Die Anlehnung an Bismarcksche Vorstellungen verdeutlichte sich auch in Spahns Entwürfen über den inneren Reichsaufbau. Dieser von Georg Moenius als „borussifizierter Katholizismus“ titulierte Kurs setzte sich unter den Rechtskatholiken bereits im Kaiserreich in Form „einer vorbehaltlosen Identifikation mit dem kleindeutsch-preußischen Reich“28 und den Anstrengungen zur Einbindung der Katholiken in das politisch-gesellschaftliche Leben durch. Im rechtskatholischen Denken erfolgte die Konstruktion einer Kontinuität vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zum Kaiserreich, so daß die nach 1918 von Spahn erhobene „Forderung nach einer Erweiterung dieses Staates zu einem großdeutsch- mitteleuropäischen Reich unter deutscher Führung“29 nur konsequent erscheinen mußte. Im rechtskatholischen Denken Spahns vereinten sich Katholizismus und Nationalismus zu dieser großdeutsch-mitteleuropäischen Reichsidee, die als Grundlage für die politische und geistige Wiederauferstehung der deutschen Nation dienen sollte. Mittels der Errichtung dieses Reiches gedachten die Rechtskatholiken primär die Stärkung des deutschen Kernraumes zu forcieren und hierdurch die eingebüßte Großmachtstellung wiederzugewinnen. Gleichsam erfuhr die deutsche Besiedlung des mittel- und südosteuropäischen Raumes mit der Reichsidee eine theoretische Legitimation.30
Obschon die nationalistisch ausgerichtete Reichsidee und die Orientierung am Kaiserreich die Rechtskatholiken als Teil der „Konservativen Revolution“ bzw. der nationalistischen Rechten der Weimarer Republik erscheinen läßt, unterscheidet sie von diesen die betont christliche Anlehnung an das Mittelalter. Konkret bedeutete diese von den Rechtskatholiken um Spahn vollzogene Bezugnahme für eine mittelalterlich-christliche Reichsidee folgende innenpolitischen Implikationen31: die (Wieder-)Aufwertung der Stellung der Kirche als der dem Staat gleichgestellte Institution („Kreuz und Adler“), die gemeinsam die Stützen der neuen Ordnung bilden sollten; die Anwendung mittelalterlicher Ständeprinzipien auf das zukünftige Reich, wobei dieser Ständestaatsgedanken „an die Stelle der alten berufsständischen Gliederung den in jungkonservativen Kreisen vertretenen Werksgemeinschaftsgedanken setzte“32 und die Propagierung der Monarchie als Krönung eines hierarchisch strukturierten Ständestaates33 bedeuteten die klare Ablehnung einer Restauration der konstitutionellen Monarchie.34
Die zu konstatierenden Einflüsse aus katholisch-romantischem und jungkonservativem Denken erfuhren auch in den rechtskatholischen Vorstellungen der zukünftigen Wirtschaftsordnung entscheidenden Eingang. Antikapitalistische Grundkonstanten, die auf der im Katholizismus allgemein verbreiteten Ablehnung des Liberalismus beruhten, verbanden sich mit dem Streben der Rechtskatholiken nach Errichtung eines deutschen oder nationalen Sozialismus. Dieser in weiten Teilen der nationalistischen Rechten vertretene Antikapitalismus bedeutete bei den nationalen Katholiken in der realpolitischen Umsetzung aber nicht die „Abschaffung des Kapitalismus als Wirtschaftsform (…), sondern lediglich deren Beschränkung durch nationale Interessen und christliche (moralische) Grundsätze“35. Im rechtskatholischen Denken erfolgte die Verbindung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit einer nationalistisch-christlichen Unternehmensausrichtung, wodurch eine die Klassengegensätze überwindende Ökonomie angestrebt wurde, die zur politischen Renaissance des Deutschen Reiches beitragen sollte. Darüber hinaus hielten auch die Betonung des Volkes sowie die Idee des „Volksstaates“ bzw. der „Volksgemeinschaft“ Einzug in rechtskatholisches Denken. Mit den nationalen „Ideen von 1914“ verband sich diese völkische Komponente zu der Vorstellung eines autoritär gegliederten und parteifreien Gesellschafts- und Staatsaufbaus.36

Fazit

Die rechtskatholische Reichsidee – eine Verbindung aus katholisch-romantischen Reichskonzeptionen, den neu- und jungkonservativen Vorstellungen der Zwischenkriegszeit sowie dem Großmachtgedanken des Kaiserreichs – übte nachhaltige Wirkung auf breite Schichten der Katholiken aus und öffnete diese für die vielfältigen reichsideologischen Vorstellungen der Konservativen Revolution. Das rechtskatholische Denken hielt Einzug in den gesamten deutschen Katholizismus und kam damit „der allgemeinen Enttäuschung über den Weimarer Staat einerseits und den katholischen Vorstellungen von hierarchischer Ordnung und ganzheitlicher antiindividualistischer und antiliberalistischer Staatsauffassung andererseits“37 entgegen.
Obwohl Berührungspunkte zwischen rechtskatholischen und nationalsozialistischen Vorstellungen (Ablehnung von Liberalismus, Kapitalismus, Parlamentarismus und Bolschewismus bei gleichzeitiger Befürwortung der Reichsidee, einer starken Nation sowie eines deutschen bzw. nationalen Sozialismus) bestanden, kann neben inhaltlichen Unterschieden (christliche Verwurzelung der Reichsidee) auch aufgrund der internen Zersplitterung des Rechtskatholizismus seit der Spaltung 1929/30 keine direkte Linie zwischen beiden Weltanschauungen gezogen werden – „der“ Rechtskatholizismus hörte zu Beginn der 1930er Jahre als weitgehend geeinigte Bewegung auf zu existieren, was unter anderem die stark divergierenden Haltungen führender Rechtskatholiken zum Dritten Reich bezeugen.38

Anmerkungen

1  Gabriele Clemens: Rechtskatholizismus zwischen den Weltkriegen. In: Albrecht Langer (Hrsg.): Katholizismus, nationaler Gedanke und Europa seit 1800. München u. a. 1985. S. 111.
2  J.-F. Neurohr: Der Mythos vom Dritten Reich. Zur Geistesgeschichte des Nationalsozialismus. Stuttgart 1957. S. 21.
3  Die Autorin Clemens rechnet dem Rechtskatholizismus Eduard Stadtler, Heinz Brauweiler, Max Wallraf, Paul Lejeune-Jung, Heinrich Klinkenberg, Victor Lukassowitz, Max Buchner, Kurt Ziesché sowie verschiedene Adlige (z. B. Freiherr von Dalwigk, Graf Praschma, Baronin Brackel, Freiherr von Schönberg) zu. Vgl. Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 112.
4  Ebd.
5  Klaus-Peter Hoepke: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus. Ein Beitrag zum Selbstverständnis und zur Politik von Gruppen und Verbänden der deutschen Rechten. Düsseldorf 1968. S. 74.
6  W. Ferber: Zur Ideengeschichte des politischen Rechtskatholizismus. In: Hochland 62 (1970). S. 218–229; Gabriele Clemens: Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik. Mainz 1938; Rudolf Morsey: Martin Spahn (1875–1945). In: Jürgen Aretz/ Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hrsg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 4. Mainz 1980. S. 143–158.
7  Eine rühmliche Ausnahme bildet Klaus Breuning („Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur [1929–1934]. München 1969“), der den Rechtskatholizismus als eigenständige Richtung im politischen Katholizismus überaus differenziert einordnet.
8  Lediglich Hoepke (Anm. 5) kategorisiert den Rechtskatholizismus als eigenständige Strömung innerhalb des „Neuen Nationalismus“.
9  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 114.
10  Ebd.
11  Ebd. S. 115. Spahn und Stegerwald dachten zwar schon 1918 über die Gründung einer konservativ-christlich-ständischen Volksbewegung oder Partei nach, stellten diese Überlegungen vorerst jedoch hintan. Vgl. auch: Klaus-Peter Hoepke (Anm. 5). S. 70; Karl-Egon Lönne: Politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1986. S. 219.
12  Rudolf Morsey: Die deutsche Zentrumspartei 1917–1923. Düsseldorf 1966. S. 274.
13  Emil Ritter: Die katholisch-soziale Bewegung im 19. Jahrhundert und der Volksverein. Köln 1954. S. 385.
14  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 117.
15  Vgl. ebd. 114–118; Karl-Egon Lönne (Anm. 11). S. 223.
16  Diesem gehörte die gesamte rechtskatholische Intelligenz an: Lejeune-Jung, von Dalwigk, Praschma, Wallraf, Klinkenberg, Lukassowitz, Buchner, Ziesché, von Schorlermer, Mallinckrodt und natürlich auch Spahn.
17  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 123.
18  Ebd. S. 124.
19  Hierzu zählten unter anderem die bedeutenden Rechtskatholiken Buchner, Lejeune-Jung, Wallraf, von Schönberg und Ziesché.
20  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 125.
21  Vgl. ebd. S. 122–126.
22  Ebd. S. 118.
23  Ebd. Vgl. hierzu beispielhaft: Martin Spahn: Was ist heute Demokratie? In: Ders.: Deutsche Lebensfragen. 3. Aufl. Kempten, München 1914. S. 136–175; Heinrich Klinkenberg: Unsere innenpolitische Lage. In: Gelbe Hefte 2 (1925). S. 689–712; O.-F. Schüddekopf: Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik. Stuttgart 1960.
24  Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1968. S. 127 ff., S. 223.
25  Vgl. hierzu beispielhaft: Heinz Brauweiler: Berufsstand und Staat. Berlin 1925; Eduard Stadtler: Werksgemeinschaft als soziologisches Problem. Berlin 1926; Max Buchners „Gelbe Hefte“. 1924/25–1933;
26  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 119.
27  Kurt Sontheimer (Anm. 24). S. 225. Vgl. hierzu Heinz Brauweiler (Anm. 25). S. 117 ff.; Max Buchner: Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot. – In: Gelbe Hefte 1 (1924). S. 153–180 und S. 197–238; Paul Lejeune-Jung: Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Rede, gehalten auf dem Reichsparteitag in Köln am 10. September  1926. Berlin 1926; Heinrich Klinkenberg: Mitteleuropäische Politik. In: Gelbe Hefte 1 (1925). S. 1075–1110.
28  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 120.
29  Ebd.; vgl. hierzu: Martin Spahn: Für den Reichsgedanken. Historisch-politische Aufsätze 1915–1934. Berlin, Bonn 1936; Heinrich Klinkenberg: Mitteleuropäische Politik. In: Gelbe Hefte 1 (1925). S. 1075–1110; Eduard Stadtler: Französisches Revolutionsideal und neudeutsche Staatsidee. Das deutsche Nationalbewußtsein und der Krieg. Zwei Abhandlungen zu 1789 und 1914. Mönchengladbach 1917. S. 67.
30  Vgl. vor allem Martin Spahn  (Anm. 29).
31  Vgl. ebd.; Ders.: Konservative Staatsauffassung. In: Die Schildgenossen 4 (1924). S. 457.
32  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 120 f. Vgl. auch: Eduard Stadtler (Anm. 25); Heinz Brauweiler (Anm. 25); vgl. auch Martin Spahns vielbeachtete Aufsätze zum Rätegedanken, die vor allem 1919 im „Westfälischen Volksblatt“ erschienen.
33  In Martin Spahns Reichsprinzip verband sich der ständestaatliche Gedanke, der von Othmar Spanns ebenfalls ständestaatlichem und berühmtem „wahren Staat“ divergierte, mit einer weitreichenden lokalen Selbstverwaltung des Volkes. Dieses Subsidiaritätsprinzip „sollte mit dem Verzicht auf Mitwirkung im Bereich der eigentlichen Staatssphäre korrespondieren, für die der künftige Monarch allein oder zusammen mit einem ‚Führer‘ verantwortlich sein sollte“ (ebd. S. 121).
34  Vgl. ebd. S. 120 f.; Martin Spahn: Volk und Staat im deutschen Lebensbereich. In: Ders. (Anm. 29). S. 65. Ders.: Monarchie. In: Das deutsche Volk 3 (1928). Ders.: Hindenburg. In: Ders. (Anm. 29). S. 344; Max Buchner: Deutsche Freiheitsbewegung und monarchischer Staatsgedanke. In: Gelbe Hefte 9 (1933). S. 1–30.
35  Gabriele Clemens (Anm. 1). S. 122.
36  Vgl. ebd. S. 121f.; Klaus-Peter Hoepke (Anm. 5). S. 71 f.; Heinz Brauweiler (Anm. 25). S. 181 ff.; Eduard Stadtler: Die Diktatur der sozialen Revolution. Leipzig 1920. S. 113;
37  Klaus Breuning: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929–1934). München 1969. S. 151.
38  Vgl. Gabriel Clemens (Anm. 1). S. 122, S. 127–129.

 
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