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Wer kann das Christentum noch vor der Judaisierung retten?

Von Dr. Hans-Dietrich Sander

Seit der britische Bischof Richard Williamson von der Pius-Bruderschaft die offiziöse Ziffer der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg durch die Deutschen und die Gaskammern in Frage stellt, tobte ein erbitterter, wochenlanger Kampf quer durch die Medien, die Politik, die Zentralräte und die Kirchen gegen den Vatikan, der die Pius-Bruderschaft wieder in die katholische Kirche aufgenommen hatte. „Wann befreit der Papst seine Kirche von diesen Extremisten?“ rief Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, am Ende seines Gastkommentars am 2. März in der „Welt“ herausfordernd. Das war die Quintessenz der Debatten.
Es war aber nicht die Quintessenz der Affäre Williamson. Das war und  bleibt eine religiöse Frage, die nicht gestellt wurde. Sie lautet: „Wer kann das Christentum noch vor der Judaisierung retten?“ Daß sie unterblieb, bezeugt die Notwendigkeit, sie aufzuwerfen, wenn es nicht sogar eine nahezu aussichtslose Lage umschreibt. Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen, den Heiligen Stuhl unter Druck zu setzen. Der Papst hatte schon am 28. Januar „jedes Vergessen“, jede „Leugnung oder Revision der Schoa“ öffentlich verurteilt und darüber hinaus auf einem Treffen mit führenden Vertretern der amerikanischen Juden am 12. Februar erklärt: sie „war ein Verbrechen gegen Gott und die Menschheit: Dies sollte jedem klar sein. Es steht außer Frage, daß jede Leugnung oder Relativierung dieses schrecklichen Verbrechens untragbar und gänzlich unannehmbar ist“. (FAZ, 13. 2.)
So klar ist es indessen nie gewesen. Man braucht nicht einmal die revisionistischen Forschungen heranzuziehen, um das zu erkennen. Von den Anfängen bis heute konnte die offizielle Literatur keinen exakten gemeinsamen Nenner herstellen. Der jüdisch-amerikanische Historiker Arno J. Mayer hatte völlig recht, als er im Prolog seines Buches „Der Krieg als Kreuzzug – Das Deutsche Reich, Hitlers Wehrmacht und die Endlösung“ (1989) auf S. 45 schrieb: „Geschichte ist ständige Debatte und Neubewertung zugleich …Die Geschichtsschreibung … lebt von der beständigen Revision: Die herkömmliche Darstellung und Deutung des Judenmordes zu revidieren, heißt auch die herkömmliche Darstellung und Deutung des mit ihm so eng verknüpften Konflikts zu revidieren.“
Nichtsdestoweniger wurde die Vernichtung der Juden zwischen 5,1 und 6 Millionen zum Dogma erhoben. „Der millionenfache Mord an Juden ist eine historische Tatsache. Ihr Bestreiten ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt“, bekräftigte der „Münchner Merkur“ in der Mitte der Williamson-Debatte am 10. Februar. Das war in der Erweiterung des Strafgesetzbuchparagraphen 130 im Jahr 1994 dingfest gemacht worden und zog eine endlose Kette von Prozessen nach sich. Jede Kritik daran, auch in juristischen Fachzeitschriften, erwies sich als machtlos.
Es sind dafür drei Gründe angeführt worden. Der erste ist beständige Geldabschöpfung: „Geldverdienen mit dem Holocaust“. Uri Avneri nannte Elie Wiesel einmal spöttisch einen ‚Holocausierer‘. „Sind wir das nicht alle?“ schrieb Richard Chaim Schneider 1997 in seinem Buch „Fetisch Holocaust“ (S. 163) – noch vor Norman Finkelsteins „Holocaust-Industrie“ (2000). R. C. Schneider nannte auch den zweiten Grund: „Dadurch aber, daß die israelische Gesellschaft immer säkularer wurde, mußte der Holocaust auch als ‚Ersatzreligion‘ herhalten.
“ (S. 190) Thematisiert hatte es schon Arno J. Mayer, als er unüberprüfte Erinnerungen „Versatzstücke einer Liturgie für einen sich entwickelnden Kult“ nannte, der seine eigenen „Zeremonien, Feiertage, Schreine, Monumente und Wallfahrtsorte hat“ (S. 43). Den dritten Grund deutete Michael Wolffsohn an, als er sich am 8. 11. 1990 in der FAZ über die Schwierigkeiten äußerte, in die „israelische und diaspora-jüdische Meinungsmacher und Amtsträger“ durch die deutsche Wiedervereinigung geraten seien. Zu ihrem Weltbild gehörte „die Teilung Deutschlands als Strafe für den Holocaust“. So sahen es deutsche Intellektuelle wie Günter Grass und der deutsche Politiker Joschka Fischer, wobei Fischer noch heute im Holocaust eine Grundlage für die BRD sieht.
Wegen der Kluft zur Geschichte konnte die Dogmatisierung nur mittels Gewalt eingeführt und aufrechterhalten werden. Der italienische Diplomat Sergio Romano hatte schon 1997 in seinem Buch „Brief an einen jüdischen Freund“ die Juden beschworen, den Holocaustkomplex nicht zu einer neuen Inquisition entarten zu lassen. In der FAZ vom 13. Januar 1998 berichtete Jens Petersen über die Veröffentlichung die Diskussion, die sie in Italien auslöste. Der Holocaust sei, so Romano, für Teile des Judentums zur „Offenbarung des Bösen in der Geschichte“ geworden, ein Gegengott, „den es durch ständige Rückerinnerungen, Monumente, Museen, Akte der Betroffenheit und Bitten um Vergebung zu bannen gilt“. Seine Kanonisierung habe „zur Kollektivschuld einiger Nationen und einiger religiöser Kulturen“ geführt. Die Gefahr einer neuen Inquisition wurde von Petersen oder von der Redaktion ausgespart. Immerhin wurde aber Indro Montanelli zitiert, der in der Diskussion sagte: „Auch wenn die an die ganze christliche Welt gerichtete Anklage berechtigt sein sollte (und sie ist es nicht), daß sie sich kollektiv mitschuldig gemacht habe am Genozid, so droht dieser Vorwurf … zwischen christlicher und jüdischer Welt einen Abgrund zu eröffnen, der nur zum Ursprung neuer Verfolgungen werden kann.“ Sergio Romanos Buch hätte sofort ins Deutsche übersetzt werden müssen. Es kennzeichnet die Lage, daß zehn Jahre vergehen mußten, ehe es im Landtverlag außerhalb der etablierten Verlagsszene erschien – mit einem Essay von Jens Petersen über „die Reflektionen Sergio Romanos“, die mit 1998/2006 datiert sind.
Der „Brief an einen jüdischen Freund“ ist in Italien in mehreren Auflagen erschienen. Im Vorwort zur Ausgabe von 2002 schrieb der Verfasser: „Heute habe ich darüber hinaus den Eindruck, daß an die Stelle des Heiligen Offiziums eine jüdische Inquisition getreten ist, die den Antisemitismus in den christlichen Gesellschaften untersucht und quantifiziert, ein ständig tagendes Antisemitismustribunal , vor das weltweit jeder zitiert werden kann, von dem man Rechenschaft über seine Worte und Gefühle verlangt.“ Es ist nicht bekannt geworden, daß sich die Kirche in Italien während der jahrelangen Debatten auch nur ein einziges Mal gegen diese Entwicklung zur Wehr gesetzt hätte, die am Ende ihre religiöse Identität auslöschen muß.
Die drei Gründe für die Kanonisierung des Holocaust reichen nicht aus. Der tiefste Grund liegt in dem archaischen Rachebedürfnis, das im Alten Testament durch die Weisung gerechtfertigt ist, die Missetäter bis ins siebte und siebzigste Glied zu verfolgen. Das ist im Neuen Testament durch das Gebot „Liebet Eure Feinde“ und die Vergebung der Sünden aufgehoben. Dem Christentum ist auch der Begriff der Kollektivschuld fremd, es kennt nur die persönliche Schuld, die nicht übertragbar ist. Das Christentum hört auf, wenn es dieses Fundament verläßt.
Die archaische Kanonisierung ist schon schlimm genug. Noch verheerender ist ihre Vorgeschichte, nach der sie nur ein Instrument einer jahrhundertealten Strategie ist. Für das Judentum ist Jesus von Nazareth immer die größte Herausforderung gewesen. Seine Hohen Priester lieferten ihn ans Kreuz und setzten seine Jünger und Nachfolger Christenverfolgungen aus. An ihre Stelle traten Verfluchungen und Schmähungen, gegen die sich die christlichen Kirchen immer zur Wehr gesetzt haben. Wenn die Jungfrau Maria als Hure beschimpft wurde, waren grobe Antworten, wie bei Luther, nur allzu verständlich.
Eine Weile schien der Prozeß der Assimilierung die Konfliktlage zu mäßigen. Er brachte auch kreative Symbiosen hervor, die indessen nie von Dauer waren. So entstand der Zionismus Ende des 19. Jahrhunderts unter den Nachkommen assimilierter Familien. Franz Rosenzweig hat den Prozeß auf den Begriff der „aneignenden Selbstbehauptung“ gebracht, in dem ein starker Vorbehalt rumort. Wer in den Briefen und Tagebüchern dieses jüdischen Philosophen blättert, kann in diesem Vorbehalt leicht eine zeitliche Grenze erkennen: eine Aneignung, die gilt, bis der jüdisch-christliche Dialog zur „Judaisierung des Christentums“ und der „Ausschaltung Christi“ führt. Er schrieb im Herbst 1916 an Eugen Rosenstock, daß wir die „weltüberwindende Fiktion des christlichen Dogmas nicht mitmachen“, daß wir die „Grundlagen der gegenwärtigen Kultur verleugnen“, daß wir „Christus gekreuzigt haben und es, glauben Sie mir, jederzeit wieder tun würden“. Christoph Nöthlings hat Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ in diesem Sinne atemberaubend interpretiert (Conditio Judaica, Band 44). Die FAZ konnte nicht umhin, dieser Deutung am 20. April 2004 einen Zweispalter zu widmen, der die Intention freilich abwiegelte: „Nur mit enormer hermeneutischer Akrobatik gelingt es Nöthlings, indem er die ‚Strahlen‘ und den ‚Weg‘ in Rosenzweigs Buch als Metaphern der Christenheit und das ‚Feuer als Bild des Judentums‘ liest, den Schluß des Buches als vernichtendes ‚Strafgericht‘ der Juden über die Christenheit zu deuten.“ Es war dennoch ein prophetischer Vorgriff.
Nach 1945 schien dem intransigenten Teil des Judentums der Zeitpunkt gekommen, das Christentum zu judaisieren, es als eine jüdische Sekte ins Alte Testament zurückzuführen. Einerseits waren die christlichen Kirchen von den Katastrophen des Zweiten Weltkriegs traumatisiert, andererseits durch die Ergebnisse der textkritischen Bibelforschung in ihrer Glaubensfestigkeit irritiert. So ließen sie sich einreden, daß nicht die Juden die Christen, sondern immer die Christen die Juden geschmäht hätten, daß ihre Gegenwehr in Wirklichkeit nichts als christlicher Antisemitismus gewesen sei. Diese Umkehr der Dinge war der erste Streich.
Der zweite, der sogleich folgte, war, dem Christentum das religiöse Ferment zu entziehen. Das tat Pinchas Lapide, indem er für Jesus als erleuchteten Politiker warb, und Ernst Bloch, der nach seiner Übersiedelung aus der DDR in die BRD vom „Atheismus im Christentum“ handelte, als ob er eine Ahnung gehabt hätte von Rosenzweigs Aufsatz „Atheistische Theologie“ aus dem Jahr 1914.
Solchermaßen weichgeklopft, ließen sich die Kirchen in die Holocaustdebatten verstricken. Johannes Rau, der spätere Bundespräsident, erklärte am 3. März 1990 der „Welt“ als Düsseldorfer Ministerpräsident und Synodaler: „ Wir bekennen klar, daß ‚die Erkenntnis christlicher Mitverantwortung am Holocaust‘ unser wichtigster Impuls zur Erneuerung unseres Verhältnisses zum jüdischen Volk gewesen ist … er hat uns in einem langen Prozeß des Studiums und der Erforschung des Neuen Testaments zu folgender Erkenntnis geführt: Die Kirchen sind bis in die Gegenwart hinein blind gegenüber der eindeutigen und klaren Botschaft des Neuen Testaments von der bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes und der darin begründeten einzigartigen Zusammengehörigkeit von Juden und Christen.“
Am 13. Dezember 1993 unterzeichnete der Heilige Stuhl in Jerusalem einen Grundlagenvertrag mit dem Staat Israel, in welchem sich der Vatikan verpflichtete, „Akte der Verunglimpfung der Opfer des Holocaust“ zu verurteilen. Es galt bald nicht mehr als opportun, den Kreuzestod Jesu mit den Hohen Priestern in Verbindung zu bringen. Der Karfreitag sollte eines Tages durch den Tag der Befreiung von Auschwitz in seiner Bedeutung überholt werden. Schon 1979 hatte Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Auschwitz das dortige KZ, laut Romano, S. 145, das „Golgatha unserer Zeit“ genannt.
Seitdem ist es die Regel, daß die Päpste die Juden rituell um Vergebung für den Holocaust bitten, an dem ihre Kirche ja nun wirklich keinen Anteil hatte. Vom Selbstverständnis aller christlichen Kirchen aus ist das eine religiöse Perversion ersten Grades. So hat sich das Christentum mit einer Ersatzreligion verbrüdert, die heute den Anspruch einer Zivilreligion erhebt und maßgeblich für die gesamte westliche Demokratie sein soll, sie in Wirklichkeit aber mit ihrem Inquisitionsgehabe delegitimiert.
Aus dem Geist des Christentums sind einst das Völkerrecht und die Hegung des Krieges entstanden. Es ist kein Zufall, daß in der Zeit, in der die Juden, metaphorisch gesprochen, Jesus ein zweites Mal kreuzigen wollten, diese zivilisatorischen Höhepunkte der Weltgeschichte einbrachen. In einem Beitrag für Heft 5/2005 der Zeitschrift „Cicero“ beklagte der deutsche Papst Benedikt XVI. den Abfall Europas von seinen religiösen und moralischen Grundsätzen und diagnostizierte: „Europa scheint auf dem Höhepunkt seines Erfolges innerlich ausgehöhlt. Gewissermaßen ist sein Kreislaufsystem zusammengebrochen, und diese lebensbedrohliche Situation soll durch Transplantationen abgewandt werden, mit denen es jedoch auch seine Identität zerstört. Neben diesem internen Schwinden tragender spiritueller Kräfte befindet sich Europa auch ethnisch auf dem Weg in den Untergang.“ Mir scheint: Nicht Europa fiel ab, das Christentum fiel ab, im judaisierten Christentum ballt sich die Krise unserer Zeit zusammen.
Die Affäre um den Bischof Williamson wäre der gegebene Anlaß für die Umkehr der Umkehr, für die Rückkehr zum Kern des Christentums gewesen. Sie wurde nicht wahrgenommen, auch vom deutschen Papst nicht. Das offiziöse Ausmaß des Holocaust gehört zu den Dogmen jener Ersatzreligion, jedoch nicht zu den Lehrsätzen der christlichen Kirchen. Dabei ist das strittige Ausmaß nicht entscheidend. Auch wenn die 6 Millionen stimmen, hätte das Judentum nicht das Recht, die Nachgeborenen bis ins siebte und siebzigste Glied zu verfolgen.
Ein Christentum, das nicht mehr in der Lage ist, diesem archaischen Rachebedürfnis einen Riegel vorzuschieben, gibt sich selbst preis. Es könnte es durch seine Institutionen, aber dazu bräuchte es eine Selbstgewißheit, die es nicht mehr hat. Wer kann heute das Christentum noch retten? Gelingt diese Rettung, regeneriert sich das untergehende Europa von selbst.

 
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