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Weihnachtsmann gegen Christkind

Von Harald Winter

Seit Jahrzehnten tobt in der „stillsten Zeit des Jahres“ der Kampf zwischen dem Weihnachtsmann und dem Christkind. Traditionalisten bevorzugen in unseren Breiten das Christkind und lehnen den Weihnachtsmann als amerikanischen Kulturimport ab. Aber stimmt dessen angebliche Herkunft? Ist er ein Amerikaner?
Für Santa Claus trifft das sicherlich zu, aber was ist mit seinem deutschen Bruder? Man denke nur an den 1845 erstmals erschienen Struwwelpeter, bei dem der Weihnachtsmann im roten Mantel die bösen Buben in das Tintenfaß taucht. Im „Deutschen Wörterbuch“ des Jahres 1820 wird der Weihnachtsmann bereits als Weihnachtlicher Gabenbringer erwähnt und muß daher logischerweise bereits davor tätig gewesen sein.
Richtig populär wurde er in Deutschland vor allem durch das Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ von Hoffmann von Fallersleben. Die Entstehung des Christkindes ist im Gegensatz zu jener des Weihnachtsmannes hinlänglich bekannt. Kein geringerer als Martin Luther hat als Antwort auf den katholischen Heiligen Nikolaus den „Lieben heiligen Christ“ erfunden, der statt am 6. Dezember erst am 25. Dezember die Gaben zu den Kindern bringen sollte.
Nicht nur die Kinder bekamen etwas, sondern auch Knechte und Mägde oder das Hausgesinde. Zwar war Luther das Schenken an sich ein Dorn im Auge, aber da es sich mindestens seit dem ausgehenden Mittelalter nachweisen läßt und weit verbreitet war, mußte er es wohl akzeptieren. Trotzdem schlug sein Versuch fehl, und erst im 19. Jahrhundert konnte sich das Christkind – mittlerweile war der Junge Mann Christus wieder zum Kind geworden – erst richtig durchsetzen, jedoch vorerst nur im katholischen Süden.
Schon Wotan hatte allerdings um die Zeit der Wintersonnenwende seine große Zeit, und die vom Allvater geführte „Wilde Jagd“ zieht bekanntlich „zwischen den Jahren“, also in den Raunächten (24. Dezember bis 6. Januar), durch die Lande. Es ist daher nicht ganz unplausibel, im Weihnachtsmann auch ein bißchen etwas von Odin zu sehen. Vor allem wenn man die niederländische Variante des „Sinter Klaas“ betrachtet, der in älteren Darstellungen mit Schlapphut, weisem Bart und langem blauen Mantel stark an den alten germanischen Gott erinnert. Er tritt er oft mit einem Schimmel, ähnlich dem achtbeinigen weißen Pferd des Allwissenden, auf. Der Weihnachtsmann versteckt seine Gaben in den Schuhen, und Wotan war unter anderem auch Schirmherr der Schuster.
Odin stand auch nachweislich bei den nordischen Mitwinter- oder Julfesten im Mittelpunkt.  Diese lagen im Dezember und nicht – wie oft behauptet – Ende Januar. Snorri Sturluson, der nordische Chronist, beschreibt drei große Feste der Nordleute: eines zu Beginn des Winters, eines in der Mitte des Winters und eines zu Beginn des Sommers. Das Julfest,
welches sicher zur Zeit der Sonnenwende gefeiert wurde, ist dann im Jahre 940 von König Hakon dem Guten auf den 25. Dezember festgelegt worden, um es gemeinsam mit dem Christfest zu begehen.
Auch der Mythos des von Rentieren gezogen Schlittens des Weihnachtsmannes hat wahrscheinlich seinen Ursprung im hohen Norden. Bei den Nordgermanen verehrte man neben dem Juleber (unser Glücksschwein zu Neujahr) auch den Julbock, und dieser war bei den Finnen ein Ren der „Julupukki“. Von den Finnen lerne der Weihnachtsmann auch, wie man durch den Kamin schlüpft, denn bei ihnen kamen gute Geister durch die Rauchsäule des Herdfeuers zu den Menschen.
Unser Weihnachtsmann ist, was sein optisches Erscheinungsbild betrifft, zwar US-amerikanisch geprägt, im Kern aber durchaus deutsch. Den roten Anzug mit weißem Pelzbesatz zeichnete Haddon Sundblom, ein skandinavischstämmiger Werbegrafiker, für „Coca Cola“ im Jahre 1931. Er verwendete dazu den von dem Deutschen Thomas Nast 1863 „erfundenen“ Santa Claus. Zu dessen Erscheinungsbild lieferte der Mahler Moritz von Schwind mit seinem „Herrn Winter“ die Vorlage, und nur der Name wurde – wie schon oben erwähnt – vom niederländische Sinter Klaas übernommen.
Der Bischof aus Myra, der Heilige Nikolaus, unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten vom Weihnachtsmann und ist daher sicher nur zum Teil Vorbild für diesen. Erstens hat der Heilige immer einen Begleiter wie Knecht Ruprecht oder den Krampus – und zweitens ist er auf den 6. Dezember beschränkt.
Generell könnte man meinen, daß der christliche Anteil am Weihnachtsfest gar nicht so groß ist, wie viel glauben. Schon der Beginn des Festes, der erst im 3. Jahrhundert zu sehen ist, hat wahrscheinlich primär propagandistische Gründe. Am 25. Dezember war der Tag des „Sol Invictus“, die Geburt des Sonnenkindes. Eine Mischung aus dem Sonnengott Sol und dem altiranischen Mithras-Kult.
Zu dieser Zeit war dieser Glaube der mit Abstand größte Konkurrent des Christentums, und man mußte mit allen Mittel dagegenhalten. Die Wintersonnenwendfeste und die Saturnalien lagen selbstverständlich auch noch um dieses Datum, und so war es nur logisch, daß die Christen, die nichts Entsprechendes hatten, ein spezielles Fest entwickelten.
Daß unsere heutigen Weihnachtsbräuche kaum mehr etwas mit dem Ursprünglichen zu tun haben, liegt vor allem daran, daß Weihnachten ein Fest der europäischen Zivilisation an sich geworden ist. Neben religiösen Vorstellungen von christlicher und heidnischer Seite sind auch viele andere Bestandteile in das Fest eingeflossen. Frühneuzeitliche Zunftbräuche aus Südwestdeutschland bescherten uns den heute weltweit verbreiteten Weihnachtsbaum.
Böhmische Glasbläser in Thüringen steuerten die heute nicht mehr wegzudenkenden bunten Glaskugeln bei. Und der Sozialreformer Johann Hinrich Wichern bescherte uns 1839 den ersten Adventkranz. Alles in allem ein Konglomerat aus Vorstellungen, die nicht nur religiös begründbar waren und sind. Weihnachten ist nicht umsonst seit mehr als 200 Jahren allen Unkenrufen zum Trotz ein Fest der Familie und der Freude am Feiern und nicht nur der  Religion und des Glaubens.

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift „Die Aula“, Dezember 2008 

 
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