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„Eine lange geplante Rufmordaktion“

Heinz-Christian Strache zum „Ibiza-Komplott“ und zu seiner zukünftigen Rolle als Politiker

Obwohl man in der Politik immer mit fast allem rechnen sollte, diese Entwicklung hatte kaum jemand vorhergesehen: Die sehr erfolgreich operierende türkis-blaue Regierungskoalition mit den beiden jungen Reformpolitikern Sebastian Kurz (ÖVP) als Kanzler der Republik Österreich und seinem Partner auf Augenhöhe von seiten der FPÖ, Heinz-Christian Strache als Vizekanzler, zerbrach nach 18 Monaten. Die äußeren Begleitumstände sind inzwischen weltweit bekannt. Strache und sein FPÖ-Mitstreiter Johann Gudenus sind in eine raffiniert aufgestellte Falle gelaufen, die nunmehr als „Ibiza-Komplott“ zum Begriff geworden ist. Bei illegalen und heimlichen Film-Mitschnitten in einem Ferienhaus auf Ibiza ließen sich beide zu Äußerungen hinreißen, die häßlich wirken. Ob die Fallensteller dabei den beiden Politikern bewußtseinsverändernde Drogen unterjubelten, um ihnen diskreditierende Antworten zu entlocken, ist eine der vielen offenen Fragen. Noch sind die eigentlichen Auftraggeber, die maßgeblichen Akteure und namentlichen Fallensteller nicht alle bekannt. Eine restlose Aufklärung des Komplotts dauert an. Bernd Kallina sprach mit Heinz-Christian Strache über seine Sicht der Affäre, die zukünftigen Chancen der FPÖ sowie über die Gründe, warum er sein Europa-Mandat nun doch nicht antritt.

Mit Heinz-Christian Strache sprach Bernd Kallina

 

Herr Strache, zur Enttäuschung vieler Ihrer rund 45.000 Wähler nehmen Sie – nach längerer Abwägung – das Mandat im EU-Parlament nicht an. Dazu wurden jetzt Stimmen laut, Ihre Entscheidung rangiere aus wahltaktischen Überlegungen vor einer Interessenvertretung Österreichs in Brüssel. Was antworten Sie diesen Kritikern?

Es gibt keine Entscheidung, die nicht Kritiker auf den Plan ruft. Damit war zu rechnen, und damit gehe ich um. Die 45.000 treuen Wähler, die mir ihr Direktmandat erteilt haben, verstehen meine Entscheidung. Denn es ist keine Entscheidung gegen die Übernahme politischer Verantwortung, sondern gerade Ausdruck politischer Verantwortung. Ich kann nur stark, überzeugend und im Ergebnis erfolgreich als politischer Verantwortungsträger agieren, wenn eine Aufklärung weitestgehend abgeschlossen ist und ich mich rehabilitieren konnte. Das ist die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt, wenngleich ich offen zugebe, daß mir diese Entscheidung angesichts des enormen Wählerzuspruchs nicht leichtgefallen ist. Ich danke all meinen Wählern für ihre unglaubliche Unterstützung, welche mir Rückhalt und Kraft gibt.

Wie erklären Sie sich das deutliche Votum der Bürger für Sie?

Das Ergebnis hat gezeigt, daß sich unsere Wähler von dem politischen Attentat, das auf die bis zum 17. Mai 2019 äußerst erfolgreich arbeitende Regierung sowie meine Person verübt wurde, nicht haben beeindrucken, beirren und täuschen lassen. Unsere freiheitlichen Wähler sind nicht manipulierbar. Damit dürften die Hintermänner des kriminellen Video-Komplotts nicht gerechnet haben, wenngleich der verursachte Schaden enorm groß bleibt. Ich bin meinen Wählern, die mir ein direkt-demokratisches Mandat erteilt haben und damit uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringen, sehr dankbar, und bin mir der damit übertragenen Verantwortung bewußt. Meine Priorität liegt derzeit aber in der Aufklärung des Falles.

Sie bleiben also in Wien und gehen nicht nach Straßburg. Bedeutet das Ihren vollständigen Rückzug aus der Politik, oder warten Sie nur auf die Gelegenheit zu einem Comeback – in vielleicht gar nicht so ferner Zukunft?

Ich wiederhole mich gern. Erst die Aufklärung des Ibiza-Komplotts und dann alles weitere. Alles zu seiner Zeit.

Herr Strache, damit sind wir beim Stichwort „Ibiza-Komplott“. Diese Affäre hat Sie die Ämter als FPÖ-Parteiobmann und Vizekanzler der Republik Österreich gekostet. Da wurden Sie, bei eingestandener Verantwortung, zum Opfer einer raffiniert und offenbar langfristig aufgestellten polit-kriminellen Falle. Gegen die Akteure der illegalen Filmaufnahmen haben Sie Strafanzeige gestellt. Wie ist Ihr derzeitiger Kenntnisstand zur Aufklärung des Komplotts, Stand Ende Juni 2019?

Das Video hat unmittelbar nach dessen Veröffentlichung zahlreiche Fragen aufgeworfen. Warum wurden nur sieben Minuten eines angeblich siebenstündigen Videos zusammengeschnitten und einzelne darin befindliche Äußerungen völlig aus dem inhaltlichen Gesamtkontext gelöst und veröffentlicht? Warum wurden keinerlei an mich gerichtete Fragen veröffentlicht? Warum wurden die Gesprächsverläufe nicht vollständig dargestellt? Warum bekennen sich bei behaupteter rein politischer Motiviertheit die Auftraggeber und Hintermänner dieses Videos nicht zu ihrer Tat? Es war uns daher schnell klar, daß das Video und dessen Veröffentlichung zwei Jahre nach dessen Erstellung 2017 kurz vor der Europawahl 2019 Ergebnis einer kalkulierten und lang vorausgeplanten politischen Rufmord-Aktion war, bei der es nicht darum ging, ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu bedienen, sondern gezielt, niederträchtig und destruktiv eine erfolgreich arbeitende FPÖ-Regierungsbeteiligung zu sprengen und auszuhebeln und insbesondere meine Person sowie in Folge die FPÖ zu schädigen. Ich, ein Beraterteam aus Rechtsanwälten sowie Ermittler arbeiten daher seit nunmehr über vier Wochen an der Aufklärung der Hintergründe und gewinnen fast täglich neue Erkenntnisse, die wir auch mit der Staatsanwaltschaft Wien teilen.

Zu den konkreten Ermittlungsergebnissen möchte und kann ich gegenwärtig nichts sagen, um die Ermittlungen nicht zu erschweren und insbesondere auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Österreich und Deutschland nicht zu gefährden.

Nach Bekanntwerden des illegal aufgezeichneten Ibiza-Films sprachen Sie, Ihre Rolle dabei relativierend, von einer „b’soffnen G’schicht“. Es soll nun Hinweise geben, die nahelegen, daß Ihnen von den Fallenstellern möglicherweise bewußtseinsverändernde Drogen als Liquid-Beimischung in die Getränke gegeben wurden.

Auch diesen strafrechtlich höchst relevanten Hinweisen, die erstmals von Professor Gert Schmidt bei „Fellner! Live“ geäußert wurden, gehen wir ernsthaft und mit Unterstützung medizinischer Sachverständiger nach. Es ist nicht leicht, aber wohl möglich, anhand der Videoaufnahmen und dort einer Analyse von Gestik, Körpersprache und Ausdrucksweise Feststellungen zu treffen. Ich möchte hier keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir werden die Ergebnisse der Gutachter auswerten. Es geht auch hier um eine lückenlose und schonungslose Aufklärung. Entgegen insoweit grob falscher und verleumderischer Medienberichte habe ich mein Leben lang keine illegalen Drogen und insbesondere kein Kokain konsumiert, nicht einmal ausprobiert. Das können jahrelange regelmäßige Drogentests von mir belegen, zu denen ich mich immer wieder veranlaßt sah, weil meine politischen Gegner mir in verleumderischer Absicht wiederholt Drogenkonsum unterstellten. Einen solchen gab es nie, und das belegen auch jahrelange Drogentests und Klagen, welche ich gewonnen habe.

Im vielfältigen „Kampf gegen rechts“ seien keineswegs geheime Kräfte verschwörerischer Natur am Werk, wie es in rechten Kreisen immer wieder heißt: So tönt es vor allem in der Berliner Republik aus linken und anderen Leitmedien lautstark. Mit dem Ibiza-Komplott ist aber wohl der Gegenbeweis erbracht, auch wenn noch nicht alle Hintergründe geklärt sind, oder?

Derzeit gehen wir davon aus, daß durch die illegale Herstellung und Verbreitung des Videos mehrere Straftatbestände verwirklicht worden sein können, weshalb wir in Österreich und Deutschland Strafanzeigen und Strafanträge eingebracht haben. Obgleich immer wieder die Auffassung vertreten wird, der Zweck heilige die Mittel, und sogar reklamiert wird, es handele sich bei der Video-Herstellung und -Verbreitung um ein „zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt“, bei dem „ausschließlich demokratiepolitische und rechtliche Überlegungen“ ausschlaggebend gewesen seien, bekennen sich keinerlei Auftraggeber und Hintermänner. Es bleiben damit kriminelle und bislang nicht bekannte Strukturen, die mit ihren gewählten Mitteln und Wegen einen äußerst zweifelhaften, nämlich demokratiefeindlichen Kampf gegen die FPÖ und mich führen. Dieser Beweis dürfte als erbracht gelten.

Man stelle sich vor, solche niederträchtigen Dirty-Campaigning-Methoden würden zur Normalität in der politischen Auseinandersetzung. Das wäre zutiefst demokratiegefährdend und auch eine Gefahr für den Rechtsstaat.

Die Koalitionsarbeit der FPÖ war ein voller Erfolg

Eine Zwischenbilanz der Regierung Kurz/Strache wies ja nach 18 Monaten positive Ergebnisse aus. Sowohl in der österreichischen Innen- als auch in der Außenpolitik wurden respektable Erfolge erzielt. War das auch ein Grund, warum man – vor ähnlichen Koalitionen in Europa warnend – das Modell Mitte-Rechts mit legalen und illegalen Mitteln aufs Schärfste bekämpfte?

Die Koalitionsarbeit der FPÖ war ein voller Erfolg und hat die Gegner unserer politischen Arbeit mit Sicherheit auch überrascht.

Als FPÖ-Parteichef ist es mir gelungen, unsere freiheitlichen Kernthemen im Regierungsprogramm durchzusetzen und wesentliche Regierungsressorts wie das Innenministerium, Sozialministerium, Außenministerium, Verteidigung, Öffentlicher Dienst und Sport, Infrastruktur, Finanzstaatssekretariat mit starken freiheitlichen Persönlichkeiten als Minister sicherzustellen. Es gab eine klare freiheitliche Handschrift im Regierungsprogramm, wie auch die Medien überrascht und anerkennend feststellen mußten.

Und als Vizekanzler auf Augenhöhe mit Kanzler Kurz habe ich mich in den letzten zwei Jahren auch bei entscheidenden freiheitlichen Kernthemen durchgesetzt.

 

An welche Kernthemen denken Sie dabei?

Beispiele hierfür gibt es in Fülle. Etwa

  • die Ablehnung des gefährlichen UN-Migrationspaktes (Rechtsverbindlichkeit), den die ÖVP unterstützen wollte; hier habe ich mein gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen, da ich unseren Wählern verpflichtet war. Denn ich war der Garant, daß es zu einem Stop der illegalen Migration nach Österreich gekommen ist;
  • die Umsetzung meines Herzensprojekts, nämlich die Erhöhung der Mindestpension auf 1200 Euro netto/Monat, um die Altersarmut zu bekämpfen;
  • der konsequente Abschub von rechtskräftig abgelehnten Asylwerbern und illegal aufhältigen Personen;
  • keine Lehre für Asylwerber, solange es keine Aufenthaltsberechtigung gibt;
  • Sicherung des Grenzschutzes, Stop der illegalen Einwanderung und ein Ausreisezentrum statt der bisher völlig falschen Willkommenskultur sowie Aufstockung der Polizei- und Justizwacheplanstellen mit einer Ausbildungsoffensive; eine Reform des BVT war im Gange, nach den Skandalen der letzten Jahre;
  • Mindestsicherung Neu – Stop der Migration in unser Sozialsystem; mehr für Alleinerziehende und Menschen mit Behinderung im Sinne von Fairneß und sozialer Gerechtigkeit;
  • die Zusammenlegung der über 21 SV-Träger auf 5 SV-Träger im Sinne von Leistungs- und Kosteneffizienz;
  • die große Dienstrechtsreform zum Vorteil der Beamten (Polizei, Bundesheer, Justizwache etc.) war bereits fertig vorbereitet;
  • das bisherige Wachebediensteten-Hilfsleistungsgesetz, welches nur eine Kann-Bestimmung war und nur für Polizisten und Soldaten galt, wurde unter meiner Ministerverantwortung zu einer gesetzlichen Muß-Bestimmung und auf alle Beamten/Ressorts ausgeweitet. Denn wir lassen keinen im Dienst verletzten Beamten im Stich;
  • freies Wahlrecht der Gastronomie für oder gegen Rauchverbot statt staatlichem General-Verbot;
  • die größte Familienentlastung der Zweiten Republik mit dem Familienbonus von bis zu 1500 Euro mehr pro Kind und Jahr;
  • Entlastung der kleinen Einkommen durch die Streichung der SV-Beiträge;
  • eine große Steuerreform wurde im Ministerrat verabschiedet, wo gerade die kleinen und mittleren Einkommensschichten und KMUs profitiert hätten, und in Folge eine KöSt-Senkung zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts und Schaffung von Arbeitsplätzen;
  • wesentliche Verbesserungen und mehr finanzielle Mittel im Sport waren bereits beschlußreif im Zuge der bevorstehenden Budgetverhandlungen;
  • die Abschaffung der ORF-GIS-Gebühren hatte ich mit Kurz ausverhandelt und paktiert; dies wollte die ÖVP mit allen Mitteln verhindern, jedoch habe ich darauf bestanden;
  • eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets in Richtung 3 Mrd. Euro jährlich, ein Milizpaket sowie die Anschaffung von notwendigem militärischen Gerät zur Aufrechterhaltung unserer Neutralität und Landesverteidigung;
  • ein Verbot des gefährlichen politischen Islam stand vor Umsetzung. Das Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen war bereits in Umsetzung;
  • auch die Einführung der direkten Demokratie (erstmals verbindliche Volksabstimmungen als Recht des Volks durchzusetzen) mittels Verfassungsänderung haben wir für 2021 ausgemacht. All das ist nunmehr von Kurz und der ÖVP durch seinen einseitigen Koalitionsbruch beendet worden, und eine Umsetzung scheint gefährdet.

Das sind alles wichtige freiheitliche Errungenschaften in unserer Regierungsarbeit. Da waren wir Freiheitlichen die Kraft der Erneuerung und der Reformmotor, welche ich als Vizekanzler sicherstellen konnte. Alle diese guten Maßnahmen drohen jetzt nicht umgesetzt und zum Teil sogar rückgängig gemacht zu werden.

Wir waren offensichtlich zu erfolgreich, und die letzten eineinhalb Jahre meiner Regierungsarbeit sind Beleg für meine korrekte und verläßliche Arbeit für die österreichische Bevölkerung.

Angesichts der erzielten Erfolge war uns legal nicht beizukommen. Das rechtfertigt natürlich nicht den Griff zu illegalen Mitteln, erschien bestimmten, noch zu ermittelnden Gegnern aber offenbar als alternativlos.

Im Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ wurde in Medien die Behauptung kolportiert, daß Sie eine Privatisierung der Wasserversorgung Österreichs in Aussicht gestellt hätten. Dem widersprachen Sie per Facebook-Beitrag prompt und ausführlich. Warum war Ihnen diese Richtigstellung so wichtig?

Weil diese Behauptung eine der vielen üblen Falschmeldungen ist. Ich habe mich stets dafür eingesetzt, daß unser österreichisches Trinkwasser als „weißes Gold“ der Zukunft vor dem Ausverkauf und durch die Verfassung als Eigentum der österreichischen Staatsbürger zu schützen sei. Hierbei verwies ich wiederholt auf das positive norwegische Modell, das Erdöl als Eigentum der norwegischen Staatsbürger durch die Verfassung schützt, einen Verkauf der Erdölquellen untersagt, und wonach Einnahmen aus dem Erdölexport und dessen Verkauf dem Gemeinwohl zuzuführen sind. Es lag und liegt mir deswegen sehr daran, anderslautende Medienberichte vehement zurückzuweisen.

Themenwechsel: Was erwarten Sie von den für September anberaumten Nationalratswahlen? Allgemein wird mit einem Wahlsieg von Ex-Kanzler Sebastian Kurz gerechnet. Wie aber wird die FPÖ abschneiden? Einige Österreich-Kenner prophezeien einen „Waldheim-Effekt“, d.h. eine „Jetzt-erst-recht“-Reaktion des freiheitlichen Wählerblocks. Und Sie?

Ich bin fest davon überzeugt, daß wir Freiheitlichen am Ende gestärkt aus der sogenannten „Ibiza-Affäre“ hervorgehen werden. Ich rechne mit einem respektablen FPÖ-Erfolg, da die Menschen solche niederträchtigen Dirty-Campaigning-Methoden zutiefst ablehnen, die gute Regierungsarbeit der FPÖ kennen und unterstützen und durchaus wissen, welche Leistungen und Errungenschaften der Regierungskoalition auf die FPÖ zurückzuführen sind. Die ÖVP hat die gut arbeitende Regierung mit der FPÖ einseitig aufgelöst und ist in einen Allmachtsrausch gefallen. Das kann zu nichts führen. Und das durften wir auch nicht zulassen. Denn besonders bezeichnend war es ja, daß man Herbert Kickl als erfolgreichen FPÖ-Innenminister absetzen wollte und auch kein Interesse von Seiten der ÖVP hatte, gewisse aufklärungswürdige Entwicklungen im BVT vollinhaltlich zu untersuchen bzw. eine Reform dort umzusetzen. Der BVT-U-Ausschuß wurde ja nunmehr durch den Neuwahlantrag auch beendet, obwohl dort noch viele Fragen offengeblieben sind.

Sebastian Kurz hat der FPÖ einseitig gekündigt

Kurz hat ja eine erneute Koalition mit der FPÖ nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Als wie realistisch schätzen Sie diese Option ein, und was wären dafür die Voraussetzungen?

Kurz hat diese gut arbeitende Regierung mit der FPÖ einseitig aufgekündigt, obwohl er mir versprochen hatte, daß er nach meinem Rücktritt als Vizekanzler und der Niederlegung aller FPÖ-Funktionen die Koalitionsregierung fortsetzen würde. Ich wollte nie Vorwand für einen Bruch der Regierungskoalition sein und habe mich daher in meiner Verantwortung vollständig zurückgezogen. Das war meine gelebte Verantwortung für dieses Regierungsprojekt, für das ich 15 Jahre Tag und Nacht mit Leidenschaft und Überzeugung gearbeitet habe. Damit hatte ich meinen Teil zur Rettung und Fortsetzung der Regierung beigetragen. Sebastian Kurz leider nicht, er hat Wortbruch begangen und damit alles beendet. Das war unehrlich und auch persönlich enttäuschend. Dennoch, je stärker die FPÖ bei den kommenden NR-Wahlen sein wird, desto wahrscheinlicher kommt die ÖVP an der FPÖ nicht vorbei. Es braucht daher eine starke FPÖ, damit nicht wieder die alten rot-schwarzen Chaos- und Streitzustände einreißen oder eine ÖVP-NEOS-Grün-Regierung entsteht, wie manche in der Kurz-Umgebung sich das wünschen.

Wie war eigentlich Ihr persönliches Verhältnis zu Sebastian Kurz, bezogen auf die Zeit vor dem Ibiza-Komplott?

Wir hatten einen ehrlichen, respektvollen Umgang auf Augenhöhe miteinander, und ich habe unsere freiheitlichen Kernthemen sehr konsequent gegenüber der ÖVP eingebracht und durchgesetzt. Das hat sicher manchen in der ÖVP und auch Kurz nicht gefallen, aber ich war ein korrekter Partner, welcher eben auch konsequent den Wählern im Wort war und diese Verantwortung gelebt habe. Ich war nicht zum Selbstzweck in einer Regierungsverantwortung, und ich habe mich nicht von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen. Dies kam in der Bevölkerung sehr gut an.

Für die Nationalratswahlen hat Ihre Ehefrau Philippa von der Wiener FPÖ-Landesgruppe einen sicheren Listenplatz bekommen, weshalb manche Karikaturen sie als Marionette zeigen, deren Fäden Sie ziehen. Wie gehen Sie mit diesem Bild einer Frau als verlängertem Arm des Ehemannes um?

Für die Betrachtung von Karikaturen habe ich derzeit nicht die Zeit, und sie interessieren mich auch nicht. Meine Frau ist eine unabhängige und enorm engagierte Persönlichkeit, die seit Jahren aktiv für die FPÖ als Bundestierschutzbeauftragte tätig ist und von vielen Menschen sehr geschätzt und gut angenommen wird. Ich freue mich für sie, daß sie vom FPÖ-Parteivorstand als NR-Kandidatin nominiert und gewählt wurde, und unterstütze sie dabei gern; sie schafft das aber auch sehr gut ohne mich.

Auch wenn Sie jetzt nicht nach Brüssel bzw. nach Straßburg gehen, Herr Strache, bei einer Vergegenwärtigung des Ergebnisses der Europawahlen fällt doch auf: Die früheren Volksparteien sind insgesamt geschwächt, die sogenannten populistischen Parteien, im deutschen Sprachraum vor allem FPÖ und AfD, haben zugelegt. Welche Koalitions- und Fraktionsbildungen ergeben sich aus dieser Lage?

Ich bin davon überzeugt, daß wir mit unserem Partner Matteo Salvini eine gestärkte Europa-Fraktion („Identität und Demokratie“) sicherstellen werden. Sie wurde ja gerade gegründet. Es ist viel im Fluß. Auf Dauer, insbesondere nach dem Brexit, werden sich auch andere patriotisch-freiheitliche und konservative Parteien unserer Europa-Fraktion anschließen. Davon bin ich überzeugt.

Wir wollen ein föderales Europa der Vaterländer

Die sogenannten populistischen Parteien in Europa pflegen zum traditionellen EU-Europa eine eher kritische Haltung. Wie lauten Ihre Einwände gegen den real existierenden Zustand der EU, und was möchten Sie ändern?

Wir leben im Herzen Europas und haben Europa im Herzen. Und wer Europa im Herzen hat, muß kritisch gegenüber einem fehlgeleiteten zentralistischen EU-Projekt sein. Wir wollen ein föderales Europa der Vaterländer. Und dieses sichert den Frieden, nicht ein EU-Zentralstaat gegen den Willen der Völker Europas. Hier herrscht Handlungsbedarf.

Von nationalen und patriotischen Kreisen in Deutschland und Europa wird ja immer als alternative Kernidee zur Brüssel-EU das Wort de Gaulles vom „Europa der Vaterländer“ zitiert. Falls das auch Ihrem Konzept nahekommt, dann lautet die ergänzende Frage: Was heißt das konkret, bezogen auf die Finalität von Europa?

Ein föderales Europa der Vaterländer, in dem Entscheidungskompetenzen in Brüssel reduziert und in den Nationalstaaten erhöht werden, würde die Akzeptanz des europäischen Friedensprojektes bei den Bürgern wieder stärken. Ein Europa der Vielfalt statt zentralistischer Einfalt, lautet mein Motto. Es geht auch um den Erhalt der Vielfalt der europäischen Kulturen und Identitäten, welche wir nicht aufgeben wollen. Wir wollen keinen zentralistischen EU-Einheitsbrei.

Sehen Sie dabei nicht die große Gefahr für die EU-Parlamentsarbeit, die sich so schön im französischen Einwand ausdrückt: „Plus ça change, plus c’est la même chose“, was ja heißt, dass sich zwar oberflächlich gesehen viel verändern kann, im Kern jedoch nichts?

Jede notwendige Veränderung braucht Zeit, aber die Veränderungen werden auf Dauer nicht aufzuhalten sein. Immer mehr Bürger Europas wollen ein Umdenken und stärken die patriotischen und freiheitlichen Bewegungen quer durch Europa. Freiheit statt Brüsseler Bevormundung setzt sich in ganz Europa immer stärker durch. Man soll den Freiheits- und Selbstbestimmungswillen der Völker Europas nicht unterschätzen.

Von der Europa-Thematik zurück zur FPÖ, zu Ihrer Partei: Die Freiheitliche Partei charakterisiert sich immer wieder als politische Gruppe, die wie eine Familie zusammenhält. Andererseits gibt es in der FPÖ ebenfalls Flügel, wie in jeder anderen Partei auch, ja sogar heftige Flügelkämpfe. Wie würden Sie Ihren Strache-Flügel kennzeichnen, und welche Rolle wird er in einer Zeit spielen, in der der Parteichef nicht mehr Heinz-Christian Strache heißt?

Die Frage geht bereits von einer falschen Grundannahme aus. Die FPÖ steht geschlossen, und das mehr denn je. Diese Krise, die wir tagtäglich ein Stück mehr bewältigen, stärkt unseren Zusammenhalt und läßt uns stärker werden als zuvor. Wir lassen uns nicht spalten. Ich stelle mich jetzt nicht nur mit großem Engagement in den Dienst der Aufklärung der Hintergründe und Hintermänner des Ibiza-Videos, sondern auch als einfaches Parteimitglied hinter unseren designierten Parteiobmann Norbert Hofer und sein Team, der die Partei geschlossen hinter sich hat. Seitdem wir eine soziale Heimatpartei sind, gibt es keine Flügel, sondern eine Freiheitliche Gemeinschaft. Dieser von mir eingeschlagene inhaltliche Weg muß und wird hoffentlich konsequent fortgesetzt werden.

Erlauben Sie abschließend noch eine persönliche Frage nach dem ganzen Ibiza-Desaster und seinen negativen Folgen: Werden Sie als freiheitlicher Politiker eine „zweite Chance“ der Profilierung wahrzunehmen versuchen, Herr Strache?

Jede Krise ist dazu da, aus seinen eigenen Fehlern zu lernen, an der Krisenbewältigung zu wachsen und stärker zu werden. Ich sehe auch diese Krise als Chance. Und gerade in Krisen erkennt man auch seine wahren Freunde. Ich bin für die große Unterstützung der Bürger sehr dankbar. Diese gibt mir Kraft und Rückhalt. Wer eine Krise besteht, meistert und in diesem Fall aufklärt, kann danach sicher stärker denn je aus ihr hervorkommen.

Herr Strache, vielen Dank für dieses Gespräch.

Bilder: Archiv Leopold Stocker Verlag

Straches langjähriger Weggefährte und kritischer Begleiter Martin Hobek hat es sich zur Aufgabe gemacht, den politischen und persönlichen Weg des HC Strache aus der eigenen Erinnerung und den Berichten wesentlicher Zeitzeugen heraus zu rekonstruieren. Seine Biographie bietet nicht nur ein kundiges Psychogramm des Porträtierten, sondern ebenso einen faszinierenden und spannenden Einblick in das Innenleben der österreichischen Politik – bis ganz hinauf an die Spitze.

 
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