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Widerstand

Von Dr. Angelika Willig

Vom Mißbrauch einer edlen Haltung

Wenn man vom „deutschen Widerstand“ spricht, so meint man immer noch den Widerstand gegen Hitler. Es gibt zwar inzwischen auch den Widerstand gegen das DDR-Regime, doch der hörte mit dem Ende der DDR logischerweise auf. Der Widerstand gegen Hitler hörte nie auf, im Gegenteil, er ist seit dem Ende des NS-Staates immer stärker geworden. Das zeigt schon, daß es sich um eine besondere Art von Widerstand handeln muß.

Ursprünglich geht der politische Widerstand von denen aus, die ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen möchten, aber durch die herrschende Macht daran gehindert sind. Die Widerständler sind also in der schwächeren Position, und schon deshalb berührt es eigenartig, wenn die Identifikation mit dem Widerstand zur staatstragenden Gesinnung wird. Natürlich gibt es auch positive Anlässe, zu denen sich Deutschland öffentlich präsentiert. Nicht nur die Fußball-WM, sondern zum Beispiel auch die Feiern zu „60 Jahre Grundgesetz“. Doch was begeistert am deutschen Grundgesetz besonders, und worauf legen die diesbezüglichen Reden besonderen Wert? Daß wir seit 60 Jahren in Frieden und Freiheit leben – während es vorher ganz anders gewesen sei. Vorher habe es überhaupt keinen Rechtsstaat und schon gar nicht solche Werte wie Menschenwürde ohne Ansehen von Hautfarbe und Verhaltensweise gegeben. Erst in diesem Licht bekommt unser Gemeinwesen die echte Weihe. Es braucht eigentlich immer den finsteren Kontrast.

Fortschrittsglauben geschwunden

Weshalb ist das so? Wir haben einen Rechtsstaat. Das ist die Grundbedingung für den Liberalismus und Individualismus, in dem wir leben. Trotz Rechtsstaat bestehen jedoch viele Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Dagegen haben die Marxisten und andere „linke Wohltäter“ lange Zeit gekämpft, und deshalb haben sie die „bürgerliche Gesellschaft“ kritisiert. Sie wollten aus der formalen Rechtsgleichheit eine echte soziale Gleichheit machen. Natürlich hat das nicht geklappt, der Marxismus ist gescheitert. Die Widersprüche des modernen Rechtsstaates sind aber dadurch nicht beseitigt, im Gegenteil: Bei sinkendem Wohlstand nehmen diese Widersprüche wieder zu, ohne daß noch jemand an eine linke Lösung glauben mag. Das ist traurig. Oder nüchterner gesprochen: Wir haben ein Problem! Es ist ein riesiges Legitimationsproblem, das mit der Fortschrittsskepsis zusammenhängt und immer drängender wird. Was macht man, um das „Projekt der Moderne“, das nun in der Luft hängt, immer noch an „die Menschen“ vermitteln zu können? Oder zumindest an Feiertagen eine gewisse Zuversicht auszustrahlen?

Nationalsozialismus als Legitimation

In Deutschland wenigstens hat man dafür ein probates Mittel gefunden. Vorbild ist ausgerechnet die Zeit zwischen 1933 und 1945. Herrscht auch vorher politisches Chaos, Streit und eine Stimmung wie zum Untergang des Abendlandes, so fanden sich im Widerstand gegen Hitler plötzlich Linke, Liberale, Konservative und Reaktionäre mit Homosexuellen und verrückten Künstlern in einer Gemeinschaft aller Wohlmeinenden zusammen, und wie vom heiligen Geist waren sie plötzlich beseligt von dem Bewußtsein, das hundertprozentig Richtige zu tun. Welche Erleichterung! Leider nur auf ein paar kurze Jahre, dann war Hitler tot und das gleiche Problem wieder da, das man jetzt (in den 50ern) gern als „Zivilisationskrise“ bezeichnete. Man versuchte, das Christentum eifrig wiederzubeleben, aber umsonst. Die Jugend wollte davon nichts wissen und stellte sich nunmehr gegen jede Sinnfindung überhaupt: „Ohne mich!“ Manche tauchten sogar in den Existentialismus ab, andere bereits in den Hedonismus von „Sex, Drugs and Rockn‘ Roll“.

„Grabt Hitler wieder aus!“

Professoren, Pädagogen und Politiker wußten gar nicht mehr, was sie machen sollten, da kam aus der linken bereits desillusionierten Jugend selber der entscheidende Hinweis: Grabt Hitler wieder aus, dann haben wir endlich wieder eine moralische Instanz. Natürlich sollte nicht der Führer selbst wieder zur Instanz werden, wohl aber der großartige Widerstand, der sich damals gegen ihn gebildet hatte und der doch den Beweis erbringt, wenn auch im Kleinen, daß die Menschen und speziell die Deutschen noch nicht ganz die Orientierung verloren haben. Sie wissen zwar nicht, was richtig ist, und haben auch dafür jedes Kriterium verloren, aber was falsch ist, wissen sie nur um so genauer: Hitler und alles, was auch nur entfernt an ihn erinnert. Denn bei den 68ern ist es ja nicht so, daß sie in erster Linie angetreten wären, um alte Nazis zu jagen, nein, die bürgerliche Gesellschaft wollten sie überwinden und eine kommunistische Revolution und Utopie einführen. Das waren die großen Pläne. Allerdings mußten die Studenten schnell feststellen, daß das schon andere mit mäßigem Erfolg versucht hatten und die Arbeiter davon nichts wissen wollten. Und da erst – in ihrem historischen Marsch blockiert – flüchteten sich die verhinderten Revolutionäre in den „antifaschistischen“ Widerstand. Erst dann fingen sie an, statt des real existierenden Kapitalismus einen untergegangenen Nationalsozialismus zu bekämpfen. Erst dann wandelte sich der naive Kampfgeist der Linken in die gepflegte Widerstandspose der tragenden Schichten.

Adorno gegen Amerika

Das Kultbuch der Widerstandsideologie ist Theodor W. Adornos „Dialektik der Aufklärung“, gleich nach dem Krieg entstanden und trotz seiner philosophischen Sprache enorm einflußreich geworden. Allerdings nicht bis heute: inzwischen ist dieses Buch weitgehend vergessen, und nur noch seine Früchte in ekelhaft verwässerter Form schwimmen durch die Kanäle. Die Absicht des nationalen Lagers ist es seitdem gewesen, einen Gegenentwurf zur Frankfurter Schule zu erarbeiten. So ein Programm enthält aber auch eine große Gefahr, auf die wir im zweiten Abschnitt zu sprechen kommen. Zwei Minuszeichen ergeben nämlich nur in der Mathematik ein Plus, nicht in der Politik, und der eigene Widerstand gegen eine falsche Widerstandshaltung ist noch kein Angriff.
Die „Dialektik der Aufklärung“ handelt weniger von Deutschland als von den USA, wo Adorno die Jahre seines Exils verbracht hat. Er beschäftigt sich also in erster Linie nicht mit den Zuständen in Nazi-Deutschland, sondern im Land von Freiheit und Demokratie und Wohlstand, dem er seine Rettung zu verdanken hat. Adorno greift dieses Land in schärfsten Tönen an. Mehr Antiamerikanismus kann man bis heute kaum in einem Buch finden. Das gleiche Urteil gilt auch für die übrigen westlichen Staaten. Für den Humanisten und Fortschrittsgläubigen ist die zivilisatorische Entwicklung insgesamt eine riesige Enttäuschung, das macht Adorno an Beispielen deutlich. Für den Kulturkritiker in der Tradition Nietzsches ist das keine große Überraschung, wohl aber für die linksliberalen jüdischen Intellektuellen, für die Adorno schreibt. Sie müssen aber zugeben: ihr eigenes Projekt, das Projekt der Moderne, ist gescheitert. Und die Sowjetunion bildet keine Alternative. Scharfsichtige Besucher hatten schon in den 30er Jahren feststellen müssen, daß die bolschewistische Revolution nichts als Hunger und blutige Unterdrückung hervorgebracht hatte. Im Westen ist es dafür die Perversität des „amerikanischen Traums“. Ein bißchen fühlt man sich an den österreichischen Dichter Thomas Bernhardt erinnert, den Meister der Übertreibung, und wie er das schöne Salzburg oder das schöne Burgenland als raffinierte Geisterbahn schildert. Je mehr der Mensch sich um Kultur bemüht, desto mehr gerät er in eine moderne Barbarei hinein.

Die totale Negation

Interessant an solchen Texten ist vor allem, wie sehr sie sich trotz aller Übertreibung und Einseitigkeit mit der allgemeinen Beurteilung europäischer Kultur im 20. und 21. Jahrhundert decken. Die Selbstverachtung und Selbstanklage des europäischen Menschen wegen der vielen Verbrechen, die er in der Vergangenheit an den Kolonialvölkern, an den ausgebeuteten Klassen und an der zerstörten Natur begangen hat, lassen fast nichts Bewundernswertes mehr übrig. Was glänzt, gilt als verlogen, das reicht von der christlichen Religion bis zur Unterhaltungsindustrie. Und von heute aus gesehen, hat eine solche Selbstkritik grundsätzlich natürlich ihre Berechtigung, allerdings haben sich Auswüchse gebildet, die gefährlich sind. Und die Hilflosigkeit gegenüber der geballten Kritik, die da auf die eigene Kultur durchweg einstürzt, ist ebenfalls gefährlich. Sie verführt zur Passivität. Sie führt zur politischen Verweigerung. Und sie führt zu der erwähnten Widerstandshaltung als letzter Rettung gegen die Verzweiflung.
Als die 68-er-Studenten ihn mobilisieren wollten, verbarrikadierte sich Adorno in seinem Institut und ließ weder eine Äußerung der Sympathie noch der Distanzierung hören. Auch als Studentinnen im Auditorium ihre Büstenhalter warfen, blieb er scheinbar ungerührt. Die „Dialektik der Aufklärung“ ist eine negative Dialektik: es gibt einen Umschlag, aber keine Aufhebung. Hat der Mensch danach gar kein Kriterium mehr für Moral und Politik? Ist alles gleich furchtbar und daher alles gleich gültig? Diese Konsequenz wäre der Nihilismus. Was ihn verhindert, und das ist das geheime Leitmotiv der kritischen Theorie, ist Auschwitz. Auschwitz ist das letzte Kriterium. Mitten im Schlamm gibt es noch einen tieferen Abgrund. So ist eine Art Aufgabe wiederhergestellt. Aus der Verzweiflung ist wieder eine Haltung gewonnen, eine Widerstandshaltung, eine Art Rückgrat. Da mag es in der aktuellen Politik und auch im persönlichen Leben keinerlei Orientierung mehr geben, aber eines gibt es doch noch, worauf wir bauen können: daß niemals wieder ein Hakenkreuz von unseren Dächern weht. Dabei ist es gar nicht so wichtig, was genau unter dem Hakenkreuz geschehen ist, auf jeden Fall steht es für das Entsetzliche, das wir unbedingt verhindern müssen und bisher auch noch immer verhindert haben. Dafür, wenn auch für sonst nichts, können wir uns an Festtagen gratulieren. Man darf sich über den Widerstandskult nicht voreilig amüsieren. Er ist ein Rettungsanker, und wer losläßt, muß wissen, wohin er segeln will.
Die Gefahr heute ist nicht eine totalitäre Weltanschauung, sondern die allgegenwärtige Stagnation. Trotz zunehmender Bedrohung verhalten sich die Deutschen ruhig. Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Sie haben den Eindruck, alle Möglichkeiten seien bereits durchgespielt. Nichts geht mehr. Das einzige, dessen sie sicher sind, ist, daß der Nationalsozialismus nicht wieder aufkommen darf. Nur wer diese völlig fiktive Bedrohung aufbaut, kann mit einer leidenschaftlichen Abwehr rechnen. Nur dann wird überhaupt noch ein politischer Wille sichtbar. Deshalb ist der „Kampf gegen rechts“ trotz seiner Lächerlichkeit das Kernstück eines „demokratischen Selbstverständnisses“ geworden.
Die Nationalen haben dadurch auch einen großen Vorteil. Die eigene Wichtigkeit brauchen sie nicht zu betonen und auch nicht zu begründen. Sie ergibt sich automatisch aus dem Verhalten der anderen. Wer so verfolgt und verdächtigt wird, muß ein enormes Potential haben. Welches das sein soll, ist den meisten rätselhaft bei den „dumpfen Sprüchen“, die von Rechten stets überliefert werden, und ihren „kruden Verschwörungstheorien“, aber irgendwo muß die Stärke dieser Leute ja liegen, wahrscheinlich irgendwo im Geheimen. Das sind die besten Voraussetzungen, um Interesse zu wecken. Die Öffentlichkeit wartet geradezu auf eine „nationale Bewegung“ modernen Zuschnitts. Und wenn etwas verboten ist, wird es sich erst recht herumsprechen. Insofern ist die „Fixierung“ für uns sogar nützlich. Man darf allerdings nicht mit einer Gegen-Fixierung reagieren. Das ist allzu oft der Fall. Die „nationale Bewegung“ hat sich weitgehend in einen „nationalen Widerstand“ verwandelt. Das heißt, sie definiert sich hauptsächlich dadurch, was sie nicht ist, was sie bestreitet, und womit sie nichts zu tun haben will. Das ist teilweise unglaubwürdig, vor allem aber ist es schlicht langweilig und lockt keine Katze hinter dem Ofen hervor.

Entstehung einer Anti-Antifa

„Hier marschiert der nationale Widerstand“, der Ruf ist auf Demonstrationen verboten, wohl weil die Erinnerung an „SA marschiert“ anklingen könnte. Darüber braucht sich aber niemand Sorgen zu machen, denn ein Widerstand kann gar nicht marschieren. Das ergibt sich schon aus seiner physikalischen Definition. Ein Widerstand ist etwas, wodurch das Fließen des elektrischen Stroms gehemmt wird. Deshalb muß man ihn von der Stromstärke abziehen. Genau das trifft auch auf den politischen Widerstand zu. Er kann hemmend wirken, aber niemals selbst der Antrieb sein.
Heute stehen sich zwei wild entschlossene Widerstände gegenüber, plakativ Antifa und Anti-Antifa genannt. Die Zwillingshaftigkeit, die sich jetzt auch in der Kleidung kundtut, hat durchaus einen Aussagewert. Was würde die Antifa machen, wenn es die „Nazis“ nicht mehr gäbe? Die meisten Antifas wären dann wohl nur Hartz-Empfänger wie andere auch. Und ohne das politische Stigma, da dürfen wir uns nichts vormachen, wären auch viele „Nazis“ nur arme Würstchen.
Aber wir reden hier nicht von NS-Nostalgie. Wir reden von Leuten, die für den Nationalsozialismus keinerlei Sympathien haben, jedoch der Meinung sind, ohne Wahrheit und Gerechtigkeit für Nazi-Deutschland könne es auch keinen politischen Neuanfang geben. Erst müssen Kriegsschuldfrage und Judenverfolgung objektiv bewertet sein, erst dann ist ein Konzept gegen die Arbeitslosigkeit machbar.

„Wahrheit“ wird zur Fiktion

In gewisser Weise haben diese Leute recht. Die Arbeitslosigkeit und vieles andere sind nur mit einem gründlichen Gesinnungswandel anzugehen. Und der wird zwangsläufig auch den Blick auf die deutsche Vergangenheit verändern. Nur die Reihenfolge ist falsch. An den aktuellen Themen – also denen, wovon der einzelne wirklich betroffen ist – müssen neue Wege entwickelt werden. Dann sieht auch die „historische Wahrheit“ anders aus. Denn geglaubt wird nicht, was „wissenschaftlich bewiesen“ ist, sondern woran wir glauben müssen, um unsere eigene Existenz zu rechtfertigen.
Das Thema Objektivität ist unter dem Schlagwort „Erkenntnis und Interesse“ von den Linken ausführlich erörtert worden. In der marxistischen Kritik gibt es keine „objektive Wissenschaft“ und keine „objektive Wahrheit“. Das sind bürgerliche Herrschaftsbegriffe. Auch die Nationalsozialisten haben den Wert der Objektivität bestritten. Inzwischen sind wir wieder ganz und gar in die Wissenschaftsgläubigkeit zurückgefallen, mit fatalen Folgen auf vielen Gebieten. Man kann schon fast von einer Experten-Diktatur sprechen, die jede Frage nach dem Nutzen und Nachteil verbietet. Es ist doch ohnehin klar: vor 1945 haben die Experten das eine gesagt, zwanzig Jahre später sagten sie das Gegenteil, und inzwischen haben sie ihre Wahrheit schon wieder mehrmals geändert. Schon bei so simplen Fragen wie Ernährung und Rauchen bekommt man wechselnde Auskünfte. Vielleicht sollten wir uns mit dem Gedanken abfinden, daß „die Wahrheit“ eine instabile Größe ist.
Das Vorhaben, die Deutschen von ihrer Vergangenheitsfixierung zu lösen, wie man einem Klammeraffen die Finger einzeln von der Stange löst, hat zu einer Fixierung auf die Fixierung geführt. Und manchen gefällt das sogar ganz gut. Dann haben sie nämlich eine Erklärung dafür, daß das Volk ihre konservativen und nationalen Grundsätze ablehnt. Die Deutschen sind eben vom „Schuldkomplex“ befallen und befinden sich noch in den Händen der „Umerzieher“. Daher hatten wir uns mit der Herkunft dieses Schuldkomplexes etwas näher beschäftigt. Er entspringt vor allem einer epochalen Verzweiflung und Ratlosigkeit angesichts der Zivilisationskrise. Diese tiefe Zukunftsangst müssen wir überwinden, dann interessiert auch der braune Buhmann nicht mehr. Dann wird man sogar den Nationalsozialismus konstruktiv kritisieren können.

Opferrolle ablegen

Der „Kampf um die Wahrheit“ hat noch einen weiteren verführerischen Aspekt. Weil es verboten ist, solche „Wahrheiten“ laut zu verkünden, wird der Betreffende zum politisch Verfolgten und Inhaftierten. Zum Tode verurteilt wird er noch nicht, aber das wäre wohl das immanente Ziel, nämlich zum Widerstandsmärtyrer zu werden im gleichen Rang wie die Widerstandshelden des 3. Reiches. Der Widerstand, über den die anderen sich definieren, wäre durch den eigenen Widerstand gebrochen. Damit ist der Weg zu einer nationalen Politik frei, so glauben viele. Aber aus der Verfolgung des Argumentierenden ergibt sich nie die Richtigkeit der Argumente. So haben die Nationalsozialisten nicht schon deshalb unrecht gehabt, weil es unbestreitbar riesige Opfer gab. Der Zusammenhang ist nicht zwingend. Oder zwingend nur für Menschen, die kein anderes Kriterium für politische Entscheidungen mehr haben, als möglichst keinem auf die Füße zu treten. Die Vermeidung von Opfern ist nicht das wichtigste Kriterium, und schon gar nicht, wenn dabei unsere Zukunft geopfert wird.

Die Widerstandsfalle

Es sind nicht nur die Holocaustfixierten, die im gegnerischen Schema stecken bleiben. Beim Thema „Meinungsfreiheit“ allgemein kann man leicht in die „Widerstandsfalle“ geraten. Denn wer hat eigentlich die Forderung aufgestellt, daß jeder jedem jederzeit mit der „eigenen Meinung“ kommen darf? Sind es nicht die Superliberalen und Antiautoritären, die uns das eingebrockt haben? Das Kind sagt zum Vater: „Du bist doof“, der Lehrling sagt zum Meister: „Ich hab keinen Bock“, der Promi quatscht in der Talkshow den größten Unsinn zusammen, und Millionen können zuhören. So sieht die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit in der Praxis aus. Viele ärgern sich darüber, aber kaum einer klagt diesen Zustand an. Statt dessen wird laut beklagt, daß die sogenannte Meinungsfreiheit immer noch eine Grenze hat. Der Paragraph gegen Volksverhetzung soll weg. Das Ideal ist offenbar eine Öffentlichkeit, in der man „Juda verrecke“ genauso ungestraft fordern darf wie „Sex, Drugs and Rock’n Roll.“ Das wäre wenigstens gerecht. Wenn die Obrigkeit auf ihrer Ausnahmeregelung gegen „Nazis“ besteht, dann heißt es ganz schnell: „Ha! Da seid ihr gegen die Zensur im 3. Reich und verbietet selbst gegnerische Gedanken!“ Beliebt ist auch der Vergleich von national Verfolgten mit den Juden nach 1933. Ständig findet hier eine kuriose Meisterschaft statt, wer ist freier, wer ist demokratischer, und wer ist der böse Nazi. Diese Meisterschaft interessiert außer den Mitwirkenden niemand.
Überhaupt führt der Begriff der „Freiheit“ im rechten Lager eine seltsame Existenz. Was ist eigentlich Freiheit? Zwar kann man auch von der „Freiheit der Völker“ sprechen, doch das ist bereits ein polemischer – also ein widerstandsbestimmter – Gebrauch. Denn eigentlich ist mit Freiheit stets die Freiheit des Individuums gegen eine übergeordnete Instanz gemeint, wie sie sich seit 1789 entwickelt hat. Diese Entwicklung ist inzwischen an einem Punkt angekommen, wo sie uns zum Verhängnis wird. Das dürfte klar sein. Nach dem üblichen Wortgebrauch haben wir also nicht etwa zu wenig, sondern zu viel Freiheit. Doch wer spricht das aus? Den Fetisch Freiheit – der größte Fetisch der westlichen Welt und der Lieblingsfetisch der USA – wagt kaum jemand anzugreifen. Nationale kontern das Freiheitsgetön vielmehr mit ihrer eigenen Freiheitsglocke, so dass höchstens Eingeweihte mitbekommen, daß jeweils das Gegenteil gemeint ist.

Wer will noch „Täter“ sein?

Ähnliches gilt für den Begriff der „Demokratie“. Wer als undemokratisch gebrandmarkt wird, muß sich reflexhaft verteidigen. Und wenn man Demokratie mit „Herrschaft des Volkes“ übersetzt, bedeutet das gar nichts. In dieser Definition ist auch Nordkorea eine Demokratie. Nur die Nationalsozialisten haben unverschämterweise das Etikett abgelehnt und die Demokratie zum Schimpfwort erklärt. Aus diesem Grund fühlen sich nun alle Nationalen gezwungen den Fetisch Demokratie zu hochzuhalten, damit sie nicht in den Verdacht kommen, sie wie Hitler abschaffen zu wollen. Aber man kann, wie gesagt, die Demokratie auch sehr gut abschaffen, ohne den Begriff zu verneinen. Es bietet keine Garantie. Im Gegenteil, das Wort bietet heute fast die Garantie dafür, dass das Volk sich selber abschafft.
Auf Demonstrationen tauchen manchmal Gestalten auf, die ein Hemd mit der Beschriftung „Täter“ tragen. Mit denen sollten wir uns mal unterhalten. Wollen sie einfach schockierend wirken? Oder haben diese jungen Leute tatsächlich kapiert, daß entschlossene Handeln selbst zur Provokation geworden ist? Denn solange die Welt kein Himmelreich ist, gibt es bei jeder Tat auch Opfer. Es können auch kleine Herabsetzungen und Enttäuschungen sein, die man anderen bereiten muß. „Der Handelnde ist immer gewissenlos“, sagte Goethe. Daraus geht hervor, daß der Widerstand zwar eine edle Haltung, aber keine echte Handlung ist. Der Widerstand gehorcht dem Gewissen, die Tat gehorcht dem Willen.

 

 
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