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Drei Raubritter gegen den Westen

Von Dr. Angelika Willig

Ernst Noltes neues Buch über den Islamismus

Ein bißchen erinnert er an Carl Schmitt. Auch Ernst Nolte wird seinem akademischen Fach gern untreu. Er stellt große Fragen und gibt merkwürdige Antworten. Er liebt die Provokation. „Er will ja nur spielen“, schreibt ein Rezensent zu Noltes neuem Buch über den Islamismus.

Das Gefühl, daß er „spielen“ will, hat man bei Schmitt auch häufig. Dabei sind beide ehrgeizig und erstreben trotz allem den Beifall der gelehrten Welt. Und schließlich tragen sie ein Ideal in sich, das immer präsent ist, aber nie deutlich zur Sprache kommt. Bei Schmitt ist es der traditionelle Katholizismus, bei Nolte die alte bürgerliche Gesellschaft. Sie sind Konservative, die selten vom guten Alten und polemisch vom schlechten Neuen reden. Das „schlechte Neue“ ist für Nolte der Kommunismus, das schlechte Rezept dagegen heißt Nationalsozialismus, und da wir beides endlich überwunden haben, kommt der Islamismus als dritter Gegner der freien und vernünftigen Gesellschaft. Das verbindet die drei gegensätzlichen Strömungen: sie stehen alle gegen das liberale Wunschbild. Da hat Schmitt natürlich ein ganz anderes Wunschbild und ist insofern ein Antipode. Aber die Arbeitsweise ist bei beiden ähnlich „hintenherum“. Darum gelingt es ihnen auch, trotz „altbackener“ Ansichten, denn altbacken sind inzwischen sowohl das Reaktionäre wie auch das Liberale, die Gemüter zu spalten und zu erhitzen.

Bürgertum bleibt heimlicher Ausgangspunkt

Ihre Aufgabe ist die des Katalysators. In der Chemie sind Katalysatoren Stoffe, die an der ablaufenden Reaktion nicht teilnehmen, aber sie beschleunigen. Ohne den richtigen Katalysator verlaufen viele chemischen Prozesse so langsam, daß sie für die Technik nicht nutzbar sind. So kamen durch Ernst Nolte und den „Historikerstreit“ Dinge, die lange ruhten, erst in Bewegung.
Wir erinnern uns: Der renommierte Historiker behauptete Mitte der 80er Jahre zum allgemeinen Entsetzen, daß die Verbrechen der Nationalsozialisten eine mehr oder minder verständliche Reaktion auf die Verbrechen der Bolschewisten in der Sowjetunion gewesen seien. Das hebt die deutsche Schuld nicht auf, aber selbst wenn die NS-Verbrechen im Umfang größer waren, so bleibt doch am meisten an denen hängen, die „angefangen“ haben. Das wissen schon die kleinen Kinder. Für Nolte haben die Kommunisten angefangen: deren Revolution hatte 15 Jahre früher stattgefunden und in diesem Zeitraum schon jede Menge Opfer gefordert und Grausamkeiten bisher unbekannter Qualität hervorgebracht. Auch propagierte der Bolschewismus eine Zerstörung der bisherigen Kultur und den neuen proletarischen Menschen. Hier ist das das geheime Ideal von Nolte, sein Arcanum, mit Vernichtung bedroht. Die bürgerliche Welt, wie sie etwa Thomas Mann dargestellt hat, und wie die Jüngeren sie längst nicht mehr kennen, repräsentiert die europäischen Werte. Deshalb stellte die Sowjetunion mit ihrem expansiven Anspruch die eigentliche Gefahr für Europa dar.

Das Neue am Islamismus

Und nun ist es der Islamismus. Für Nolte ist es das „relativ Neuartige“, aber wirklich neuartig am Islamismus erscheint nicht die Ware, die er anbietet, sondern nur die ausgefeilte Logistik. Sie ist der globalisierten Welt bestens angepaßt und verzichtet auf ein festes geographisches Zentrum sowie eine persönlich greifbare Führung. Dezentral und universell agieren die Protagonisten und bilden eine „Weltmacht“ neuen Typs, die nichts aufbaut, sondern nur noch unterwandert. So heißt es zum 11. September: „Jedenfalls hatten die Täter, junge und meist akademisch gebildete Männer aus verschiedenen islamischen Staaten, eine erstaunlich gute und effiziente Organisation im Rücken, und die USA schienen als Vormacht der westlichen Welt von einer andersartigen, aber gleichwertigen Weltmacht, als deren Kopf immer wieder bin Laden genannt wurde, in ihrer Existenz bedroht zu sein, eben dem Islamismus, der die ganze islamische Welt hinter sich hatte, denn dort, und zumal in den Gebieten der Palästinenser, war es zu exorbitanten Freudenkundgebungen gekommen.“ Von der Vermutung, daß der 11. September eine bloße Inszenierung gewesen sei, hält Nolte nichts, obwohl er sie durchspielt.
Ähnlich wie Carl Schmitt scheut auch Nolte nicht davor zurück, seine Position grundlegend zu ändern, ohne dies dem Leser explizit mitzuteilen. Man kann sich dann nur wundern. So etwa darüber, daß Kommunismus und Nationalsozialismus in der bisherigen Theorie einander feindlich gegenüberstehen, der Nationalsozialismus wird sogar von seinem Haß gegen den Bolschewismus zu den schrecklichsten Taten getrieben, und nun im neuen Werk stehen Braun und Rot Seite an Seite im „Widerstand“ gegen die auch vom Islamismus verworfene freie Welt. Um solche Wendungen zu begreifen, muß man die (geheime) Parteilichkeit des Autors zugrundelegen. So ist seine alte These implizit gegen diejenigen Kollegen gerichtet, die den Nationalsozialismus als Produkt des deutschen (Klein)-Bürgertums und seiner „Sekundärtugenden“ zu entlarven suchten.

Totalitarismustheorie umgruppiert

Nolte hingegen hielt den Nationalsozialismus mit seinen Schrecken umgekehrt für ein Produkt des linken revolutionären Terrors. Nun aber ist der Islamismus auf den Plan getreten, und es geht darum, seine Bedrohlichkeit und die relative Schwäche des Westens hervorzuheben. Und wie ginge das besser, als indem man den neuen Feind in eine Reihe mit den beiden Schreckensregimen von Hitler und Stalin stellt? Das „Arcanum“ von Nolte ist, wie das von Schmitt, höchst sensibel und gefährdet. In der politischen Realität, so muß man wohl sagen, spielt es schon gar keine Rolle mehr. Kein Staatswesen repräsentiert heute echten Traditionalismus oder echten Liberalismus. Den jeweiligen Standpunkt kann man eigentlich nur noch vertreten, indem man seine Widersacher mit Argumenten verfolgt. Seit dem 20. Jahrhundert gibt es demnach nur „Widerstand“ und das, wogegen agiert wird, versteckt sich in seinen Verfallserscheinungen. Eine verfallende Kirche, ein verfallendes Bürgertum und Gelehrtentum und, dagegen aufbrausend, wechselnde „Widerstandsbewegungen“, die relativ kurzlebig sind, aber die Vitalität für sich haben. Insofern ordnet sich der Islamismus den beiden „Vorgängern“ logisch ein: „Als im Jahre 1991 die Sowjetunion zusammenbrach und ein Turbokapitalismus ins Leben trat, da war es für einige Jahre die allgemein vertretene oder vertretbare Überzeugung, daß ein erstarrter, bewegungslos gewordener Sozialismus sich als bloße Widerstandsbewegung gegen den höchst flexiblen und dynamischen Kapitalismus gezeigt habe und mit innerer Notwendigkeit gescheitert sei. Mithin wäre es gerechtfertigt, den scheinrevolutionären Kommunismus als eine von drei Widerstandsbewegungen gegen den Kapitalismus neben den Faschismus und den Islamismus zu stellen.“ Alle drei haben aber auch gemeinsam, daß sie keine neue historische Stufe erklimmen, keine dauerhaft neue Ordnung zu schaffen vermögen. Der „Widerstand“ läuft am Ende nur auf Zersetzung hinaus.
Man hat Nolte schon vorgeworfen, daß er kein Fachmann ist und sich mit dem Thema „übernimmt“. Doch um den Islamismus historisch einzuordnen, muß man beileibe kein Orientalist sein. Zumal sich die Spezialisten in ihrer Auffassung vom friedlichen bzw. gefährlichen Islam trotz aller Kenntnisse der Originalsprache ständig widersprechen.

Keine große Faszination

Man hat allerdings nicht das Gefühl, daß Nolte von der moslemischen Welt in der Weise fasziniert ist wie vom Marxismus oder vom Nationalsozialismus. Das heißt, das Thema zieht ihn ob seiner Aktualität und Radikalität zwar an, aber schließlich vermag der Autor trotz intensiver Studien nichts intellektuell Anziehendes zu finden. Und das ist vielleicht die Schwäche an diesem Buch, daß der Islamismus als Idee hier zu schlecht wegkommt, um seinen momentanen Erfolg schlüssig zu erklären. Fast jeder Geistesmensch hat irgendwann einmal mit marxistischen Kategorien geliebäugelt. Und sich in die Seele eines Nationalsozialisten hineinzuversetzen, bleibt eine immer bestehende Herausforderung. Doch der Islam scheint dem europäisch geprägten Menschen nichts mitzuteilen, wenn man Ernst Nolte als Beispiel des europäischen Menschen gelten läßt. Ist es etwa eine Frage der geographischen Herkunft?? Darauf geht der Autor nicht ein. Er zitiert Ernest Renan, der den Islam mit einem „eisernen Ring“ vergleicht, welcher „den Kopf des Gläubigen umschließt“ und ihn unfähig macht, sich der Wissenschaft und dem Neuen zu öffnen. Der Islamismus jedoch hat diese Sicht genau umgekehrt: Die Ursache für die Zurückgebliebenheit der moslemischen Welt in den letzten Jahrhunderten liege darin, daß die Muslime sich von ihrer Religion entfernt hätten. „Sich der Wissenschaft und dem Neuen zu öffnen“, die Aufklärung also, wäre demnach gerade der Anfang vom Ende. Viele europäische Konservative würden dem sogar zustimmen, dennoch bleibt es Tatsache, daß Wissenschaft und Technik auch für die Islamisten die Grundlage jeder Wirksamkeit sind. Einerseits benutzen sie Internet und Flugzeuge, andererseits bestreiten sie die rationalen Grundlagen der Erkenntnis. Dieser Widerspruch ist nicht zu lösen.

Wie der Islamismus entstand

Den Islamismus definiert Nolte als „die besonders starke Hervorhebung der Bedeutung des Islam im Ausgang von einer Verteidigungsposition“ und führt ihn auf die Bewegung der „Muslimbrüder“ unter Hassan al-Banna zurück. Als Gründungsdatum wird das Jahr 1928 angegeben. Demnach wäre der Islamismus schon beinahe so alt wie der Nationalsozialismus, aber weitaus jünger als der Kommunismus. Nicht nur aus diesem Grunde würden wir die beiden ersteren als „Widerstandsbewegungen“ gegen die Moderne gelten lassen, den Kommunismus respektive Marxismus aber keineswegs als Widerstand, sondern als Erfüllung der modernen Ideen – eine Erfüllung, die allerdings scheitern mußte. Die Partei von Al-Banna begann mit der Empörung über den Luxus der englischen Häuser in Ägypten. Die unterprivilegierte Stellung der Moslems stand in Gegensatz zum früheren Glanz des Islam. Entsprechend knüpfte man an die religiöse und kulturelle Tradition an. Wir würden sagen, der Islamismus ist ursprünglich ein Protest gegen die „Überfremdung“ durch den Kolonialismus und die anschließende Globalisierung. Aber was hat es mit dem wertvollen Erbe des Islam auf sich, und was verdankt ihm Europa tatsächlich? Darauf geht das Buch leider wenig ein, weil es sich auf das 20. und 21. Jahrhundert beschränkt. Die Schwierigkeit ist jedoch: Was der Islam Europa zu bieten hatte, ist bereits in der frühen Neuzeit abgeschöpft worden, etwa auf den Gebieten der Mathematik und Astronomie. Heute müßte umgekehrt Europa dem Islam etwas anbieten, nämlich seinen Platz in den angestammten Gebieten des Orients und das Ende seiner irrigen Wanderung in den Norden.

Austauschbare Ideologie?

Zum Schluß macht Nolte eine Aussage, die gewissermaßen das ganze Thema in Klammern stellt: „Jedenfalls dürfte klargeworden sein, daß die wechselseitige Feindschaft nicht das letzte Wort ist, sondern daß angesichts eines kaum schon begriffenen Dramas im Geschick des kosmologischen oder transzendentalen Wesens der Menschheit, die großen Kämpfe der Geschichte zwar nicht an Bedeutung verlieren, wohl jedoch möglicherweise an Letztgültigkeit.“ Mit Begriffen wie „Geschick“ und „Menschenwesen“ stellt sich Nolte hier in die Tradition Heideggers, doch was er von der Geschichte sagt, klingt eher ernüchternd. „Wohl jedoch möglicherweise“, sagt er vorsichtig, ist der Islamismus gar nicht so wichtig. Es lohnt vielleicht gar nicht die Zeit, sich in die diesbezüglichen Details einzuarbeiten oder gar arabische Sprachen zu lernen, weil inzwischen schon längst wieder eine andere „Widerstandsbewegung“ irgendwo entstanden ist, die mit völlig anderen Wörtern und Bildern die gleiche objektive Aufgabe erfüllt, nämlich den westlich aufgeblähten Menschen in seine Schranken zu verweisen und ihn wieder das Fürchten zu lehren. Hat man noch glauben können, daß der kalte Krieg zwischen Ost und West ein „letztgültiger Kampf“ um das Schicksal der Menschheit sei, so ist es der „Krieg gegen den Terror“, den Bush ausgerufen hat, mit Sicherheit nicht. Man braucht nicht den Angriff auf das WTC zu bezweifeln, um den Eindruck zu haben, daß die endzeitlichen Metaphern hier fehl am Platze sind. Beim Sieg über den Nationalsozialismus bildete man sich ein, die Zukunft für sich erobert zu haben, beim Zusammenbruch des Kommunismus konnte man es sich noch mal einbilden. Jetzt kommt als neuer Gegner der Islamismus. Wenn der Westen gesiegt hätte, dürfte es ihn gar nicht geben. Die Geschichte verläuft nicht mehr plangemäß. Ein Geist wie Nolte bleibt davon nicht ungerührt.

Ernst Nolte
Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus
Berlin 2009, Landt Verlag, 413 Seiten
€ 39,90

 
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