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Populismus als Feind der Demokratie?

Von Univ.-Prof. Dr. Jost Bauch

Nichts fürchtet der Hegemon mehr als das Volk. Und so ist es nicht verwunderlich, daß die Vertreter des derzeit herrschenden Politikbetriebes mit ihren gemieteten Politologen zurückschlagen, um die politischen Bewegungen in Deutschland und Europa, die der herrschenden Politik Einhalt gebieten wollen, zu schwächen. Da kommt es gerade kurz vor den Wahlen dem politischen Establishment recht, daß der Politologe Jan-Werner Müller bei Suhrkamp ein Pamphlet herausgegeben hat: „Was ist Populismus?“ Dabei tut einem der Suhrkamp Verlag fast schon leid. Links war der Verlag schon immer, aber ein gehobenes Niveau seiner Schriften kann man ihm nicht absprechen. Diese Traditionslinie wird mit der Kampfschrift von Müller abgebrochen, und Suhrkamp reiht sich ein in die Verlage, die kurzatmig dem Zeitgeist folgen. Denn das Buch von Müller ist schlecht und ärgerlich, weil es wissenschaftlich und parteiübergreifend daherkommt, aber dann doch durch und durch parteiisch ist. Anstatt einen offenen Diskurs über Populismus zu führen, wird selbiger als Schreckgespenst der wirklichen Demokratie (in den Augen des Autors), dem liberal-pluralistischen Demokratieverständnis, aufgebaut und konstruiert. Der vorgegebenen wissenschaftlichen Disputation zum Trotz verrät bereits der Klappentext die wahre Intention: Müller will eine Theorie des Populismus (?) skizzieren, um den Populismus letztlich klar von der Demokratie abzugrenzen. Müller wendet dabei zwei übliche Tricks an, um seine politischen Gegner zu desavouieren: Er nimmt den Begriff des Populismus (der ja alleine schon ein konstruierter Begriff ist, ein sprachliches Artefakt, das denjenigen politisch identifizieren und abwerten soll, auf den man ihn anwendet), füllt diesen mit selbst gewählten Inhalten, die das, was man unter diesem Begriff subsumiert, angreifbar macht, und führt dann mit scharfer Klinge die argumentative Attacke gegen die selbstentworfene Chimäre. Der zweite Trick besteht darin, daß man den Populismus in seinen empirischen und dann eben auch teilweise nicht immer ergötzenden Ausführungen mit der reinen, theoretischen Lehre der liberalen Demokratie (Gewaltenteilung, Minderheitenschutz, Balance of power, Rechtsstaatlichkeit etc.) in Beziehung setzt. Verschleiert wird dabei, daß der Populismus ja gerade als Reaktion auf (empirisch wahrnehmbare) Verfallsformen dieser reinen Formen der Demokratie seine Existenzberechtigung herleitet. Wenn man den Populismus mit dem liberalen Demokratiemodell vergleichen will, so muß man auf der empirischen Ebene bleiben, also den realen Entwicklungszustand dieses Modells, den Wolfgang Streek als Zustand einer „Fassadendemokratie“ bezeichnet hat, in den Vergleich mit einbeziehen.
Für Müller ist der Populismus eine große Gefahr, Deutschland ist geradezu vom Populismus umstellt und das Merkel-Land in der Mitte ist fast der letzte Grahlshüter der wahren Demokratie. Zum Populismus zählt Müller die AfD, Pegida, die FPÖ, Erdo?an, die Französische Revolution, den Nationalsozialismus, Berlusconi, Mussolini, Trump, Putin, Geert Wilders, Marine Le Pen, Jaroslaw Kaczy?ski, Victor Orbán, Hugo Chavez, Raffael Correa, Dansk Folkeparti sowie Beppe Grillo. Die Liste ist nicht vollständig. Müller kann diese „bösen“ Politiker und Bewegungen alle in einen Topf werfen, weil er von einer mehr oder weniger verdeckten Agenda, einer eigenen populistischen politischen Theorie, gar einer „inneren Logik“ des Populismus ausgeht. Ziel seines Werkes ist es, diese innere Logik offenzulegen.
Der Populismus ist nach Müller antidemokratisch, weil er fundamentalistisch, antipluralistisch ist, die innerparteiliche Demokratie nicht kennt und verschwörungstheoretisch argumentiert. Kommen wir zu den Punkten im einzelnen. Gerade der Bezug zum Volk macht den Populismus fundamentalistisch. Denn mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ bringen  zum Beispiel die bekannten Dresdener Demonstranten zum Ausdruck, daß sie alleine das Volk darstellen und repräsentieren. Der Populismus verbindet mit diesem Ruf einen moralisch-politischen Alleinvertretungsanspruch. Da nur sie das Volk sind, können sie alle anderen, die nicht zu ihnen gehören, ausgrenzen und gegen eine parasitäre Elite, die sich vom wahren Volk abhebt, kämpfen. Populisten sind Anhänger einer    vorpolitischen, substantialistischen Volksvorstellung, wobei dieses Volk nur durch die eigene Bewegung repräsentiert wird. Im Gegensatz zu dieser archaischen Volksvorstellung insistiert Müller darauf, daß es so etwas wie ein Volk gar nicht gibt, zumindest ist es als solches politisch und gesellschaftlich gar nicht faßbar, Volk ist eine symbolische Konstruktion und muß durch das politische System erst mediatisiert werden. Es sind immer nur Teile des Volkes, mit denen die Politik arbeiten kann, und die „Frage der Zugehörigkeit und nach der Definition des Demos ist immer wieder neu auszuhandeln“ (94). Müller arbeitet hier mit einer Unterstellung und einem falschen Politikverständnis. Zunächst ist der von Müller konstatierte Alleinvertretungsanspruch eine Unterstellung. „Wir sind das Volk“ bedeutet nicht, wenn man den Pegida-Ruf richtig interpretiert, daß damit gemeint sein könnte, daß ausschließlich die Demonstranten alleine das Volk sein könnten (alleine von der Zahl her nicht). Mit dem Ruf kommt zum Ausdruck, daß der „normale“ und durchschnittliche Bürger (der „homme moyen“) seine Interessen im politischen System nicht mehr vertreten sieht; da steckt kein Alleinvertretungsanspruch für alle dahinter, allerdings geht man von einer bisher „schweigenden Mehrheit“ aus, die sich mit diesem  Ruf Gehör verschaffen will. Anstatt das als Chance eines demokratischen Aufbruchs zu begreifen, als Ruf nach partizipativer Inklusion großer Teile der Bevölkerung, wird dies von Müller als Fundamentalismus abqualifiziert. Geradezu abstrus sind Müllers Vorstellungen vom Volk und damit seine Demokratie- und Repräsentationsvorstellungen. Denn wenn es das Volk eigentlich gar nicht gibt, wenn es politisch konstruiert ist („Ein vorpolitisches, im schmittschen Sinne existentielles Volk abseits der Institutionen können wir auf empirisch nachprüfbare Weise gar nicht finden“, S. 59), wenn es eine „metapolitische Illusion“, weil „unauffindbar“ ist, dann bricht das ganze Repräsentationsprinzip und damit der zentrale Eckpfeiler der Demokratie wie ein Kartenhaus zusammen. Wenn es kein Volk gibt, dann gibt es nichts zu repräsentieren. Auf die simple Idee, daß ein Volk aus der Summe der Staatsbürger besteht und daß die wahlberechtigten Staatsbürger (natürlich über die politischen Institutionen vermittelt) den politischen Willen (z. B. über Wahlen) zum Ausdruck bringen, kommt Müller nicht. Aber er befindet sich da in guter Gesellschaft: Wenn die Bundeskanzlerin deklamiert „Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt“, dann zeigt auch sie, daß sie keine rechte Vorstellung vom Volk und damit von der Demokratie (nämlich der Volksherrschaft) hat.
Aus dem vermeintlichen Alleinvertretungsanspruch der Populisten für das „wahre Volk“ und den „wahren Volkswillen“ leitet Müller die anderen Komponenten seiner Populismuskritik ab: Wenn Populisten den wahren Willen des Volkes kennen, so sind sie zwangsläufig antipluralistisch, denn wenn sie diesen Willen kennen und repräsentieren, dann braucht es keine anderen politischen Parteiungen und Bewegungen, diese müßten sich ja dann, wenn sie ein anderes politisches Programm verfolgen, gegen die Interessen des Volkes stellen (interessant ist, daß das genau die Argumentation der Bolschewiken in der UdSSR war). Während in der von Müller favorisierten liberalen, pluralistischen Demokratie die politischen Gegner als legitime und kompetitive Gegner in einem „verwalteten Antagonismus“ zu betrachten sind, wollen die Populisten ihre Gegner, weil sie ja illegitim sind, „vernichten“ (121). Müller sollte seine von ihm dekonstruierten Populisten ganz nach dem Modell der pluralistischen Demokratie doch bitte als legitime Gegner behandeln und nicht einen solchen Unsinn schreiben. Offensichtlich ist eben das Modell der liberalen Demokratie in einen Zustand geraten, in dem es eine Kritik an seinem Opus operandi außerhalb des Schaupiels der systemtragenden Blockparteien nicht ertragen kann – ein starker Beleg für die Existenzberechtigung „populistischer“ Parteien.
Wenn Populisten im Besitz der politischen Wahrheit sind, dann brauchen sie auch keine innerparteiliche Demokratie, denn der klar erkennbare Volkswille kann ja alleine durch die „Führer“ und ihre Mannschaft erkannt und umgesetzt werden (55). Müller hat offensichtlich nicht die Spur einer Ahnung von den heftigsten innerparteilichen Debatten beispielsweise innerhalb der AfD. Populisten sind seiner Auffassung nach gegen Partizipation und Demokratie, auch wenn sie sich für direkte Volksabstimmungen starkmachen. Wahlen und Volksabstimmungen dienen dabei ausschließlich der „Akklamation“ der populistischen Politik durch das Volk, ein offener Diskussionsprozeß unter Wählern bleibt dabei ausgeschlossen.
Müller will nicht verstehen, daß die Erfolge des Populismus mit den verkrusteten Strukturen des Politikbetriebes und der Meinungsindustrie in Verbindung stehen. Populismus ist zunächst nichts anderes als unmittelbare, durch keine Medien gefilterte politische Kommunikation der Endverbraucher der Politik. Politische Bewegungen, die sich an dieser unmittelbaren politischen Kommunikation orientieren, die also wie Luther dem Volk aufs Maul schauen, sind ein notwendiges Korrektiv für einen offiziellen Politikbetrieb, der als ein geschlossenes, selbstbezügliches System auftritt.


Jan-Werner Müller
Was ist Populismus?
edition suhrkamp, 2016
160 Seiten, brosch., € 15,00

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com