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Leben im Zeitalter der anonymen Ordnung

Von Philip Stein

Rechte Kritik an der Megamaschine


Die Kritik der modernen, allumfassenden Technik setzt eine Weltsicht voraus, die sich als Gegenspieler, als natürliche und zwingende Alternative zu den mechanistisch-individualistischen Ausprägungen ihrer Zeit versteht. Als integraler Bestandteil einer entgegengesetzten, organischen Weltsicht geht die hier folgende Technikkritik weit über die rationalen Vorstellungen und Argumentationen zeitgenössischer Wachstumskritiker und Ökonomen hinaus. Jene Art der Technikkritik ist tiefschürfender, grundsätzlicher und überdies durchdrungen von weltanschaulichen, überzeitlichen Gedanken. Sie umfaßt auch die Kritik moderner Produktionsverfahren, fortschreitender Ausbeutung der Natur und Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Doch greift sie tiefer, untersucht die Technik, die „Megamaschine“ (Lewis Mumford), die fortschreitende Mechanisierung, Ordnung und Automatisierung des menschlichen Lebens auf ihre Ursprünge und Traditionslinien. Sie schürft so tief, daß die Frage nach der modernen Technik und ihr Einfluß auf Mensch und Natur bisweilen zur letzlichen Frage nach dem sinnvollen Weiterbestehen des Menschen sowie dem Dafür und Dawider der verbleibenden menschlichen Zivilisation führt. Denn jene Zivilisation lebt heute vor allem durch die Nutzbarmachung des Menschen als Kapital, die Vernutzung menschlicher Arbeitskraft als Ziffer und Nummer in einem großen System der anonymen Ordnung. Der zivilisierte Mensch ist nicht mehr und nicht weniger als ein mechanisches Zahnrad in einer unter Spannung stehenden, nie ruhenden Apparatur der technischen Ratio. Die organische Ratio der Natur ist hingegen in der mechanischen Welt nicht länger von Bedeutung. An ihrer Stelle hat sich ein Weltbild etabliert, das Natur, Mensch und Kosmos mechanisiert, „entzaubert“ (Max Weber) und neu geordnet hat. Eine umfassende Technikkritik, die gleichzeitig auch eine Kulturkritik in analytischer und greifbarer Form ist, ermöglicht den Zugriff auf die moderne Zivilisation durch das Kritisieren des Bestehenden bei gleichlaufender Beschreibung und Ausformung des Notwendigen. Sie ist Türöffner und Handwerkszeug einer rechten Ökologie.

Oswald Spenglers faustischer Mensch, der immer tiefer nach den Erkenntnissen und dem Wissen der Welt schürft, ist zum Sklaven seiner eigenen Schöpfung geworden, ist nur noch Befehlsempfänger in einer Kette des organisierten Mechanismus. In seiner Abhandlung Der Mensch und die Technik. Beiträge zu einer Philosophie des Lebens widmet sich Spengler ganz dezidiert der Frage nach dem „Aufstieg und Ende der Maschinenkultur“, dem Verhältnis zwischen Mensch und Technik. Spengler entwickelt hierbei ein düsteres Szenario, in dem er den Menschen prophezeit, ihre Schöpfung nicht zu überleben. Er schreibt: „Die Schöpfung erhebt sich gegen den Schöpfer: Wie einst der Mikrokosmos Mensch gegen die Natur, so empört sich jetzt der Mikrokosmos Maschine gegen den nordischen Menschen. Der Herr der Welt wird zum Sklaven der Maschine. Sie zwingt ihn, uns, und zwar alle ohne Ausnahme, ob wir es wissen und wollen oder nicht, in die Richtung ihrer Bahn. Der gestürzte Sieger wird von dem rasenden Gespann zu Tode geschleift.“1 Wenn Spengler hier vom „ Mikrokosmos Maschine“ spricht, meint er eine Kausalkette, die aus zweierlei Komponenten besteht. Zunächst hätten die führenden Industrieländer eine politische Macht erreicht, die sich ausschließlich auf einen industriell bedingten Reichtum stützte. Dieser Reichtum ist laut Spengler das Ergebnis einer grenzenlosen Ausbeutung der Natur durch die moderne Technik, der Ertrag einer „Menschenmasse [...], die von der Technik gezüchtet ist, für sie arbeitet und von ihr lebt.“ Es gehöre zur Tragik der Zeit, daß die Schöpfer und Denker, „das entfesselte menschliche Denken“, die Folgen ihrer Taten nicht mehr zu erkennen vermögen. Ebenso wie die Gebrüder Jünger oder Paul Krannhals erkennt und benennt Spengler die moderne technische Naturbeherrschung als Vernichtung bzw. Vergewaltigung der Natur und nicht als deren Humanisierung. Er entlarvt sie als etwas Gewaltsames, einen Versuch der Unterwerfung. In diesem Punkt ist sich die konservative, rechte Technikkritik weitestgehend einig. Der deutsche Philosoph Karl Jaspers bringt die Problematik der konträren, seiner Zeit und auch heute vorherrschenden Ansicht, die Humanisierung der Natur durch die moderne Technik könne gelingen, auf den Punkt, indem er die generelle Beherrschbarkeit der Technik durch ihresgleichen, gar den Menschen anzweifelt: „Technische Beherrschung des technischen Unheils kann es vermehren. [...] Die Aufgabe der Überwindung der Technik durch Technik selber für im Ganzen lösbar zu halten, das wird ein neuer Weg des Unheils.“
Spengler sieht also einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Anwachsen des Reichtums, der ihn bedingenden starken Industrie und der zunehmenden, zersetzenden „Mechanisierung der Welt“. Bei Friedrich Georg Jünger und Martin Heidegger finden wir später den durch Friedrich Nietzsche formulierten „Willen zur Macht“ als kausale Bedingung für dieses Streben des Menschen nach fortschreitender Mechanisierung, also zum Ausbau der eigenen Macht durch die moderne Technik. Die Spenglersche Linie ist klar: Er sieht in der „Mechanisierung der Welt“ den Untergang für Mensch und Natur heraufziehen. So formuliert er folgerichtig, daß die „Mechanisierung der Welt“ ein „Stadium gefährlichster Überspannung“ erreicht habe und in den kommenden Jahren das „Bild der Erde mit ihren Pflanzen, Tieren und Menschen“ verschlingen wird. Für Spengler bedeutet die „Mechanisierung der Welt“ jedoch nicht ausschließlich das Voranschreiten der maschinellen Technik, er meint vielmehr das Eindringen des technischen, rationalen Denkens in die Sphäre des Menschlichen, der Zivilisation. Diesen Eindringling macht er fest: „Alles Organische erliegt der um sich greifenden Organisation. Eine künstliche Welt durchsetzt und vergiftet die natürliche. Die Zivilisation ist selbst eine Maschine geworden, die alles maschinenmäßig tut oder tun will.“2 Auch bei Spengler findet sich hier der Rückgriff auf das Organische als Gegenspieler zur mechanischen Gegenwart und Zukunft. Spengler beschreibt das mechanische Denken noch weiter und verurteilt es scharf: „Man denkt nur noch in Pferdestärken. Man erblickt keinen Wasserfall mehr, ohne ihn in Gedanken in elektrische Kraft umzusetzen. Man sieht [...] kein schönes altes Handwerk einer urwüchsigen Bevölkerung ohne den Wunsch, es durch ein modernes technisches Verfahren zu ersetzen. Ob es einen Sinn hat oder nicht, das technische Denken will Verwirklichung. Der Luxus der Maschine ist die Folge eines Denkzwanges.“3 Das Eindringen des technischen Denkens in die geistige Sphäre des Menschen ist somit laut Spengler nicht nur im Gange, sondern steht praktisch vor seiner Vollendung. Infolgedessen plädiert Spengler für ein Ende des Selbstbetrugs, denn nur Träumer würden an Auswege glauben. Es gelte auszuharren, Größe zu zeigen und ein „kurzes Leben voll Taten und Ruhm“ einem langen ohne Inhalt vorzuziehen. „Optimismus ist Feigheit. [...] Dieses ehrliche Ende ist das einzige, das man den Menschen nicht nehmen kann“4, beendet der Pessimist Spengler seine Abhandlung.

Jürgen Spengler und Paul Krannhals

Während sich die rechte Technikkritik weitestgehend einig ist, daß die Humanisierung der Natur durch die moderne Technik nicht gelingen kann und lediglich einer gewaltsamen, verhängnisvollen Unterwerfung gleichkommt, bestehen bei den daraus folgenden Handlungsanweisungen gravierende Unterschiede. Spengler entpuppt sich als preußisch-heroischer Pessimist, Paul Krannhals etwa als romantischer Konterpart. So spricht Krannhals davon, die technische Gewaltsamkeit überwinden zu müssen. Er will Fortschritt nur in eine Richtung vollziehen, die durch die Natur vorgegeben wird und mit ihr vereinbar ist. Die Beherrschung der Natur stelle sich so in den Dienst einer organischen Ordnung, in die Natur selbst. Sie werde somit zu einer „inneren sittlichen Notwendigkeit“. Krannhals faßt zusammen: „Das Wesen, der Sinn der Zivilisation, der menschlichen Technik ist es, das fortzusetzen, wozu die Natur in ihren technischen Organisationen den Grund gelegt hat. Diese künstliche Erweiterung der schon in der Natur – sei es in der Organisation des Körpers oder seiner Umwelt – zum Ausdruck kommenden technischen Leistungen und Fähigkeiten, darf sich daher auch nur in dem Sinne und in der Richtung vollziehen, den die Natur angibt.“5 Wenn Friedrich Georg Jünger von der Erde als „Mutter“ spricht und den Menschen als Pfleger und Hirte derselben tituliert, blickt er letztlich in dieselbe Richtung wie Krannhals. Der Unterschied zur Haltung Spenglers wird schnell deutlich. Zwar versteht auch dieser den Menschen als Pfleger und Hirte, sieht jedoch keinen Ausweg aus der technokratischen Herrschaft der Gegenwart.

Martin Heidegger

Um die Technikkritik eines anderen relevanten deutschen Philosophen neben Oswald Spengler zu verstehen, bedarf es einiger zusätzlicher, theoretischer Ausführungen, die bisweilen doch relativ weit über das thematische Spektrum der handfesten Kritik der modernen Technik hinausgehen und vielmehr in die „Seinsgeschichte“ des Menschen eindringen. Inspiriert durch das Werk der Gebrüder Jünger – hier vor allem Ernst Jüngers Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt (1932) und später Friedrich Georg Jüngers Die Perfektion der Technik (1939/1946) –, beschäftigte sich Martin Heidegger zunehmend mit der Frage nach dem „Wesen der Technik“, nach der Beziehung zwischen Mensch und Technik. Auch wenn sich bereits in seinem monumentalen Werk Sein und Zeit von 1927 eine solche Frage andeutet, legt Heidegger doch erst 1953 mit seinem Vortrag Die Frage nach der Technik ein Werk vor, das sich dezidiert mit den vorhergegangenen Fragen befasst. Für Heidegger ist „das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches“, es ist vielmehr ein Ausdruck dafür, welches Verhältnis der Mensch sowohl zu sich selbst als auch zur Welt als solcher einnimmt. Dieser Bezug zwischen Welt und Mensch wird laut Heidegger durch eine technische Weltsicht festgelegt und bedingt, beruhe demzufolge also auf einer unfreien Beziehung zwischen Mensch und Technik, einer Landnahme des Technischen auf dem Gebiet der menschlichen Freiheit. Doch was ist Technik, die griechische téchne? Was unterscheidet sie von der modernen Technik des Hier und Jetzt, der technokratischen Diktatur? Heidegger kritisiert die Technik als ein globales und ideengeschichtliches Phänomen. Auf die traditionelle handwerkliche Technik angewendet, sei die „instrumentale und anthropologische Bestimmung der Technik“ als „ein Mittel für Zwecke“ oder „ein Tun des Menschen“, so wie sie derzeit vorherrsche, durchaus legitim und richtig. Doch die moderne Technik sei etwas anderes, etwas Neues. Ihr mit Neutralität zu begegnen, sie also als etwas Neutrales, als reines technisches Hilfswerk zu betrachten, sei fatal. Vielmehr stehe hinter der Technik eine allumfassende Weltsicht, ein Ausdruck neuzeitlicher Denkweisen, die bis in die tiefsten Winkel des menschlichen Weltbildes vorgedrungen sei. Heidegger grenzt seine Technikkritik also deutlich gegen eine gängige, instrumentale Bestimmung der Technik ab und schürft tiefer. Er schreibt: „Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.“6 Dieses Wesen gelte es zu ergründen, denn „die richtige instrumentale Bestimmung der Technik“ ermögliche keinesfalls eine geeignete Sicht, um bis zum „Wesen der Technik“ vorzudringen. Und Heidegger schließt an: „Gesetzt nun aber, die Technik sei kein bloßes Mittel, wie steht es dann mit dem Willen, sie zu meistern?“7
Die gängige, neutrale Sicht der Technik ist nach Heidegger das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen neuzeitlicher Wissenschaft und Technik. Denn auch in der Wissenschaft hätte die Technisierung Einzug gehalten, sei das „Wesen der Technik“ durch die „Vorherrschaft des Mathematischen“ angelegt. Die moderne Naturwissenschaft sei, auf die Empirie als finales Wahrheitskriterium setzend, ebenfalls zu einem Kettenglied in einer mechanischen Weltsicht, einer technischen Ordnung geworden. Seitdem Wahrheit nur noch als das gelte, was durch Berechenbarkeit und mathematische Nachweise bewiesen werden kann, sei die Wissenschaft zu einem Handlanger der Technik, zu einer Facette der Technik selbst verkommen. Wissenschaft und Technik sind bei Heidegger also eng verwoben. Sie bedingen und legitimieren sich gegenseitig, wirken durch ihren Schulterschluss gar als Monopolist einer zeitgenössischen Wahrheit, die durch sich selbst erst definiert, und so letztlich zur allumfassenden Wahrheit wird. Diese technokratische, wissenschaftlich gestützte Weltsicht führe zu einer „Zerstückelung“ der Welt, einer Vergegenständlichung alles Organischen. Aus dem organischen Zusammenhang wird die Summe seiner Teile, entsteht ein „Bestand“, der technisch-mathematisch organisiert und verwertet werden muß. Was bleibt, ist eine numerische, vereinheitlichte Summe von „Bestands-Stücken“ in einem großen, gleichförmigen „Bestand“. Diese Form der technischen, gewaltsamen Organisation trifft nach Heidegger jedoch nicht nur die Dingwelt. Der Mensch sei vielmehr selbst das primäre Opfer seiner Schöpfung. Er befinde sich in einem Prozess der Entwurzelung, trete als Individuum hinter die mathematische Organisation alles Seienden zurück und werde somit zu einem Stückwerk ohne Bezug zum Ganzen. Was wir heute als „Humankapital“ bezeichnen, ist bei Heidegger hier bereits angelegt. Das „Bestands-Stück“ – hier der Mensch selbst – sei für den „Bestand“ nämlich nur dann von Wert, wenn er nutzbar ist, ergo Leistung erbringt und Erfolge erzielt. Der Mensch wird beliebig, austauschbar. Er ist letztlich nur noch ein Gegenstand im Kreislauf der maschinellen Organisation. Heidegger erblickte im „Arbeiter“ Ernst Jüngers eben jene „Gestalt“, der, die bürgerliche Gesellschaft hinter sich lassend, in „die planetarische Herrschaft des unbedingten Arbeitsplans der Arbeiters“ überführt wird. Michael Rieger schreibt hierzu in der Sezession treffend: „Eine ,totale Revolution‘ eine ,außerordentliche Rüstung‘, eine ,totale Mobilmachung der Materie‘ und eine ,ihr parallel laufende Mobilmachung des Menschen‘ zeichneten sich am Horizont ab. Diesem ,Manifest eines visionären Faschismus‘ (Jürgen Manthey) zufolge hatte das Individuum abgewirtschaftet, um in einem maschinengleich organisierten Arbeiter- und Ameisenstaat aufzugehen.“8 Der Mensch ist in diesem „organisierten Arbeiter- und Ameisenstaat“, im sogenannten „Kreisgang des Gestells“, lediglich eine nutzbare Ressource, ein Rohstoff unter vielen. Das Heideggersche „Gestell“, also die Gesamtheit aller neuzeitlich-technischen Phänomene, „ereignet sich als ein herausfordernder Anspruch, der an das Seiende im Ganzen ergeht. [...] Das Ge-stell ist das nicht technische Wesen der Technik“, schreibt Stefan Wilsch in seiner Diplomarbeit zu Heideggers Denken.9 Dieses „Gestell“ könne nicht bekämpft oder gezähmt werden. Es sei das Ergebnis einer geschichtlichen, keineswegs zufälligen Entwicklung von Mensch und Seiendem.

Der Mensch im Kreisgang des ­Gestells

Dennoch verweist Martin Heidegger auf die Gefährlichkeit dieser gewachsenen Konstellation. Das „Gestell“ sei die „höchste Gefahr“, impliziere sie doch einen Willen zur Macht, der die vollständige Nutzbarmachung, Beherrschung, ja Unterwerfung alles Natürlichen nach sich ziehe – den Menschen inklusive. Dieser Wille zur Macht hat laut Heidegger dazu geführt, daß der Mensch nicht mehr Teil eines „Hervorbringens“ ist, die Technik nicht mehr zum „Entbergen“, also zum Sichtbarmachen und Hervorhohlen der Wahrheit nutzt, so wie es noch der griechischen téchne inhärent war. Denn die téchne brachte noch etwas Verborgenes, einen Teil des unsichtbaren Ganzen durch Menschenhand hervor und war somit gleichzeitig Teil der Wahrheit. Technik war somit also nie nur ein Akt, ein Tun, eine Tätigkeit zur Erleichterung des menschlichen Lebens, sie war als Vorgang des „Entbergens“ auch Hervorbringer der Wahrheit. Die moderne Technik und der ihr zugrundeliegende Wille zur Macht forderten die Natur jedoch heraus, verstünden das „Entbergen“ als einen Akt der Herausforderung, letztlich der totalen Vernutzung. Getrieben vom Wille zur Macht beutet der Mensch die Natur aus, unterwirft sie auf allen technisch-modernistischen Wegen und gelangt somit auf einen Pfad, der gen Untergang weist. Heidegger bilanziert also, daß sich mit der modernen Technik, dem Willen zur Macht und dem daraus resultierenden mechanistischen Weltbild ein Naturverhältnis des Menschen entwickelt habe, das sowohl ihn als auch seine Umwelt in einem gestörten, im Niedergang befindlichen Zustand zurücklässt. Der Mensch hole so die Wahrheit nicht mehr hervor, er „entberge“ nicht mehr in Sinne der griechischen téchne, sondern fordere die Natur gewaltsam heraus, ohne sich der Folgen zu besinnen. Heruntergebrochen bedeutet das: Die moderne Technik hat das Verhältnis alles Organischen zueinander und zu sich selbst gravierend verändert. Vielleicht zerstört?
Was fordert Heidegger also nun dort, wo Oswald Spengler von einem Ausharren „auf den verlorenen Posten [...] ohne Hoffnung“ spricht? Fordert er überhaupt? Oder läßt er gewähren? Heidegger erkennt in der außerordentlichen Notsituation eine ebensolche Chance. Was er für nötig hält, ist keineswegs eine romantische Rückkehr zur nostalgischen, vorindustriellen Zeit. Er will Mensch und Maschine, moderne Technik und organisches Leben in ein neues Verhältnis zueinander bringen. Und so plädiert er dafür, „auf das Wesen der Technik zu achten“, also eine „freie Beziehung“ zu ihr vorzubereiten. „Gerade im Ge-stell“, in dem der Mensch fortgerissen zu werden droht und „die Gefahr der Preisgabe seines freien Willens“ allgegenwärtig ist, „kommt die innigste, unzerstörbare Zugehörigkeit des Menschen in das Gewährende zum Vorschein, gesetzt, daß wir für unseren Teil beginnen, auf das Wesen der Technik zu achten“.10 Ein Romantiker ist Heidegger hierbei sicherlich nicht, denn er weiß sehr wohl, daß sich der moderne Mensch der ebenso modernen Technik nicht mehr vollends entziehen kann. Zumindest scheint ihm diese Denkweise höchst befremdlich zu sein. Er erwägt sie zu keinem Zeitpunkt ernsthaft. Denn weiß er auch, daß die zeitgenössische Betrachtung der Technik als „neutrales“ Hilfsmittel des Menschen in den Abgrund führen könnte. Heidegger plädiert also, die Technik nicht als menschlichen „Fehler“ per se begreifend, dafür, die moderne Technik als Herausforderung zu verstehen und sich ihr mit einem neuen Verhältnis, einer noch abzuwägenden „Hingabe“, zuzuwenden. Eine gänzliche Überwindung der Technik – etwa durch ebensolche technischen Mittel – hält Heidegger für unmöglich. Das „Gestell“, die zeitgenössische mechanistische Weltsicht, könne nicht durch ihren Erzeuger überwunden werden. Er wäre nicht einmal in der Lage, über sie zu verfügen. Jenes erwähnte neue Verhältnis zur modernen Technik sei der Weg, der denkbar erscheint, um den Totalitarismus der technischen Moderne abzustreifen und zu einem neuen Denken zu gelangen.
Friedrich Georg Jüngers „­Perfektion der Technik“
Die Arbeit an jenem, von Heidegger geforderten neuen Denken, wird nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vor allem Ernst und Friedrich Georg Jünger zukommen. Die Erfahrungen dieser „Urkatastrophe“ vor Augen, gar vielseitig traumatisiert von der anonymen Vernichtung menschlichen Lebens durch die epochale Gewalt der modernen Technik, werden die Gebrüder Jünger zu den wohl schärfsten und präzisesten Analytikern ihrer Zeit. Es sind hier ganz dezidiert die Eindrücke und Erfahrungen zweier großer Weltkriege, die das Denken beider Brüder nachhaltig prägen und streckenweise auch bestimmen. So avanciert Ernst Jünger vom „Arbeiter“ zum „Waldgänger“, wandelt sich also vom technokratischen Konstrukteur und Futuristen zum autarken Widerständler gegen die Übermacht des „Elementaren“, der technokratischen Herrschaft der Maschine. Sein Bruder Friedrich Georg legt mit seinem Werk Die Perfektion der Technik 1946 eine fulminante, alles umfassende Technik- und Zivilisationskritik vor, die nicht nur als Grundlage einer späteren ökologischen Bewegung gesehen werden muss, sondern sie vielmehr vorwegnimmt. Nicht umsonst stützt Martin Heidegger seine späteren Ausführungen zur Technikkritik ganz eindrücklich auf Friedrich Georgs Werk und bleibt ihm darüber hinaus ein Leben lang freundschaftlich verbunden. Die Gebrüder Jünger öffnen mit ihren schonungslosen Analysen der vorherrschenden Zeit vielen Intellektuellen die Augen und finden große Beachtung. Ihre Technikkritik ist hingegen seinerzeit umstritten, erscheint vielen Rezensenten und Kritikern per se als eine abwegige, fundamentalistische Ablehnung der vorteilhaften Moderne. Besonders Die Perfektion der Technik stößt nach ihrer Veröffentlichung auf breiten Widerstand der intellektuellen Schichten, führt sie der „aufgeklärten Zivilisation“ doch das Lasterhafte und Dämonische der modernen Technik vor Augen und hält ihr so den schonungslosen Spiegel vor. Auch wenn die Entstehung der Technikkritik Friedrich Georg Jüngers nicht ohne die wechselseitige Bezugnahme zwischen ihm und seinem Bruder denkbar erscheint, Ernst Jüngers „Arbeiter“ wohlmöglich sogar zum Ausgangspunkt des brüderlichen Werkes wird, wohnt Friedrich Georgs „Perfektion der Technik“ doch ein ganz eigener Charakter inne. Die Frage nach dem richtigen Verhältnis zwischen Mensch und Maschine beschäftigt beide zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten, doch Ernst Jünger erkennt erst 1951 mit seinem Essay Der Waldgang folgerichtig, was sein jüngerer Bruder bereits einige Jahre zuvor meisterhaft aufdeckte und begründete. Die Werke beider Brüder bedingen und ergänzen sich über die Jahre immer wieder und dokumentieren dennoch zwei verschiedene Pfade.
Die Perfektion der Technik untersucht die moderne Technik und ihre Auswirkungen auf das menschliche Wesen anhand verschiedener Illusionen, die dem Vorgang der Technisierung laut Jünger zugeschrieben werden. So habe sich der allgemeine Irrglaube etabliert, mit fortschreitender Technisierung profitiere das Leben des Menschen in vielerlei Hinsicht. Etwa dadurch, daß die Technik dem Menschen Arbeit abnehme und somit gleichzeitig mehr freie Zeit zur persönlichen Verfügung verbleibe. Jünger prophezeit jedoch bereits hier, daß der durchschnittliche Mensch, der nicht die Geistigkeit zur Verwandlung freier Zeit in genießbare Muße besitze, durch diesen Prozeß zu verkommen drohe. Der einfache Mensch braucht die Arbeit als sinngebendes Element in seinem Leben. Soweit Jünger. Doch die Arbeit werde ihm ohnehin nicht genommen. Denn die moderne Technik schaffe weder Freizeit noch Reichtum. Rationalisierung, erhöhte Produktivität und folgende Effektivitätssteigerungen seien immer die Folge eines Mangels, ergo die Zeichen des Notstandes. Die moderne Technik schaffe somit keinen massenhaften Reichtum, sondern verteile die Armut unter den ohnehin Armen. „Der technische Gesamtprozeß beruht letztendlich auf der umfassenden Ausbeutung der Fülle des natürlich vorhandenen unorganisierten Reichtums, der mittels einer scharfen Zweckrationalität in die technische Organisation überführt wird. [...] Die Technik spendet nichts, sondern organisiert den Bedarf. [...] Die Folge der Technisierung der Lebenswelt ist ein allgemeiner Schwund des unorganisierten Reichtums der Natur. An dessen Stelle breitet sich die sterile technische Zivilisation aus. Die verselbstständigte technische Ratio ist genau betrachtet eine Mißachtung der Ratio“, faßt Dr. Klaus Gauger den Denkweg Jüngers treffend zusammen.11
Jünger erblickt in der modernen Technik also ein ausbeuterisches Element, das in Kooperation mit dem zeitgenössischen, aufgeklärten Menschen nicht nur die Natur rationalisiere und vernichte, sondern ebenso schädlich und vernichtend auf den modernen Menschen selbst einwirke. Der Mensch wird wie bei Spengler und Heidegger auch laut Friedrich Georg Jünger zum anonymen Rädchen in der großen funktionalisierten Maschinenwelt, die er selbst als alles durchsetzende Arbeitsorganisation versteht. Was dem modernen Individuum in dieser durchorganisierten Welt bleibt, ist das Funktionieren nach Plänen und Anweisungen. Er wird zur Variablen, zum mathematischen Faktor in einer Gewinn- und Verlustrechnung der organisierten Arbeit. Das Leben selbst wird zur Arbeit nach Plan, zur organisierten Freiheit. Jünger sieht im Funktionalismus und mathematisch-instrumentellen Denken seiner Zeit die Unfreiheit heraufziehen. Er erkennt die sich am Werk befindenden Mechanismen und warnt vor der Reduzierung des Menschen auf ein willenloses und minutiös geplantes Funktionieren und Instrumentalisieren durch die Ideologie der Moderne. Die Folgen für Zivilisation und Individuum liegen auf der Hand und zeichnen sich in ihren Symptomen bereits seit Jahrzehnten deutlich ab: Die Leere hält als inhärenter Bestandteil der technokratischen Moderne Einzug in Alltag und Seele. Unruhe, tiefsitzende Nervosität und gelegentliche Panik paaren sich verhängnisvoll mit allgemeiner Langeweile, nihilistischer Sinnentleerung und folgerichtigen Depressionen einer ganzen Lebenswelt. Die technisierte Moderne wird so gleichzeitig zu einer Endzeit; einer finalen Phase des zwar überwiegend gesicherten, wohlhabenden Lebens, letztlich aber zu einem Dahinvegetieren einer organisiert-unfreien Menschenmasse, des innerlich verrotteten Konsumbürgers. Alles tritt in den Dienst der Technik und wird von ihr durchdrungen. Im technokratischen Staat wird der Mensch verwaltet und organisiert. Der einstige Schöpfer wird zum Sklaven, zum Getriebenen seiner eigenen Erfindung, der er in der technisch beherrschten Staat vollends ausgeliefert ist. Er ist abhängig von der Maschine, entziehen kann er sich ihr nicht, konstatiert Jünger: „Wo immer der Mensch das Feld des technischen Fortschritts betritt, dort erfolgt ein organisatorischer Zugriff gegen ihn.“12

Vom „Arbeiter“ zum „Waldgänger“

Zwei verschlingende Weltkriege vor Augen, erkennt Jünger die verhängnisvolle Macht, die der modernen Technik innewohnt und die sie dem Menschen zeitweise verleiht. Mittel und Zweck verschwimmen. Die Materialschlachten, die technisch geführten Kriege der Moderne führen zur totalen Mobilmachung, zur totalen Vernichtung durch die mechanisch ausgebeutete Natur. Diese Zerstörungskraft kann sich auch jederzeit gegen den Menschen selbst wenden. Der von Jünger angeführte „Betriebsunfall“ und die „totale Mobilmachung“, also der moderne Krieg, haben dies unlängst bewusst gemacht. Die „totale Mobilmachung“ erinnert hier an den „Arbeitsplan“ aus Ernst Jüngers Der Arbeiter, indem jener sehnsüchtig auf das gewichtige Durchbrechen des „Elementaren“ wartet. Während Ernst 1932 noch den „Arbeiter“ als neuen, alles ergreifenden Typus des Menschen heraufziehen sieht, mit seiner Vorstellung der „organischen Konstruktion“ gar die Verschmelzung von Mensch und Maschine als futuristische Zukunftsvision anpreist, stellt Friedrich Georg Jünger konsequent den Schaden fest, den die Technokratie angerichtet hat. Für ihn ist diese Symbiose zwischen Natur und Maschine undenkbar. Beide Brüder stellen den kollektivistischen Charakter der modernen Technik fest, doch nur Ernst Jünger begrüßt diesen als Form der technischen Organisation seines „Arbeiters“ in einem Verband Gleichgesinnter, der „organischen Konstruktion“. Ernst Jünger spricht von der Technik als „Art und Weise, in der die Gestalt des Arbeiters die Welt mobilisiert.“ In Friedrich Georg Jüngers „Perfektion der Technik“ finden sich noch weitaus mehr Bezugnahmen auf den „Arbeiter“ seines Bruders Ernst. Sie beide teilen zahlreiche Grundtheoreme, doch Friedrich Georg Jünger kommt hier das Verdienst zu, die futuristischen Verheißungen des modernen „Arbeiters“ negativ zu deuten und so jene organische Position einzunehmen, die auch sein Bruder später mit spürbarer Reue einnehmen wird. In seinem Essay Der Herr der Technik? Gedanken zu Ernst Jüngers Buch „Der Arbeiter“ faßte der Schriftsteller Rudolf Ibel die zeitgenössische Kritik vieler organischer Denker an Ernst Jüngers Werk dezidiert zusammen: „Alle organischen, anorganischen und kosmischen Lebensmächte, die technisch nicht verwandelten und vergewaltigten Natur-Elemente, die nicht nutzbar gemachte Tierwelt, die gewachsene Mannigfaltigkeit der Landschaften, der Völker, der Rhythmus alles Lebendigen und Wachstümlichen, das ganze Reich des mütterlichen Lebens, Weib und Kind, das Geheimnis von Blut und Seele – Jünger hat nichts davon zu sagen.“
Der in Freiburg und Madrid lebende, freischaffende Autor und Journalist Dr. Klaus Gauger hat in seinen Veröffentlichungen u.?a. deutlich gemacht, daß Friedrich Georg Jünger der modernen, folgenden Ökologiebewegung vieles vorweggenommen hat. Er faßt die Position Jüngers wie folgt zusammen: „Die mit dem Zustand der technischen Perfektion verbundenen Harmonievorstellungen wie Wohlstand, Frieden und Glück werden sich als Illusion erweisen. Der Zustand der technischen Perfektion wird sich durch einen umfassenden, rational geführten und planetarisch organisierten Raubbau an der Natur auszeichnen. Die Perfektion der Technik wird eine totale Verlustwirtschaft erzeugen, die sich auch auf den Menschen erstreckt.“13 Ganz im Sinne einer organischen Weltsicht erblickt Friedrich Georg Jünger in einem radikalen Bewußtseinswandel des Menschen die einzig denkbare Lösung, um aus dem Arbeitsautomatismus der modernen Technokratie aussteigen zu können. Der Bewußtseinswandel des Menschen, die erneute Hinwendung zu einem neuen organischen Denken, werden bei Jünger ganz klar gefordert: „Die Technik muß als das riesenhafte Tretrad erkannt werden, in dem der Mensch sich fruchtlos abmüht, in einem Arbeitsgange, der umso sinnloser wird, je mehr er zweckmäßig, umfassend, allgemein wird. Die Subordination der technischen Mittel setzt ein neues Denken voraus, das gefeit gegen die Illusionen ist, mit denen der technische Fortschritt arbeitet, ein Denken, das mit den Methoden brutaler Ausbeutung ein Ende macht.“14 Wie bei Martin Heidegger klingt hier nicht nur die Kritik der modernen Technik als Ausbeuter und Zerstörer der Natur an. Vielmehr wird das mechanistisch-materielle Weltbild, also das zeitgenössische Denken als solches, kritisiert und angegriffen. Aus diesem Denken auszusteigen, mit Heidegger die komplette moderne Denkart über Bord zu werfen, ja letztlich ein neues, organisch geprägtes Denken innerhalb der totalitären Moderne zu etablieren, ist nicht nur laut Jünger und Heidegger der wegweisende Pfad, sondern muß es auch zwingend für eine rechte Ökologie sein.

Anmerkungen

1 Oswald Spengler: Der Mensch und die Technik. Beiträge zu einer Philosophie des Lebens, München 1931, S. 75.
2 Oswald Spengler: Der Mensch und die Technik, S. 78–79.
3 Ebenda, S. 79.
4 Ebenda, S. 88–89.
5 Paul Krannhals: Der Weltsinn der Technik als Schlüssel zu ihrer Kulturbedeutung, München/Berlin 1932, S. 206.
6 Martin Heidegger: Die Frage nach der Technik, in: Die Künste im technischen Zeitalter, 3. Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke, München 1954, S. 71.
7 Ebenda, S. 73.
8 Michael Rieger: Von der totalen Mobilmachung zur Kunst – Heideggers Frage nach der Technik, in: Sezession 64 (2015), S. 14.
9 Stefan Wilsch: Technik und Ereignis im Denken Martin Heideggers, Diplomarbeit, Wien 2012, S. 21.
10 Martin Heidegger: Die Frage nach der Technik, S. 104.
11 Klaus Gauger: Die Technikträger bei Ernst Jünger, Freiberg i. Br. 2014, S. 16.
12 Friedrich Georg Jünger: Die Perfektion der Technik, 7. Auflage, Frankfurt am Main 1993, S. 90.
13 Klaus Gauger: Die Technikfrage bei Ernst Jünger. Ernst Jüngers Technikphilosophie und Technikkritik im Spiegel seines Gesamtwerkes, S. 17, einsehbar unter: www.arnshaugk.de/diktynna/ej_technikkritik.pdf [31.August 2016].
14 Friedrich Georg Jünger: Die Perfektion der Technik, S. 82.

 
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