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Rettet unsere Almen!

Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

Seit dem Ende der Milchquote im letzten Jahr befinden sich die Preise im freien Fall. Erzielten Bauern pro Liter Milch 2014 noch bis zu 40 Cent, sind es jetzt in Österreich nur mehr 28 Cent und in Norddeutschland oft nicht einmal mehr 20 Cent. Es ist sehr merkwürdig, daß alle unsere Agrarpolitiker diese Entwicklung angeblich nicht kommen sahen und nur moderate Preisrückgänge erwarteten. Nicht nur die Rußlandsanktionen mit den gesunkenen Käseexporten haben zu diesem Preisverfall geführt, auch der starke Anstieg der Milchproduktion in Ländern wie Irland, Belgien oder Holland. Zu solchen Preisen kann aber kein Bauer in Europa Milch produzieren. Die durchschnittlichen Kosten liegen im Alpenraum bei 35–40 Cent und selbst bei den Großbetrieben in den Gunstlagen bei 30–35 Cent pro Liter. Viele Betriebe in Norddeutschland überleben nur, weil sie mit der Gülle ihrer 500 oder 1.000 Kühe noch Biogas produzieren, auch für sie ist der Milchverkauf bereits ein deutliches Verlustgeschäft. Doch ein Ende ist nicht in Sicht. Länder wie Irland wollen ihre Milchproduktion noch deutlich ausweiten. Der Preiskampf ist ein Verdrängungswettbewerb, niemand trinkt mehr Milch, weil diese etwas weniger kostet. Auch die jetzt beschlossenen zaghaften Hilfsprogramme können daran nichts ändern: Das Ende der Rinderhaltung in den Alpen scheint nur mehr eine Frage der Zeit, denn die Produktion teurerer Bio- oder regionaler Milch steht nur einem Teil der Landwirte offen, die meisten Verbraucher schauen einzig und allein auf den Preis.
Ganz unsentimental gefragt: Wer hält dann noch die Kulturlandschaft offen, die in den Alpen so viele Touristen anzieht? Schon jetzt gibt es Gemeinden, in denen die Grundeigentümer ihre Wiesen nicht aufforsten dürfen, sondern zweimal im Jahr mähen müssen, auch wenn das Gras niemand frißt und es auf die Mülldeponie kommt. Das ist aber eine neue Form der Sklaverei zum Erhalt der touristischen Wertschöpfung.

Ist die Kuh ein Klimakiller?

Mit Sicherheit nicht, wenn sie richtig ernährt wird. Kühe können Gras von Höhen- und Hanglagen fressen, auf denen kein Ackerbau möglich ist. Jeder Veganer, der Südfrüchte und Palmöl auf seinem Speisezettel hat, verhält sich ungleich klimaschädlicher als unsere Kühe auf den Almen.
Kühe machen dem Menschen das Grünland zur Nutze, als Raufutterfresser brauchen sie eigentlich nichts anderes als Gras und Heu, um Milch zu produzieren, und diese Milch ist für uns besonders gesund, weil ihr Anteil an Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren hoch ist. Dennoch füttern die meisten Bauern ihren Rindern zusätzlich kohlehydratreiches Getreide, um die Milchleistung zu steigern. Doch den Kühen wird davon – wörtlich – schlecht. Abhilfe schafft ein erhöhter Anteil von Eiweiß im Futter. Bis zur BSE-Krise hat man dafür billiges Tiermehl verwendet. Heute steht Soja am Programm. Dieses wird im großen Stil auf gerodeten Regenwaldflächen angebaut, ist gentechnisch verändert und muß über den halben Erdball herangekarrt werden. Die ökologische Bilanz einer so produzierten Milch sieht freilich ganz anders aus. Daher sind auch die Preise von Heumilch oder biologisch produzierter Milch, wo nicht oder nur wenig unter strengen Auflagen zugefüttert werden darf, deutlich höher und die so produzierenden Bauern können von ihrer Arbeit noch leben.

Energieeffizienz

Man kann messen, wieviel von auch menschlich verwertbaren Nutzpflanzen verfüttert werden müssen, um eine bestimmte Menge an tierischem Eiweiß zu produzieren. Am signifikantesten ist die Gegenüberstellung der in den Futterpflanzen enthaltenen Energie zum Energiegehalt der tierischen Produkte. Diese Bilanz sieht in der Milchproduktion auch bei der Zugabe von Kraftfutter nicht schlecht aus, ganz anders allerdings bei Mastbetrieben. Rinder brauchen eine ungleich höhere Menge an Futter, um zu 1 kg Gewichtszunahme zu kommen, als Schweine oder Hühner. Bei getreidebasierten Rindermastsystemen in Großbritannien wird nur ein Sechstel der verfütterten eßbaren Energie in Form von Fleisch wiedergewonnen. Solche Rindermastsysteme verringern die global verfügbare Lebensmittelmenge deutlich. Ganz anders im Alpenraum, wo der Grundfutteranteil (Gras, Heu, Silage) höher ist: Die Energiebilanz der österreichischen Rinderhaltung ist im nationalen Durchschnitt deutlich positiv. In vielen Betrieben wird ein mehrfaches der eingesetzten (verwertbaren) pflanzlichen Energie dem Menschen in Form von tierischem Eiweiß nutzbar gemacht. Nicht nur bei Bio- und Heumilchbetrieben, auch dort in der Rindermast, wo wie bei der Mutterkuh- oder Almochsenhaltung das Grünland die überwiegende Nahrung bietet.
Schwierig ist die Frage nach den Hochleistungskühen zu beurteilen. In Österreich können die Bauern nicht, wie in Neuseeland oder auch in Irland, mit Ganzjahresweide, großer Tierzahl auf freien Flächen und geringer Milchleistung pro Tier extensiv produzieren. Wenn im Bergland ein Bauer nur 10 oder 30 Kühe hält, muß die Milchleistung pro Tier höher sein. Die Argumente Tierwohl und Energiebilanz sprechen allerdings eher für Rassen mit einer langen Lebensdauer, denn für Hochleistungskühe, die oft nur drei bis vier Kälber bekommen. Rechnet man die Jahre für die Aufzucht der Kuh dazu, leben diese Tiere sechs bis sieben Jahre, wovon ein Drittel auf die Jugendphase entfällt. Ganz anders sieht dies bei Kühen aus, die auf Lebensleistung gezüchtet werden und 10 bis 15 Kälber in ihrem Leben bekommen.

Gesunde, regionale Milchprodukte

Daß in Gunstlagen, selbst auf guten Ackerböden, etwa zur regionalen Versorgung von Ballungsräumen weiterhin Milch produziert wird, steht außer Frage. Doch die dort produzierten Mengen dürfen nicht die Milchvieh- und Rinderhaltung in den Alpen, wo keine andere Form der Landwirtschaft sinnvoll möglich ist, wirtschaftlich unrentabel machen. Auch eine Einschränkung der getreidebasierten Rindermastsysteme wäre aus ökologischen Gründen sinnvoll, wird sich aber gegen die wirtschaftlichen Interessen mächtiger Agrarverbände wie jene Großbritanniens nur schwer durchsetzen lassen. Ein Rückgang der Produktionsmengen mit dem Ergebnis kostendeckender Erzeugerpreise ist deswegen allenfalls mittel- oder langfristig möglich. Daher wird es entweder eine neue Form von Mengenregulierung für Milch geben müssen oder aber Direktzahlungen für die Grünlandgebiete, die die österreichischen Landwirte allerdings nicht anstreben, weil sie nicht noch mehr zu staatlichen Almosenempfängern werden wollen. Bleiben diese solche Maßnahmen allerdings aus, nimmt man den alpenländischen Rinderbauern die Luft zum Leben. Dann wird Milch zu einem globalen Rohstoff, der dort produziert wird, wo er besonders günstig hergestellt werden kann. Milchpulver läßt sich freilich auch über den Ozean schippern, und mit den entsprechenden Geschmacksverstärkern und sonstigen Zusatzstoffen wird der Verbraucher den Unterschied zur Frischmilch aus seiner Region auch kaum bemerken.

 
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