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Neofolk

Von Heimatwacht

Die kulturelle Vision eines Europas der Vielfalt

Dieser Artikel, der zuerst auf der Netzseite www.identitaere-generation.info erschienen ist, versucht eine Form zeitgenössischer Folkmusik vorzustellen, die gemessen an ihrem eigentlichen Bekanntheits- und Verbreitungsgrad die ­Gemüter speziell in Deutschland über die letzten Jahre ungewöhnlich stark erhitzte.

Etabliert hat sich für dieses Genre der Begriff „Neofolk“, auch wenn dieser mehr die Anhängerschaft der Musik, eine Subkultur angesiedelt zwischen Dark-Wave-Szene (Gothic) und Zirkeln avantgardistischer Geräuschmusik (Industrial, Noise & Experimental) beschreibt und weniger die Musik an sich. Neofolk ist zwar musikalisch überwiegend folk-orientiert, aber trotzdem schwer unter einem konkreten Stil zu fassen. Dies liegt vor allem daran, daß für viele Neofolk-Künstler die zu verarbeitenden Inhalte (meist sind es literarische, mythologische, esoterische oder geschichtliche) einen zentralen Stellenwert einnehmen und daher das einigende Band eher über solche inhaltlichen Gemeinsamkeiten zu suchen ist als in einer gemeinsamen musikalischen Sprache.
Dadurch entsteht oft eine Art „Schockkunst“, die sich bewußt und subkulturell notwendig als ästhetische Abkehr vom Mainstream darstellt. Einfach ausgedrückt: „Neofolk“ muß man sich vor allem als einen Stammbaum oder ein Netzwerk von Musikern vorstellen, die miteinander künstlerisch arbeiten und über relative musikalische Grenzen hinweg eine gemeinsame Hörerschaft bündeln. Einige dieser Bands wollen in künstlerischer Hinsicht eine kulturelle Vision eines Europas der Vielfalt, ein Europa der Vaterländer, formulieren.
So haben wir es mit dem etwas ungewöhnlichen Sachverhalt zu tun, daß vor allem der Kontext der Musik darüber entscheidet, ob es sich hierbei um „Neofolk“ handelt. Derlei Kontextabhängigkeit kann auf vielfältige Weise zum Tragen kommen. Sie kann sich durch gemeinsame subkulturelle Ursprünge, gemeinsame Inhalte, Freundschaften der Künstler oder schlicht durch gemeinsame Vertriebswege offenbaren. Dort, wo das Verbindende nicht auf Freundschaften unter den Musikern selbst beruht, haftet ihm natürlich etwas allzuleicht künstlich Gewolltes und Brüchiges an. Es sind ja in erster Linie die Konsumenten, die Musikkritiker oder die Musikverleger, weniger die Musiker selbst – für sie steht klarerweise die Musik an sich im Vordergrund –, die Interesse daran haben, Kontexte herzustellen, um damit „Neofolk“ als Genre zu erfinden.
Ist dieser Weg der Subkulturbildung allerdings beschritten, werden ganz eigene Mechanismen wirksam. Es entwickeln sich auf Konsumseite Erwartungshaltungen, Klischees, ein eigener Kleidungsstil und ähnliches beginnen sich zu etablieren. Vor allem jedoch entstehen neue musikalische Projekte, die Neofolk als subkulturelle Lebenswelt schätzen gelernt haben und demnach musikalische Merkmale innerhalb der Subkultur, die über die Musik ursprünglich gar nicht zu definieren war. Ein Widerspruch oder eine in sich abzeichnende Entwicklung?
Der in diesem musikalischen Umfeld beliebte Philosoph Friedrich Nietzsche war es, der gesagt hat, daß nur das definierbar sei, was keine Geschichte hat. Neofolk hat aber Geschichte. Man muß daher versuchen, mit der Vorstellung verschiedenster maßgeblicher Vertreter des Genres diese Geschichte und damit das Phänomen selbst verstehbarer zu machen. Diese Methode des Näherbringens ist notwendigerweise, besonders wenn man sich entschließt, auch musikalische Vorläufer mit aufzunehmen – was natürlich eine recht subjektive Angelegenheit ist. Die weltweit zu findenden Fans von Scott Walker, The Strawbs oder Paul Roland wundern sich sicher darüber, in welch unbekannten musikalisch-subkulturellen Kontext ihre Lieblingsmusik hier gestellt wird, und dennoch gehören sie aus der Perspektive dieser kleinen Musikkultur unbedingt als Inspirations- und Urquell dazu.
Man sieht hier, wenn Neofolk als eine Subkultur der Gegenwart nach sich selbst fragt, muß einiges nachträglich historisch tastend zurückerinnernd betrachtet oder vielleicht gar konstruiert werden. Zusätzlich bringt all diese kreative Unsicherheit des „Neofolk“ über sich selbst es mit sich, daß sich hier tummelnde Musiker, Hörer und sogar außerhalb stehende Beobachter, eigene Ansichten und subkulturelle Ursprünge in die Neofolk-Musik und -Kultur einzubringen versuchen. Dadurch ist dieses Genre ständigen künstlerischen und weltanschaulichen Deutungsversuchen ausgesetzt, die nicht ohne Wirkung bleiben und im Guten wie im Schlechten in den „Kanon“ des Neofolk aufgenommen werden.
Die Geschichte der Neofolk-Musik läßt sich in mehrere Phasen aufteilen. Der maßgeblichste Ursprung ist in England bei der sogenannten „Industrial Culture“ und im englischen Post-Punk zu suchen. Weitere wichtige Impulse gingen später natürlich auch von Deutschland, Österreich, Italien, Osteuropa und den USA aus.

Die Geschichte des Neofolk

Die „Industrial Culture“ war eine radikale Kunstbewegung der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Heute gilt sie vielen als die Bewegung, die die Versprechen des Punk wirklich einlöste, nämlich radikale Kritik an gesellschaftlicher Doppelmoral, Kritik an den Regeln des Musikgeschäfts, „Kritik an den herrschenden Bedingungen von Wahrnehmungs- und Informationsstrukturen, auf deren Grundlage sich die Wirklichkeitserfahrung von Menschen formt“, zu üben. Industrial war somit eine Herangehensweise, weniger ein musikalischer Stil, wenn auch Industrial-Projekte zu nennen wären wie NON, Whitehouse und andere, die vorzugsweise mit den Mitteln des „Krachs“ arbeiteten.
Bereits hier könnte eine Parallele zur späteren Neofolk-Musik auffallen, und zwar bei dem Vorrang der Idee bei der Wahl der musikalischen Mittel. Tatsächlich: Bei den frühen Neofolk-Projekten handelt es sich um einen Freundeskreis von Musikern, welche alle dem kreativen, geistigen Umfeld dieser „Industrial Culture“ bzw. den Ausläufern des Punk entstammten. Radikal änderte sich allein die Musik. Das lyrische Themenfeld verlagerte sich etwas bzw. paßte sich zum Teil der sanfter gewordenen Musik an. Zu wichtigen Themen wurden Volksweisen, die Magie der Runen und die Strömungen des modernen Okkultismus.
Man kann die Hinwendung einiger Projekte wie Current 93 und teilweise Coil vom Industrial zur sanften Folklore als historisch erste Phase des Neofolk verstehen. Eine zweite Phase der Neofolkgeschichte beginnt dort, wo der Industrial-Ursprung gewissermaßen links (oder rechts?) liegengelassen wurde, dort, wo auf der Hinwendung zum Folk aufgebaut wird und die noch in ihrer Haltung Industrial-geprägte Folklore einem neuen romantischen Ursprung zugeführt wurde. Gemeint sind vor allem deutsche und italienische Projekte wie Ernte, For­seti, Orplid oder Argine und Camerata Mediolanense, die das Wagnis eingingen, die Transformation zu einer neuen Form der Volksmusik zu vollenden, indem sie zum Beispiel die noch Industrial-typischen dissonanten Elemente in der Musik weiter vernachlässigten und die auf die Ursprünge verweisenden englischen Songtexte durch Lyrik in eigener Landessprache ersetzen.
Es versteht sich von selbst, daß sich durch solche Projekte der Charakter und die Atmosphäre der Subkultur mitunter stark wandeln konnten. Große Teile entdeckten eine neue Form der Volkstümlichkeit für sich. Nationale Traditionspflege und das Besingen der Heimat gewann zunehmend an Bedeutung. In Deutschland etwa schien bei Projekten wie Forseti oder Orplid der Weg zur bündisch geprägten Volksmusik auf einmal ungleich kürzer als zur urban geprägten „Industrial Culture“ der 80er Jahre. Eine erstaunliche Entfernung von den Ursprüngen einer Subkultur innerhalb weniger Jahre.
Während dieser partiellen Entwicklung hin zu mehr Volkstümlichkeit innerhalb des Neofolk starb der ursprüngliche Industrial nicht aus. Er existiert heute noch, und es überschneiden sich aufgrund gleicher Vertriebswege die Hörerschaft des volkstümlichen Neofolk und des krachigen Industrials immer noch erheblich, wenn er auch immer häufiger wie ein wenig origineller musikalischer Anachronismus wirkt und heute weniger als Herangehensweise und mehr als musikalischer Abdruck begriffen wird. Viele derzeit aktive Projekte lassen sich eher als Post-Industrial-Projekte bezeichnen; damit sind Projekte von Künstlern gemeint, die Stilelemente des Industrial mit Elementen angrenzender, von jeher verwandter Genres, wie etwa der Ambient-, der rituellen oder eben der folkloristischen Musik verbinden, und so einen oft sehr individuellen Stil entwickeln.
Diese können, wenn es sich aufgrund der „Verwandtschaftsverhältnisse“ anbietet, eigentlich als Bestandteil der Neofolk-Subkultur angesehen werden, auch wenn die Musik mit Folk oft wenig bis gar nichts zu tun hat. Entscheidend ist, daß das Gros der Hörerschaft und die Vertriebswege identisch sind. Diese Post-Industrial/Neofolk-Projekte pflegen häufig einen martialisch-heroischen Stil, der zum Beispiel Erinnerungen an Richard Wagner und generell an klassische und alte Musik wachruft oder sich mitunter deutlich an militärischer Marschmusik orientiert. Einige Projekte verfeinern ihren Klang durch Beimischung historischer Tondokumente, genannt Samples – dies können Tonausschnitte aus Filmen sein oder Originaltondokumente politischer Reden, Rundfunkansprachen, mitunter sogar Handsirenen, Bombeneinschläge und ähnliches Kriegsgeräusch. Der Sinn und Zweck dieses Vorgehens liegt auf der Hand: Die Musik möchte Zeitgeschichte, die Tragik einer historischen Epoche, erlebbar machen und eine bedrückende Aura erzeugen. Die Samples sind im Idealfall sorgfältig ausgewählt und verweisen auf tiefergehende Bedeutungsebenen, d. h. nicht selten erschließt sich die Musik auch hier erst über Hintergrundwissen. Wichtige Vertreter des Post-Industrial-Neofolk sind Allerseelen, Blood Axis und Der Blutharsch.

Einordnung und Kritiker

Anfangs wurde erwähnt, daß diese Szene und ihre Musik gemessen an ihrem eigentlichen Bekanntheitsgrad die Gemüter speziell in Deutschland, aber auch in Österreich über die letzten Jahre ungewöhnlich stark erhitzen. Es ist wohl nötig, in aller Kürze hierzu noch ein paar Sätze zu verlieren: Wenn man sich ansieht, welche Themen bei dieser Musik im Vordergrund stehen, nämlich vor allem romantische, „antiaufklärerische“ Themen, verbunden mit der nicht nur unterschwelligen Forderung, dem mythischen Denken auch in der modernen Welt Freiräume zu schaffen oder gar diesem gegenüber aufklärerischen Traditionen ein höheres Recht einzuräumen, dürfte relativ klar sein, was an dieser Musik und der mit ihr verbundenen Subkultur als besonders „problematisch“ empfunden wird. Im Grunde wiederholen sich zwischen der Szene und ihren Kritikern, meist Vertreter des radikalen „Antifa“-Spektrums, die Wortgefechte und Debatten im Kleinen und natürlich themenspezifischer, die in Deutschland im popkulturellen Kontext immer dann auftauchen, wenn der Markt eine Band hervorspült, die sich positiv auf Deutschland als Nation bezieht, wo doch, so die meinungsbildenden Kritiker, Deutschlands Geschichte („der Führer, der nicht sterben darf“) das Aufgreifen altgermanischer Sagen, so wie es Neofolk-Projekte gerne praktizieren, von vorhinein zumindest „verdächtig“, wenn nicht gar als (zu) „gefährlich“ (in dem Zusammenhang immer eines der meist gebrauchten Wörtchen in der BRD) erscheinen lassen sollten.
Diese Auseinandersetzung zwischen Vertretern der Subkultur und einigen, beileibe nicht allen, links bis linksradikalen Kritikern läßt sich ursprünglich natürlich als ein Kampf um die Deutungshoheit dieser Musik gegenüber eher neutral Unbeteiligten verstehen. Mittlerweile zergeht sie sich jedoch oft genug in spitzfindigen Beweisführungen zu ästhetischen Problemen, etwa zur Frage, ob Death in Junes Adaption des nationalsozialistischen Horst-Wessel-Liedes (auf dem 1987er-Album „Brown Book“) durch die traurige Grundstimmung der Aufnahme eher eine romantische Verklärung der NS-Zeit ist oder ganz im Gegenteil hier die Unmenschlichkeit des Regimes ästhetisch vorgeführt wird; immerhin ist der Adaption ein eindeutiges, auf den Holocaust hinweisender Tonausschnitt eines antifaschistischen Bewältigungsfernsehfilms vorangestellt. Wer sich all die reflexhaften Debatten zum rechten Umgang mit dem Dritten Reich und seiner „Bewältigung“ bzw. seiner angeblichen oder tatsächlichen monströsen Singularität, die in Deutschlands Feuilletons turnusmäßig ausgetragen werden, in Erinnerung zurückruft, bekommt wohl eine Vorstellung davon, in welch humorloser Atmosphäre die Streitigkeiten hier in der Regel ablaufen, zumal es dabei nicht bleibt und oft auch Veranstaltungen der Subkultur durch Drohungen an die Pächter von Konzerträumen akut bedroht sind.
Die Frage, wie zum Teil eindeutige, auf faschistische Bewegungen und Vordenker verweisende Referenzen der Szene und ihrer Musik oder wie die neuheidnische Orientierung politisch verstanden werden kann, sind für jeden, der sich damit näher befaßt, höchst komplex, von Widersprüchen durchsetzt und natürlich stark vom eigenen politischen Hintergrund abhängig. Die Neofolksubkultur befindet sich hier sowieso nicht nur unter ständiger Antifa-Beobachtung, sondern auch in einem Prozeß der pausenlosen Selbstbefragung zu diesen Themen: „Sind wir oder was ist an uns rechts?“, „Was bedeutet ‚rechts‘ in einem rein kulturell-schöngeistigen Zusammenhang?“ Denn natürlich geht es um anthropologische Wertungen und kulturkritische Sentiments, niemals um Themen direkt politischer Verwendbarkeit. Als Ganzes fühlt sich die Neofolkszene angesichts der Massivität der Vorwürfe eher unverstanden und versucht sich zu wehren. In der allgemeinen Nervosität wird da leider oft vergessen, daß es neben vielen, mit der Ikonographie faschistischer Bewegungen mehr oder weniger tiefgehend spielenden Neofolk-Projekten auch eine Reihe gänzlicher anderer gibt, deren Einflüsse vollkommen davon losgelöst sind.
So etwas wie einen ästhetischen Grundkonsens oder ein kulturelles, gar politisches Credo gibt es für die Szene nicht. Douglas P. von Death in June antwortete einmal auf die Frage, ob er sein Projekt als Teil einer vergangenen oder gegenwärtigen intellektuell-künstlerischen Bewegung sehe, mit einem Satz, der vielleicht über Death in June hinweg auf große Teile der Neofolkmusik allgemein verweist und etwas Verbindendes ausdrückt: „Was es auch sein mag, ich glaube, es ist ziemlich schwer einzuordnen und hat bisher noch keinen Namen erhalten. Was es auch sein mag, der Begriff ,eurozentrisch? sollte darin vorkommen.“ Die Unbestimmtheit der Aussage ist da sicher keine Ausrede, vielmehr beruht sie auf einer Art „kreativer Verwirrung“, die für die gesamte Musik, die Botschaft sein will, diese aber selbst nur vage kennt, typisch ist.
Es bietet sich an, mit drei Vertretern der ersten Generation zu beginnen, dem wohl zentralsten Projekt der Neofolksubkultur Death in June und den direkten Verwandten Sol Invictus und Fire & Ice, alle aus England. Bei diesen dreien dürfte es sich um die prägendsten Projekte der gesamten Subkultur handeln. Alles, was die Neofolk-Musik ausmacht, nämlich Lagerfeuerromantik, mitunter das Aufflackern ästhetischer Ambivalenzen und ein kämpferischer Unterton, findet sich hier in voller Blüte ausgebildet.

Die Pioniere aus England

Von der Musik, den behandelten Themen bis hin zum Kleidungsstil ihrer Fans, haben Death in June sicherlich das gängige Selbst- und Fremdbild der Subkultur Neofolk am Entscheidendsten geprägt. Entstanden ist Death in June aus der marxistisch-trotzkistisch orientierten Punk-Band Crisis. Das erste „Line-Up“ bestand aus Sänger und Haupttexter Douglas P., Tony Wakeford (später bei Sol Invictus) und Patrick Leagas bzw. O’Kill (später bei Sixth Comm). Heute besteht DI6, wie sie abgekürzt werden, allein aus Douglas P., der jedoch gerne mit befreundeten Musikern wie Albin Julius (Der Blutharsch), Boyd Rice (NON) oder Andreas Ritter (Forseti) zusammenarbeitet. Death in June zelebrierten in ihrer frühen Phase einen melancholisch-urbanen, minimalistischen Post-Punk, wie ihn viele Projekte in und um London spielten. Nach einigen Besetzungswechseln näherten sie sich jedoch immer mehr einer ganz eigenartig betörenden, mythischen Form von Folk-Musik, die maßgeblich das Verständnis von dem, was Neofolk ist oder sein könnten, prägen sollte.
Es ist jedoch nicht die Musik allein, die Death in June als Referenz dieser Musikkultur so zentral macht. Vielmehr ist es das Zusammenspiel aus Musik, Lyrik und ästhetischer Präsentation, die eine Art „Corporate Identity“ schuf, die nun schon seit über 20 Jahren für Diskussionen sorgt. Zentral ist hier unter anderem das Bühnenoutfit: Eine Militäruniform, ein modifizierter SS-Totenkopf als Bandemblem und sehr häufig (Todes-)masken – all dies im Verbund mit Texten, die von Einsamkeit und Liebe erzählen, aber auch Motive beinhalten, die aus dem Fundus europäischer, kulturpessimistischer-kritischer Lebensphilosophie, der SM-Kultur und schwuler Literatur (Yukio Mishima) – Douglas P. bekennt sich offen zu seiner Homosexualität – herrühren. Death in June und ihr künstlerisches Wollen, die Intention Douglas P.s, sind ein Dauerthema sowohl der Szene als auch der Kritiker. Eine einheitliche Interpretation, etwa zur Benutzung des SS-Totenkopfes als Bandemblem, ist nicht in Sicht, zu vielsichtig sind hier die Ansätze, und genau das scheint den Reiz dieses Projekts auszumachen. „Runes and Men“ vom klassischen „Brown Book“-Album wäre eines der bekanntesten und faszinierendsten Stücke. Douglas P. singt hier von nicht näher definierten „großartigen Zeiten“, die zwar nicht – wie oft von Adolf Hitler angenommen – aber doch vom Münchner Gauleiter Adolf Wagner stammt, der hier mit allegorischen Worten das Massaker an der SA 1934 zu rechtfertigen sucht. Der Song ist ein klassisches Beispiel für Death in Junes Versuch, Ambivalenzen durch die Juxtaposition verschiedener, sich widersprechender Aussagen zu erzeugen.
Hinter Sol Invictus steht der schwergewichtige Engländer Tony Wakeford, der zur alten Besetzung sowohl von Crisis als auch von Death in June gehörte. Die musikalische Entwicklung von Sol Invictus verlief derjenigen des alten Mitstreiters Douglas P. nicht unähnlich, von wütend-verzweifelndem Post-Punk hin zu einer unheilvollen, dunklen Form englischer Folkmusik. Das Klangbild ist jedoch seit einigen Jahren sehr warm und harmonisch, geprägt von Geigen und Cellotönen. Zur klassischen, frühen Sol Invictus-Besetzung gehörte neben Tony Wakeford vor allem der Magier Ian Read, der auch teilweise sang und später Fire & Ice gründete. Heute arbeitet Tony Wakeford vor allem intensiv mit Matt Howden (Sieben) und Eric Roger (Gae Bolg and The Church of Fand) zusammen.
Wichtige lyrische Themen Wakefords waren über Jahre hinweg ein recht offensiv vertretendes „Neuheidentum“, der Name ist bereits Bezugnahme auf den römisch-solaren Mithraskult, sowie vor allem ein sich auffällig wiederholender, pathosreicher Bezug auf „Europa“ als Leitbild, dessen Identitätsverlust angesichts kultureller Amerikanisierung beklagt und dessen einheitsstiftende Kraft beschworen wird. Das Europa-Thema, das Besinnen auf abendländische oder besser vorchristliche Traditionen und damit auch der Wunsch, den Chauvinismus der Vergangenheit, der Europa in zwei Bruderkriege führte, zu besiegen, zieht sich als lyrisches Motiv wie ein roter Faden durch die Geschichte des Neofolk, heute vor allem von Ostara und ­Hekate weitergetragen, während sich bei Sol Invictus in den letzten Jahren eine behutsame Veränderung, eine leise Hinwendung zu eher christlichen Themen sowie ein leichter Swing- und Jazzeinfluß andeutete.
Fire & Ice ist die musikalische Plattform des Runen- und Chaosmagiers Ian Read, der vor Fire & Ice bereits Gastauftritte bei Current 93 und Death in June zu verzeichnen hatte und festes Mitglied bei Sol Invictus war. Der Name des Projekts leitet sich aus der nordischen Mythologie ab, laut der die Welt einst aus Feuer und Eis geschaffen wurde. Man kann hier vielleicht schon erkennen, daß Fire & Ice das sich am meisten um Ursprünglichkeit, Tradition und Purismus bemühende Projekt der ersten Neofolk-Generation ist. Während etwa Sol Invictus und Death in June stark von moderner Literatur und der Welt des Kinos beeinflußt sind oder zeitgeschichtliche Themen aufgreifen, findet sich all das bei Ian Reads Projekt nicht. Die Basis der Musik ist purer Folk, wenn auch früher mitunter durch elektronische „Gothic“-Momente bereichert. Ian Read vertont und interpretiert sehr gerne angelsächsische Volksweisen und -lieder neu, erschafft jedoch auch eine eigene, tief in indogermanischer Anschauung verwurzelte Lyrik.
Er genießt in der Welt der Magie und in der seriösen Ásatrú-Szene (Glaube an die Asen des germanischen Pantheons) großen Respekt. Einst gehörte Ian Read zum Kreis der Mitentwickler der Chaos-Magie, zu Beginn der 80er Jahre die Ikonoklasten in der tendenziell konservativen Welt der okkulten Vereinigungen und magischen Orden. „Chaosmagie sagt, daß Glaube eine Technik ist, und das bedeutet, daß man nur die Technik benutzt und den Glauben vergißt“, erklärte Read in einem Interview. Heute betreut er mit Michael Moynihan (Blood Axis) die neuheidnisch ausgerichtete Zeitschrift RUNA der Runen-Gilde, einer wissenschaftlich arbeitenden Studiengruppe zu Fragen altgermanischen Brauchtums und Spiritualität. Darüber hinaus ist er als Kampfsportler und Deutsch-Übersetzer aktiv.

Die Provokateure aus den USA

Es dauerte etwas, bis der Neofolk in dem Sinne, wie er hier zu beschreiben versucht wird, nämlich als Netz von Kontakten, über den großen Teich nach Nordamerika, vor allem in die USA, überschwappte. Freundschaftliche Beziehungen waren es wieder einmal, die einzelne Verästelungen des Stammbaums „Neofolk“ auch dort wachsen ließen. Eine Schlüsselrolle nimmt hier der Industrial-Musiker, Entertainer und Provokateur Boyd Rice ein, auch wenn die Musik, die ihn berühmt und berüchtigt machte, denkbar weit von jeder Form von Gitarrenmusik entfernt ist. Boyd Rice gehört zu den Pionierfiguren der ursprünglichen „Industrial Culture“, seit Mitte der 70er tritt er hier unter dem schlichten Namen NON auf. Berühmt wurde er vor allem in Avantgardekreisen durch seine frühen, rein mit den Mitteln des Lärms arbeitenden Industrial-Werke, die auf Vinyl gepreßt den Hörer am künstlerischen Prozeß beteiligten, indem etwa die surrealen Krachklangcollagen in verschiedenen Geschwindigkeiten abspielbar waren oder Endlosrillen zum Experimentieren einluden. Boyd Rice ermutigte den Konsumenten auch dazu, weitere Löcher in das Vinyl zu bohren, um mit dem vorhandenen, auf Vinyl gepreßten Klangmaterial weiter nach eigenem Gutdünken zu experimentieren. So wandelte sich der Hörer vom passiven Konsumenten zum aktiv Beteiligten.
Boyd Rice gilt vielen vor allem als Provokateur. Er umgibt sich gerne mit Insignien des Dritten Reiches oder des italienischen Faschismus, betont, ein Menschenfeind zu sein und für das Recht des Stärkeren einzutreten. Gleichzeitig jedoch ist er ein humorvoller und viel geschätzter Liebhaber amerikanischer Lounge-Kultur der 40er, 50er und frühen 60er Jahre, Barbiepuppensammler und Entdecker radikaler, vergessener Außenseiter der Film- und Entertainment-Branche. „Total War“ ist wohl sein bekanntestes Stück, die Textzeile „Do you want Total War?“ erinnert natürlich sofort an Goebbels einpeitschende Propagandarede im Sportpalast Mitte Februar 1943.
Es ist typisch für Boyd Rice, daß er gerade nicht erklärt, wie diese und andere unheilvolle Referenzen zu verstehen sind, ja sogar mit der nietzscheanisch-antichristlichen Folgezeile „Throw out Christ and bring back Thor“ noch eins draufsetzt. Der Hörer wird hier rettungslos mit den sich unweigerlich einstellenden Gedanken an die Bestie im Mensch allein und seiner eigenen Phantasie überlassen, und Boyd Rice zeigt, daß dies 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges doch zu beträchtlicher Verwirrung und zu hysterischen Reaktionen führen kann. Boyd Rice ist seit vielen Jahrzehnten ein enger Weggefährte Douglas P.s. Auch wenn er mit NON niemals folkloristische Musik vertonte, kommt ihm als Gast bei Death in June und vielen anderen Neofolk-Projekten (enge Beziehungen bestehen auch zu Der Blutharsch), vor allem aber auch als Ideengeber eine große Bedeutung innerhalb der Neofolk-Subkultur zu.
Michael Moynihan, ein früher Weggefährte von Boyd Rice, nimmt wohl eine besondere Rolle in der Geschichte der Neofolkmusik ein. Wie bei so vielen Musikern dieser Szene liegen seine künstlerischen Ursprünge in der „Industrial Culture“. Als Jugendlicher machte er sich mit seinem Projekt Coup De Grace einen Namen. Ende der Achtziger dann eine erste musikalische und konzeptionelle Umorientierung: Sein Projekt firmierte nunmehr als Blood Axis. Die frühen Blood-Axis-Jahre sind eng verknüpft mit dem deutschen Musikverlag Cthulhu Records, welches auch von Musikern des Projekts Ernte betrieben wurde, dem durch jahrelange Pionierarbeit eine besondere Stellung innerhalb der Szene zukam. Blood Axis veröffentlichten auf Cthulhu Zusammenstellungen ihre ersten Stücke und letztlich auch ihr Debütalbum „The Gospel Of Inhumanity“, einen der Genre-Klassiker des Post-Industrial schlechthin. Blood Axis perfektionierten in dieser Zeit dank der Fähigkeiten des Gitarristen und Toningenieurs Bob Ferbrache den Umgang mit historischen Tondokumenten. Sie sampelten aus klassischen Musikstücken, mischten darüber zum Beispiel Mitschnitte aus Reden des amerikanischen Poeten Ezra Pound oder des Bürgerschrecks Charles Manson und kreierten so ein Werk mit verschiedenen Bedeutungsebenen, dessen zentrale Themen „Dekadenz“, Krieg sowie Sehnsucht nach neuen antibürgerlichen Lebensformen die Phantasie der Hörer aufwühlte. Kritiker, die diese Subkultur ohnehin nicht aus den Augen lassen, warfen besonders Blood Axis vor, einen konservativen-revolutionären Subtext in der Musik als unterschwellige Botschaft mitzuliefern. Ein Verdachtsmoment, der sicherlich zur Faszination der frühen Blood Axis beitrug und ein Beispiel dafür ist, wie sehr bei dieser Musik nicht nur das unmittelbar sich musikalisch Zeigende wichtig ist, sondern das, was der Hörer in seiner Phantasie, entsprechend seines Vorverständnisses, daraus macht. Bei Blood Axis kommt als entscheidender Faktor das außermusikalische, publizistische Engagement des Künstlers Michael Moynihan und seiner Lebensgefährtin, der Violinistin Annabel Lee, hinzu. So erscheinen in ihrem Buchverlag Dominion Bücher zur indogermanisch-heidnischen Glaubenswelt, zu erotischer Kunst und anderen Themen, die von einem Publikum, das an radikaler Infragestellung interessiert ist, aufgenommen wird.
Changes, das Projekt der beiden Cousins Robert N. Taylor und Nicholas Tesluk, kann auf eine ganz ungewöhnliche Geschichte zurückgreifen. Das Projekt entstand Ende der 60er in der Gegend um Chicago, zu einer Zeit, in der natürlich von Neofolk noch nicht die Rede war. Ihre Art des Folk war minimalistisch und geprägt durch den zweistimmigen Gesang der beiden Cousins, der entfernt etwas an Simon & Garfunkel erinnern kann. Daß Changes heute innerhalb der Neofolk-Subkultur von Bedeutung sind ist vor allem Michael Moynihan zu verdanken, der sich rund zwanzig Jahre später mit dem ungleich älteren Robert N. Taylor anfreundete, von Changes erfuhr und sofort begeistert war von alten, unveröffentlichten Changes-Tonbändern und ihrer Fähigkeit, die apokalyptische Grundstimmung der späten 60er, die die Hippie-Gegenkultur über weite Strecken schon vor den Manson-Morden ergriff, zu verbreiten; ganz so, als befände man sich in einem Zeitloch. Mit Moynihans Hilfe gelang es, die alten Tonbänder zu restaurieren und ein Album namens „­Fire Of Life“ zu veröffentlichen, das direkt zum Klassiker des Genres avancierte. Wichtig für die Szene scheint bei Changes vor allem die Extraportion Authentizität zu sein, die in ihrer Musik liegt und die sich im abenteuerlichen Leben des Dichters, Malers und Sängers Robert N. Taylor widerspiegelt, der in jungen Jahren in paramilitärischen rechtsrevolutionären Guerilla-Einheiten aktiv war und dem eine bedeutende Rolle in der Geschichte nordamerikanischen Ásatrú-Bewegung zukommt. Seit dem Erfolg des „Fire Of Life“-Albums sind die beiden Cousins, auch wenn sie innerhalb der Szene deutlich älter als ihre musizierenden Kollegen sind, wieder aktiv und schreiben an neuen Songs.

Die Romantiker aus Deutschland

Die nun vorgestellten zwei deutschen Neofolk-Projekte Orplid und Forseti spielen in der Geschichte der Neofolkmusik, weit über Deutschland hinaus, eine ganz besondere Rolle. Sie erweiterten unsere Vorstellung von dem, was Neofolk ist, erheblich und fügten der Stilvielfalt ab etwa 1997 eine weitere Stoßrichtung hinzu, die mehr war als bloß eine weitere Nuance. Eigentlich läßt sich hier sogar von einem neuen, weiteren Ursprung des Neofolk sprechen, denn das, was hier musikalisch angeleiert wurde, war in der Tat neu und für diese Subkultur ungewohnt. Dabei tat man nichts weniger als im Szenekontakt deutsches Liedgut zu präsentieren, wie es bereits einige Jahre vorher Ernte einsam und allein vormachten. Auffallend war vor allem, wie wenig man sich auf vermeintliche angelsächsische Vorbilder wie Death in June oder Sol Invictus berief; Orplid praktisch gar nicht und Forseti auch nur sehr bedingt.
Die Hallenser Uwe Nolte und Frank Machau spielten vor der Gründung ihres Projekts Orplid in einer Metal-Band namens Rückgrat. Um 1997 erfolgte dann die Gründung Orplids – Orplid ist der Name einer paradiesischen Insel in Eduard Mörikes Gedicht „Gesang Weylas“ –, verbunden mit dem Wunsch, musikalisch in eine völlig andere Richtung zu gehen und eine neue Form der Volksmusik zu erschaffen. Das Debüt wurde auf dem Dresdner Musikverlag Eis und Licht veröffentlicht, einem Label, dem in Zukunft das Verdienst zukommen sollte, Geburtsstätte und großer Förderer dieser neuen Neofolkgattung, mitunter schlicht „Neue deutsche Folklore“ genannt, zu sein. Orplids Musik ist etwa zu gleichen Teilen bombastisch, neoklassisch, bisweilen martialisch und sanft, geprägt von Akustikgitarre und mehrstimmigen Gesang. Der größte Unterschied zu anderen Neofolk-Projekten liegt wohl darin, daß ihre Musik nach Perfektion strebt. Während bei „klassischen“ Neofolk-Projekten ein schiefer Gesang nicht groß ins Gewicht fällt, weil die „Haltung“ zählt, wäre dies bei Orplid undenkbar. Hier ist jedes Detail wichtig und ausgeklügelt, was zur Folge hat, daß Orplid trotz nicht zu knapper martialischer Elemente viel poppiger als andere Projekte wirkt. Manchmal glaubt man es mit einer deutschen Antwort auf Scott Walker zu tun zu haben. Eine andere Folge des Perfektionsbestrebens besteht darin, daß Orplid als reines Studioprojekt konzipiert ist. Live-Auftritte wären bei dieser Musik, der auch ein gewisser Hörspielcharakter innewohnt, undenkbar. Ganz groß ins Gewicht fällt zudem die neuromantische Lyrik Uwe Noltes, die mit Vertonungen von Friedrich Hölderlin oder Friedrich Schiller einhergeht. Die Lyrik ist ausnahmslos auf deutsch verfaßt. Einen hohen Stellenwert nehmen Themen der germanischen Mythologie ein, ohne daß Orplid, hier auch im Gegensatz zu vielen anderen Projekten, bewußt ein irgendwie geartetes „Neuheidentum“ vertreten. Die Aufgabenverteilung ist bei Orplid mehr als unkonventionell gelöst: Uwe Nolte ist Lyriker, Ideengeber und extrovertiertes Sprachrohr des Projekts, Frank Machau der Musiker; tatsächlich sind fast alle Instrumente und oft auch der meiste Gesang von ihm eingespielt.
Das zweite stilprägende Projekt der „Neuen deutschen Folklore“ stammt aus Jena, überhaupt entwickelte sich diese Neofolkform alleine in den neuen Bundesländern. Die Rede ist von Forseti, das Projekt des Photographen Andreas Ritter. Im Vergleich zu Orplid ist ihre Musik viel treibender, weniger detailverliebt und vor allem stark geprägt durch die Folklore der bündischen Jugend, die das Erleben und die Spontaneität in den Mittelpunkt stellt. Basis der Forseti-Folklore ist neben Akustikgitarre, Schlagwerk, mitunter eine Querflöte, vor allem aber das Akkordeon. Forseti verzichten vollständig auf elektronische Elemente. Deutlicher noch als Orplid beziehen sich Forseti auf die deutsche Romantik und deren Naturverehrung, vertonen Dichtungen von Ludwig Uhland, Ludwig Tieck, aber auch Goethe oder Hermann Hesse. Schon mit ihrem ersten Tonträger, erschienen auf Eis und Licht, erspielten sich Forseti, unterstützt durch zahlreiche Live-Auftritte zusammen mit international renommierten Neofolk-Projekten, eine große Beliebtheit in der Szene, und zwar nicht nur in Deutschland. Offenbar trafen Forseti einen Nerv in der Szene, jeder spürte, daß hier ein ganz neuer Neofolk-Stil entwickelt wurde. Andreas Ritter und Douglas P. halfen sich nun gegenseitig bei ihren jeweiligen Studioaufnahmen, und auf späteren Forseti -Alben sind auch Ian Read und B’eirth (In Gowan Ring) als Gäste vertreten. Die zeigt, wie sehr deutschsprachiger Neofolk, allen voran Forseti, auch international als willkommene, neue romantische Facette des Genres geschätzt wird.
Darkwood aus Dresden ist mit Forseti und Orplid wohl das bekannteste deutsche Neofolk-Projekt. Mittlerweile erschienen unter der Regie Henryk Volges fünf Vollzeitalben, ein Livealbum, ein Kurzzeitalbum, verschiedene Samplerbeiträge und eine Single, auf der Darkwood sich stark von russischer Folklore beeinflußt zeigten. Anfänglich bot Darkwood klassischen, stark von Sol Invictus geprägten Neofolk mit deutschen, aber auch englischen und sogar russischen Texten. Im Laufe der Jahre jedoch entwickelten Darkwood immer mehr einen eigenen Stil, der vom Wechselspiel elektronischer Post-Industrial-Kompositionen und puren Lagerfeuer-Romantik-Folkliedern lebt. Stärker als etwa bei Forseti spielen bei Darkwood zeitgeschichtliche Themen, Krieg und seine psychischen Folgen sowie die kulturelle Amerikanisierung Deutschlands eine Rolle. Um Reflektionen dieser Art auch musikalisch-ästhetisch Gewicht zu verleihen, bemühen sich Darkwood immer wieder darum, Formen ästhetischer Ambivalenz zu erzeugen. So geht es dann, wenn ihre düstere Folklore martialische Elemente betont, sicher nicht um naive Verherrlichung kriegerischer Abenteuer, sondern darum, auch emotional die Tragik geschichtlicher Konstellationen erlebbar zu machen.

Neofolk in Österreich

Mit der österreichischen Volksmusik verbindet man einerseits eine noch an Volksfesten präsente, aber auch schon aussterbende traditionelle Musikform und anderseits die im Fernsehen laufende popkulturelle und „schlagerverseuchte“ Unterhaltungssendung „Musikantenstadl“, die lediglich von einem Ü50-Publikum genossen wird. Das zweite hat mit der ursprünglichen Volksmusik meist wenig bis gar nichts mehr zu tun, statt dessen hat sich in der österreichischen Neofolk-Szene eine Unterkategorie gebildet, die man mit ihren unter anderem alpinen Klängen passenderweise als „Heimatfolk“ oder auch „Neo-Volksmusik“ bezeichnen darf. Hier bietet sich gewiß eine erfrischende Gegenkultur für einige Jugendliche, die nicht irgendwo zwischen Die Seer und Hubert von Goisern steckengeblieben sind. Unter anderem wären Projekte wie Jännerwein, Klammheim oder Sturmpercht oder das Label und Versandhändler Steinklang Industries zu nennen. In der österreichischen Szene haben sich besonders zwei Projekte, die sich nicht wirklich dem Folklore-Stil, sondern eher dem Post – Industrial zuordnen lassen können, als Pioniere etabliert. Ohne diese Gruppen hätte sich vermutlich nie so eine starke Entwicklung vollziehen können.

Allerseelen

Auch wenn man Allerseelen nicht ganz einen folkigen Charakter, mit Ausnahme einiger weniger Lieder, zuschreiben kann, hat dieses Soloprojekt doch einen gewaltigen ersten Baustein in der österreichischen Szene gesetzt. Ob sich der Oberösterreicher Gerhard Hallstatt, vormals mit dem aus der Kabbala stammenden Namen Kadmon, an dem katholischen Feiertag oder dem Kunstlied von Richard Strauß orientierte, vermag nur jener zu beantworten. In den 80er Jahren begann er als ein rituell, mit starken Einflüssen des Industrial geprägtes Projekt und wurde unter anderem vom britischen Okkultisten Aleister Crowley, dem Surrealismus und Beteiligungen am Wiener Aktionismus inspiriert. Musikalische Impressionen erlangte er durch befreundete Gruppen wie Blood Axis und Ernte, wodurch seine Musik einen stark spirituellen sowie archaisch geprägten, rhythmischen und instrumentellen Charakter annahm. Entsprechend lassen sich auch starke Parallelen an Ritualmusik aus Tibet feststellen. Eine Knochenflöte, Metalltrommeln sowie Geige und ähnliche selbstgebaute Instrumente waren, anstatt wie bei anderen Musikgruppen die Tonsamples, das Grundgerüst für diese Klänge. Mit dem Begriff „Technosophische Tonkunst“ bezeichnet er seine später entwickelten, auf Samples basierende Klangkulissen. Die Werke von Allerseelen sind stark an Themen konzentriert wie zum Beispiel den Landschaften von Island, dem Mithraskult, filmische Künstler wie Alejandro Jodorowsky sowie Leni Riefenstahl oder auch einer Großzahl von Dichtern und Literaten wie Rainer Maria Rilke, Ernst Jünger und Ezra Pound. In letzterer Zeit veränderte sich der Stil von Allerseelen noch zunehmender als zu Beginn des Projektes. Phantasievolle Sample Einsätze haben das stark rituelle Klangbild leicht abgesetzt. Welches Thema sich auch immer gerade in einem seiner Lieder musikalisch widerspiegelt, es werden unter anderem Flamenco-Rhythmen oder Tango-Versatzstücke gespielt, dazu ein dröhnender Bass und dumpfer Sprechgesang, wodurch sich schon Beeinflussungen von DAF oder Laibach erkennen lassen. Das Ergebnis läßt sich als ein sehr individuelles, vielleicht „verrücktes“, aber ebenso auch mediterranes, warmes und hypnotisches Bild von Klängen bezeichnen. Gerhard Hallstatt wirkt innerhalb der Szene, nachdem er sich auch publizistisch verewigt hat, als geistiger Stichwortgeber; er hat mit seiner Musik einen eigenen Stil kreiert, der bisher noch keine wirklichen musikalischen Nachfahren hervorbrachte, da sie vielleicht einem zu besonderen und speziellen Herzen entsprungen ist. Als Anspieltip bietet sich sehr gern das Lied „Sonne Golthi-Ade“, das auf dem Album „Flamme“ aus dem Jahre 2004 zu finden ist.

Der Blutharsch

Kommen wir nun zu einem der berüchtigtsten und humorigsten Projekte aus Österreich, genauer gesagt Wien, nämlich Der Blutharsch. Der Name ist eine altertümliche Schweizer Bezeichnung für tapfere Söldner aus dem 15. Jahrhundert. Natürlich werden unter solch einem Namen martialische Klänge geboten. Der Mann hinter dem Projekt nennt sich Albin Julius. Bevor Der Blutharsch existierte, gab es zusammen mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin das Projekt The Moon Lay Hidden Beneath A Cloud, die einen wahren Kultstatus in der Szene erlangt haben. Typisch für Der Blutharsch sind in früher Zeit der grollende Dark-Ambient-Sound, Orchestersamples, Einschübe von Marschmusik, Sirenen aus dem Zweiten Weltkrieg, die die Bevölkerung vor damaligen Fliegerangriffen warnten, oder auch Samples aus Filmen, Schlagerhits der 30er und 40er sowie Trommel, und anderes Schlagwerk. Die gesamte Klangkulisse sollte die Phantasie des Hörers in ein Weltkriegsszenario hineinversetzen, so kann man die Musik auch als Soundtrack zu einem möglichen Phantasiefilm im Kopf bezeichnen. Hinzu kommt auch, daß auf sämtlichen Der Blutharsch – Alben keine Titel für das Liedgut vergeben wurden, denn dies würde wiederum, laut Albin Julius, das eigene Kopfkino in der Phantasie einschränken. Die jüngeren Alben sind weniger vom älteren Post-Industrial, sondern mehr von Elemente des klassischen Rocks geprägt. Der Blutharsch hat in der Szene nicht umsonst einen Kultstatus erreicht, denn vor ihnen gab es kein Projekt, das sich so stark mit martialischer Ästhetik auseinandersetze – eine mögliche Ausnahme wäre vielleicht Turbund Sturmwerk. Viele neuere Gruppen wären dadurch auch nicht denkbar. Albin Julius sorgt auch gleichzeitig in Interviews sowie beigelegten Postkarten auf den jeweiligen Tonträgern dafür, daß der Humor nicht verlorengeht. Dieser Künstler hat offensichtlich so unapologetisch Spaß daran, durch seine Ästhetik die Kritiker zu ärgern, die zumindest eine zutiefst deutsche Buße oder einen tieferen Sinn fordern, aber auch zur Freude vieler Fans, die wiederum Albin Julius‘ Freude am Spiel mit tabubelasteter Ästhetik und, laut Albin Julius, seine schmutzige Form des Rock’n’Roll teilen. Als Anspieltip sei hier das Lied „IV“ aus dem Album „Time Is Thee Enemy!“ aus dem Jahre 2003 angeführt.

 
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