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Die Legende von den abrahamitischen Religionen

Von Dr. Eduard J. Huber

Es gibt Leute, die das schwierige Verhältnis zwischen Christen und Juden und das noch problematischere zwischen Muslimen und Christen dadurch zu entkrampfen suchen, indem sie von den „abrahamitischen Religionen“ sprechen, was jedoch einer historischen Überprüfung nicht standhält. Nimmt man die biblischen Quellen ernst, erkennt man leicht, daß Abraham der Stammvater des jüdischen Volkes, aber keineswegs ein Religionsstifter gewesen ist. Die Religion der Juden wird nicht umsonst als „mosaische“ bezeichnet, denn Moses war es, der dem Volk Israel die zehn Gebote überbracht und seine wesentlichen religiösen und moralischen Gesetze gegeben hat. Mit Abraham hat das alles nichts zu tun. Das heißt nicht, daß nicht sowohl Juden als auch Christen im Stammvater Abraham das Urbild eines Gottesfürchtigen gesehen hätten.
Merkwürdig ist nun allerdings, daß sich Mohammed in noch stärkerem Maße als jene auf Abraham beruft. Nach seiner Vorstellung ist Abraham nicht nur durch seinen Sohn Ismail der Stammvater der arabischen Stämme, sondern auch der Begründer des Kults an der Kaaba zu Mekka (was historisch auszuschließen ist). Beim Opferfest am Ende der Wallfahrt gedenken die Muslime jedenfalls der (beabsichtigten) Opferung Ismails, der bei ihnen an die Stelle Isaaks getreten ist.
Die einzige Vergleichsbasis für die drei Offenbarungsreligionen ist der Glaube an den einen Gott. Aber selbst an diesem Punkt sollte man die Unterschiede nicht unterschätzen. Während Juden und Muslime an einem strengen Monotheismus festhalten, verehren die Christen den dreifältigen Gott: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Auf diese Formel sind sie ja auch getauft.
Es ist hier nicht der Ort, die Trinitätslehre zu entfalten, aber ein Punkt muß doch klargestellt werden: Für die Christen ist Christus „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott“, wie es im Credo heißt. Die Christenheit hat nie geglaubt, Gott habe ihn mit Maria gezeugt, wie etwa Zeus (nach antiker Mythologie) mit menschlichen Frauen Halbgötter gezeugt hat. Mohammed ereifert sich also in vielen Suren ganz umsonst gegen eine solche Vorstellung: „Sie sagen, Gott habe einen Sohn gezeugt. Erhaben ist er darüber. Nein …“ (2. Sure, Vers 110). Oder: „O Jesus, Sohn Mariens, hast du den Menschen gesagt: Nehmet mich und meine Mutter als zwei Götter neben Gott?“ (5. Sure, Vers 116). Mohammed versteht also unter der Dreifaltigkeit: Gott, Maria und Jesus. Das ist aber niemals christliche Lehre gewesen!
Die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen sind also höchst fragwürdig. Immerhin hält Mohammed Jesus für einen Propheten, während er von den Juden im Talmud als „Hurensohn“ geschmäht und in die unterste Hölle verdammt wird. Für die Christen aber ist nun einmal das Bekenntnis zu Christus als dem Sohn Gottes von Ewigkeit so wesentlich, daß sich eigentlich keiner Christ nennen dürfte, der nicht an den „Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16) glaubt.

Warum überläßt uns die Welt dem langsamen Tod?

Trotz aller Gegensätze haben Juden, Christen und Muslime im Orient tausend Jahre lang neben- und miteinander gelebt. Die Juden waren schon vor der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) und der Zerstreuung durch die Römer nach dem Bar-Kochba-Aufstand (132–135) über den ganzen Orient verbreitet. Sie blieben auch, als das Gebiet von Mesopotamien bis Nordafrika christlich geworden war. Nachdem seit dem 7. Jahrhundert die ganze Region unter islamische Herrschaft geraten war, gab es drei Gemeinschaften, die genötigt waren, sich zu arrangieren. Da Juden und Christen als „Leute des Buches“ galten, wurden sie nicht als Ungläubige, sondern als „Schutzbefohlene“ behandelt und kaum zwangsbekehrt.
Man darf sich die Verhältnisse nicht gar zu idyllisch vorstellen, aber vor allem in der Abbasiden-Zeit gab es einen regen geistigen Austausch zwischen allen Gruppen. „Das Mittelalter war auch in der arabischen Welt keine goldene Zeit, sagt Epstein. ‚Aber in vielen Epochen und an vielen Orten war die islamische Gesellschaft sehr offen und Juden, Christen und Muslime führten einen intensiven Dialog.‘ Einen Dialog, dessen Teilnehmer fest davon überzeugt waren, der jeweils andere befinde sich im Irrtum und werde dafür ewig in der Hölle schmoren, und die dennoch Bücher, Begriffe und Ideen austauschten. Zensur gab es kaum.“1 Von diesem Zustand ist der Orient inzwischen geradezu Lichtjahre entfernt.
Der katholische Erzbischof von Mossul, Yoanna Petros Mouche, hat sich vor kurzem in einem Zeitungsinterview bitter über die Untätigkeit des Westens in der existentiellen Krise der orientalischen Christenheit beklagt: „Die Menschen im Westen kämpfen für den Erhalt vom Aussterben bedrohter Tierarten. Wie können sie dann tatenlos zusehen, wenn ein ganzes Volk vertrieben wird? Wie können sie zusehen, wie es langsam, aber stetig aus der Menschheitsgeschichte verschwindet? Wenn ein Drittel der syrisch-katholischen Kirche in alle Welt verstreut wird, bedeutet dies den Untergang dieser Kirche. Ich bitte den Westen und die Weltmächte um Hilfe: Gebt euch Mühe, den IS aus dem Land zu vertreiben. Heute sind sie bei uns. Morgen werden sie bei euch sein.“2
Dieses Interview endet mit den erschütternden Worten: „Ich habe selbst eine Frage: Warum überläßt uns die Welt dem langsamen Tod?“
Nun nimmt Deutschland Hunderttausende von Flüchtlingen auf; die meisten von ihnen sind sunnitische Muslime. Daß das Christentum in seinem Ursprungsgebiet dem Untergang geweiht ist, scheint die „westliche Wertegemeinschaft“ nicht zu stören.

Anmerkungen

1?Manuela Lenzen: Vor der Offenbarung waren alle gleich, „FAZ“ vom 7. Oktober 2015
2?Fouad El-Anwad: Morgen wird der IS bei euch sein. Gespräch mit Erzbischof Yoanna Petros Mouche, „FAZ“ vom 8. Juli 2015

 
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