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Europa – wie weiter?

Von Benedikt Kaiser, M. A.

Philip Stein hat in der „Neuen Ordnung“ (2/14) eine Debatte zur europäischen Frage angestoßen, indem er kundtat: „Der Nationalstaat ist tot!“ Dr. Claus Wolfschlag (NO 3/14) und Dr. Albert Pethö (NO 4/14) beantworteten auf unterschiedliche Art und Weise Steins Plädoyer für ein junges, für ein „rechtes“ Europa. Wolfschlag beruft sich auf den Nationalstaat als Lebensnotwendigkeit, bei Pethö steht vor allem die Paneuropa-Bewegung im Sinne Coudenhove-Kalergis geistig Pate. Das sind im Kern völlig unterschiedliche Ansätze, aber beide Einwände verdienen eine Auseinandersetzung. Zumindest auf einige Aspekte der Argumentation soll daher im folgenden eingegangen werden.

Ein zentraler Punkt in der Argumentation Philip Steins ist die Feststellung, daß die Brüsseler Eurokratie nicht in der Lage sei, „die wesentlichen, lebensnotwendigen und grundlegenden Probleme der europäischen Völker zu lösen“. Wolfschlag deutet das in seiner Replik als grundsätzlich positive Wertung der Institutionen der Europäischen Union bei bloßer Kritik der von den Brüsseler Eliten verantworteten Politik. Dies ist jedoch weder Steins Ansinnen noch erschließt sich eine derartige Konklusion aus dem Text. Aus diesem Grund sind Wolfschlags folgende rhetorische Fragen, ob etwa die Hoffnung in einen Austausch der politischen Akteure innerhalb des bestehenden EU-Komplexes zu legen sei, irrelevant. Die Überleitung, Stein weiche auf ein „europäisches Utopia“ aus, weil er sich der realen Defizite der EU bewußt sei, ist nicht gänzlich falsch, muß aber um die Frage ergänzt werden, für welche Stoßrichtung der Kritik sich Wolfschlag zu entscheiden gedenkt: Will Stein nun die EU konservativ reformieren, wie ihm wenige Zeilen weiter oben vorgeworfen wird, oder will er nun das europäische, das eurorechte Utopia? Daß sich beides ausschließt, ist selbsterklärend.

Steins ideenhistorische Bezugnahmen auf sich in den 1930er und 1940er Jahren als „Eurofaschisten“ verstehende Persönlichkeiten wie Pierre Drieu la Rochelle, Oswald Mosley und Léon Degrelle wertet Wolfschlag als „Reise in die längst vergangene Vergangenheit“. Ist jedoch die Rezeption von mittlerweile verstorbenen Vordenkern nicht per se eine Reise zurück? Was ist die heute noch in konservativen Kreisen gängige Bezugnahme auf so unterschiedliche Denker wie Edgar Julius Jung, Carl Schmitt, Caspar von Schrenck-Notzing oder Bernard Willms denn anderes als eine Reise in die Vergangenheit? Schließlich lebte jeder von ihnen in spezifischen historischen Situationen, in spezifischen Zuständen der ihn umgebenden Gesellschaft. Gerade deshalb heißt Rezeption nicht die vollständige Übernahme zeithistorisch bedingter Leitsätze, sondern schlicht und ergreifend die Prüfung, was für die Jetzt-Zeit nutzbar zu machen sei und was es zu verwerfen gelte. Demzufolge geht es auch Stein bei Bezugnahmen auf einstige Theoretiker nicht um den Transfer ihrer integralen Ideen- und Vorstellungswelt in die Gegenwart, sondern um die Suche nach Anregungen. Es ist fast schon müßig zu ergänzen, daß sich Linke (oder gar Marxisten) jedweder Couleur vergleichbare Fragen nicht einmal stellen würden.


Totengräber europäischer Volkskulturen“?

Claus Wolfschlag benennt in der Folge den „Geist der Destruktion“ als Ursache der gegenwärtigen Krise Europas. Dem ist nicht zu widersprechen, wohl aber den folgenden impliziten Verknüpfungen, da sie im Kontext der bisherigen Diskussion Stein–Wolfschlag auch unweigerlich auf Drieu und Mosley abzielen. Wolfschlag schreibt, daß ein europäischer Bundesstaat „wahrscheinlich der Totengräber der europäischen Volkskulturen“ werden dürfte: „Jenseits einheitlicher Verordnungen, die das Alltagsleben aller Europäer prägen werden, würden nur noch folkloristische Nischen übrig bleiben.“ Das ist wahrlich kein verheißungsvoller Gedankengang, der jedoch vielmehr mit künftigen Prozessen innerhalb der EU als mit – wir bleiben beim Beispiel, könnten aber auch andere proeuropäische Rechte bzw. „Eurofaschisten“ wie Pierre Daye, Victor Barthélemy oder José Streel anführen – Drieu und Mosley zu tun hat.

Beide suchten Konzepte, um ein vereinigtes Europa als eine Art „Eidgenossenschaft“ zu schaffen. Keiner der beiden strebte nach Zentralismus, Jakobinertum und Gleichschaltung. Drieu bezog sich beispielsweisei auf die Wiederaufnahme der föderalistischen mittelalterlichen Reichsidee (so wie auch ein Alain de Benoist oder die Staatsbriefe Jahrzehnte nach ihm), die jedweden (!) Nationalismus und Völkerhaß auf dem Halbkontinent zu überwinden hätte. Und seine Partei, der Parti Populaire Français (PPF), trat gegen die gleichschaltenden Folgen von „1789“ und für die weitgehende Dezentralisierung Frankreichs und seiner kulturell divergierenden Landesteile innerhalb eines vereinigten Europas ein. Ist die Reichsidee eine deutliche Reminiszenz an eine „vergangene Vergangenheit“, so war Drieu in anderen Bereichen seiner Zeit voraus. Seinem idealtypischen Europabild wohnt keinerlei Tendenz inne, „Totengräber der europäischen Volkskulturen“ zu werden. In L’Europe contre les patries (1931) legte er vorausschauend dar, wie in einem neuen Europa die mannigfaltigen Grenzproblematiken innerhalb Europas gelöst werden könnten (Autonomie oder Nutzung der regionalen Zankäpfel als kulturelle Brücken). Außerdem enthält sein Weltanschauungs-Roman Gilles (dt. Die Unzulänglichen) jene vielzitierte Stelle, an die man denken sollte, wenn Drieu und seinen Gesinnungsgenossen vorgeworfen wird, ihre Eidgenossenschaft hätte das Aufgehen der Völker in einem Einheitsbrei bedeutet: „Was war Europa, wie sollte es werden? Verschiedene Mächte müssen miteinander verbunden werden, ohne dabei eine zu verletzen, jede muß respektiert und ihr Eigenleben muß erhalten bleiben.“ii Und bei Oswald Mosley ist zu lesen, daß seine „Nation Europa“ geradewegs das Ziel besäße, „die europäischen Völker vor der allgemeinen Nivellierung“iii zu bewahren. Lesern, die Angst vor dem Ende der europäischen Völker haben, wenn sie sich zu einem Verbund zusammenschließen, versucht der britische Denker zu entgegnen, daß die europäische Einigung keinem Volk die Eigenheit nähme – schließlich wurde aus einem Schotten trotz Großbritannien kein Engländer, und ein Bayer bleibt trotz Deutschland ein Bayer.iv


Paneuropa: „Schmelztiegel“ oder „sozialistischer“ Staatenbund?

Nicht also Drieu und Mosley, deren Ideen Stein für das 21. Jahrhundert neu prüfen (nicht: eins zu eins übernehmen) möchte, sondern der von Albert Pethö (NO 4/14) angeführte Richard Coudenhove-Kalergi steht bisweilen für Paneuropa als Melting pot. Was die beiden mit Coudenhove-Kalergi gemein hatten, war das Streben nach einem einigen Europa, das Minderheitenprobleme, kommunistische Expansionsgefahr und amerikanische Hegemonie bewältigen kann. Auch die zeitweilige Bewunderung für Benito Mussolinis Italien und die Ablehnung einer Weltsicht, die auf sozialdarwinistischem Rassen-Biologismus im Sinne Hitlers und Himmlers aufbaute, einte sie. Andere Punkte, etwa Coudenhove-Kalergis Inzuchtsthese („Inzucht stärkt den Charakter“), die Zukunftsvision (Entstehen einer „eurasisch-negroiden Zukunftsrasse“)v oder der eigenwillige Philosemitismus (Juden als „Aristokraten des Geistes“ seien die neue „Führungsrasse“ in Europa) schieden die Weltanschauung der Eurofaschisten weit von jener des österreichisch-japanischen Schriftstellers. Einschränkend gilt es dabei darauf hinzuweisen, daß solcherlei exzentrische Auffassungen zu keinem Zeitpunkt der Generallinie der Paneuropa-Union entsprachen: Liest man eine programmatische Schrift der Paneuropäer aus den 1930er Jahrenvi, so wird man vielfach auf frappierend ähnlich formulierte Analysen und Zielsetzungen stoßen, die auf eine geistige Nähe – beileibe keine Kongruenz – zwischen den eurorechten Theoretikern und den Paneuropäern speziell in der Zwischenkriegszeit schließen lassen.


Das, was indes Pethö in der „Neuen Ordnung“ über die verschiedenen Essenzen der Universalismen darlegt, und vor allem das, was er über die Bewahrung der nationalen Identitäten der im Habsburgerreich vertretenen Völkerschaften schreibt, ist nicht nur zutreffend, sondern schwebte auch Drieu et al. in ihren Zukunftsbildern Europas vor. Die folgende Fundamentalkritik der EU durch Pethö, der das Einebnen lokaler Eigenheiten und die Zersetzung nationaler Traditionen mit Recht als „Vernichtung des kulturellen Reichtums unseres Kontinentes“ bezeichnet, trifft folglich das realexistierende Brüsseler Konstrukt – nicht jedoch die idealtypischen, deshalb bisweilen auch utopisch anmutenden Überlegungen Drieus und Mosleys (Dayes, Streels etc.).

Die entscheidende Trennlinie wird hingegen ohne Zweifel von der Stellung zum Sozialismus verkörpert. Während die Paneuropa-Bewegung damals wie heute auch ihre genuin liberale Tradition pflegt, vertraten die von Stein angeführten Polittheoretiker und all jene Ungenannten, die ähnliche Überzeugungen publizierten, das Leitbild eines nichtmaterialistischen, antimarxistischen wie antiliberalen Sozialismus bei Ausschaltung kapitalistischer Auswüchse und bei Beibehaltung marktwirtschaftlicher Grundlagen (Mischwirtschaft). Zwar sprach ein geistiger Weggefährte Drieus, der Rexist Pierre Daye, vom „historischen Werk Paneuropa“. Indes meinte der Belgier nicht die Coudenhovsche Variante, sondern verknüpfte den föderalen Staatenbund (!) Paneuropa mit einem dezidiert „faschistischen“ Sozialismus. Der Begriff taucht auch bei Drieu auf: in der Textsammlung Socialisme fasciste spricht er im obigen Sinne deutlich aus, daß ihr Sozialismus ein „nicht-marxistischer“vii, ein „reformistischer“viii ist. Als primäre Triebfeder nennt er das Verlangen nach einer sozialen Revolution und der Überwindung nationalstaatlicher Kapitalismen. Die auf Basis eines bewußten Europäertums vollzogene Synthese aus sozialistischen und nationalistischen Ideen verkörpere sein Ansinnen, „linke Politik mit rechten Menschen“ix zu betreiben. Der faschistische Sozialismus soll revolutionieren und gleichwohl am Bestand der Tradition anknüpfenx – das ist einerseits Konservative Revolution und nimmt andererseits um Jahrzehnte die (in der Neuen Ordnung bereits kursorisch umrissenexi) Definition Zeev Sternhells vorweg, wonach der Faschismus (im Gegensatz zum biologistischen Nationalsozialismus) eine revolutionäre Synthese eines nichtmaterialistischen, antimarxistischen Sozialismus und eines als „organisch“ verstandenen Nationalismus zu betrachten sei. Als Integrationsideologie war er weder rechts noch links und richtete sich gegen Kommunismus, Liberalismus und Kapitalismus.xii Man könnte heute höchstens mit Alain de Benoist ergänzen: er war sowohl rechts als auch links.


Realismus tut not

Damit indes betritt man Terrain, das zu speziell faschismustheoretisch und, allgemeiner gefaßt, ideenhistorisch ist. Es war nichtsdestoweniger nötig, eine Skizze der Weltanschauung der von Philip Stein angeführten Köpfe zu bieten, um zu sehen, daß die Inhalte vielleicht auf partielle Zustimmung, vielleicht auf schärfste Gegenrede stoßen – daß sie aber in jedem Fall nicht mehr und nicht weniger zeitgebunden und von den Entwicklungen überholt sind als alle staatspolitischen Konzeptionen von liberalen, konservativen und kommunistischen Autoren vergangener Epochen, die in der Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt ihr Werk entwickelten und trotzdem heute vielfach zitierbar bleiben.

Politischer Erfolg ist niemals zu erzielen, indem man versucht, ein vergangenes historisches Zeitalter zu imitieren oder dessen Ideen Jahre nach ihrer Formulierung noch für bare Münze zu nehmen. Will man in der Gegenwart Alternativen beschreiben, die nicht dem Mainstream vorgefertigter Meinungen entsprechen, so wäre es gewiß der größte Fehler, sich eine eigene Realität zu schaffen. Die politische Rechte mag sozial geächtet und gesellschaftlich marginalisiert sein; sie muß aber nicht durch Nostalgie und ideologisches Sektierertum dazu beitragen.

Dessenungeachtet gibt es jedoch keinen Grund, der politisch denkenden konservativen Jugend zu verwehren, undogmatisch zu prüfen, welche ideenpolitische Äußerungen verschiedener Vordenker durch eine Aktualisierung an die zeithistorischen Umstände aufs neue relevant werden könnten. Es gibt innerhalb der europäischen Rechten solche Kontinuitätslinien, gerade im Europa-Diskurs („Wir vergessen oft, dass der europäische Gedanke ursprünglich eine rechte Idee war“xiii), deren Preisgabe nicht ratsam ist, auch wenn einzelne Vertreter dieser Auffassungen – gewiß nicht alle – „im Wüten der Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts“ (Sergej Lochthofen) ihren Platz suchten und ihn nicht beim liberalen Kapitalismus, nicht beim totalitären Kommunismus, sondern ausgerechnet beim autoritären Faschismus fanden bzw. versuchten, auf eine künftige Positivveränderung eines solchen hinzuarbeiten.xiv Die größte dieser Kontinuitätslinien ist die Nennung einer dreifachen Zugehörigkeit eines Europäers.


Dreifache Zugehörigkeit: Region, Nation, Europa

Wiederholt stößt man in konservativen und rechten Ausführungen auf die sowohl dem Nationalstaat als auch dem zentralistischen Einheitsstaat Europa widersprechende dreifache Zugehörigkeit zur Heimatregion, zur Nation, zu Europa als übergeordnetem Prinzip. Es verwundert nicht, daß der stolze Normanne Drieu diesen Dreischritt guthieß, daß seine Partei PPF die Trias „Region, Nation, Europa“ als erste politische Formation überhaupt zum Programm erhob. Man findet ihn wieder bei Mosley, der drei Regierungsebenen in einem anzustrebenden vereinigten Europa festlegt: der Aufbau Europas erfolge von unten nach oben, von einer regionalen zu einer nationalen und weiter zu einer gesamteuropäischen Regierung.xv So werde die gerade in Europa oft starke regionale Identität nicht durch einen Nationalstaat oder einen europäischen Gesamtstaat nivelliert, sondern könne sich innerhalb ihrer Sphäre frei entfalten. Grenzkonflikte sind in dieser Vorstellungswelt nicht von Belang, da es durchaus naheliegend sein kann, daß eine Region nicht eindeutig einer Nation zugehörig scheint, aber ganz ohne Zweifel europäisch ist. Mosley denkt hierbei vor allem an die irische Frage, die ihn als Briten besonders marterte. Der deutschsprachige Leser wähle sich wahlweise das Beispiel Elsaß, das seine charakteristische kulturelle Identität gerade aus der jahrhundertealten Brückenfunktion zwischen zwei großen Nationen zog, oder er blicke nach Ost-Oberschlesien, wo heute eine Autonomiebewegung auf die deutsch-polnische Verquickung und die eigene schlesische Identität hinweist. Weitere Beispiele gibt es von Spanien bis Finnland, von Grönland bis Rumänien.

Später tauchen solcherlei Gedanken ident oder in ähnlicher Form wieder auf, so bei Andreas Mölzer. Der Europapolitiker der Freiheitlichen schreibt Mitte der 1990er Jahre: „Ein geeintes Europa wird nur als föderatives Europa Bestand haben […] Nur ein föderatives, in manchen Regionen die vorhandenen Staaten auflockerndes Europa ist nach den bisherigen historischen Entwicklungen als ein Europa der Zukunft denkbar.“xvi Mölzer gibt in der Folge ein konzise Schau der verschiedenen Regionalismus-Konzeptionen (ethnisch, geopolitisch, ökonomisch) und weist darauf hin, daß in einem gemeinsamen Haus Europa „nationalstaatliche Grenzen und Souveränitätsansprüche in hohem Maße relativiert werden.“xvii Freilich denkt er dabei nicht an die Brüsseler Fehlkonstruktion, denn er betont, daß zur Bewahrung von nationaler Identität die Erfahrung von Heimat gehöre, die zuallererst vor Ort verspürt wird. Die Brücke muß geschlagen werden zwischen der „kleinräumigen Heimatregion und dem großen, sich integrierenden Gesamtkontinent“, denn: „Die Nähe der Regionen und Nationen zueinander schafft das Bewußtsein gemeinsamer Wurzeln und gibt Hoffnung für eine gemeinsame europäische Zukunft.“xviii

Nach den Theoretikern (Drieu, Mosley) und den Politikern (Mölzer) kann man auch bei Praktikern der Jugendbewegungen unserer Tage dieses Bild der dreifachen Zugehörigkeit feststellen. Bei der postnationalistischen „Identitären Bewegung“, vor allem in ihrem Stammland Frankreich, zählt die „triple appartenance“ Region–Nation–Europa zu den unumstrittenen Grundpfeilern der Weltanschauungxix, um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, für das das Mutterland Europa nicht als Vorstufe zur „One World“, sondern (neben Region und Nation/Vaterland) als eine weitere Barriere gegen eine solche fungiert.

Man sieht also, daß eine „Reise in eine vergangene Vergangenheit“ nicht zwangsläufig vertaner Liebesmühe gleichkommt; manchmal kann eine Reise aufschlußreich sein und man findet ideelle Anknüpfungspunkte, die, aktualisiert und um ideologische Unzulänglichkeiten bereinigt, für Debatten von morgen rüsten. Europa ist zu vielfältig, zu reich an Regionen, Kulturen und Völkern, um es der großen Gleichschaltung zu überlassen: „Denn das Leben ist deshalb einzigartig, weil es nicht gleichförmig ist, und die Voraussetzung jeder Freiheit ist die Nichteinförmigkeit, also die Vielfalt.“xx Diese tatsächliche Vielfalt, die sich von der propagandistischen „diversity“ offiziöser EU-Politik erheblich unterscheidet, wie nicht zuletzt Martin Lichtmesz immer wieder analysiertxxi, muß für eine europäische Zukunft erhalten bleiben. Der klassische Nationalstaat als Schutzmacht ist eine Option – er ist nicht die einzige.

 

 

Fußnoten:

i Vgl. Pierre Drieu la Rochelle: France, Angleterre, Allemagne, in: „Deutschland–Frankreich“ 1 (1943), Nr. 3, S. 34 ff.

ii Ders.: Die Unzulänglichen, Berlin 1966, S. 473. Drieus Europabild zusammengefaßt: B. Kaiser: Eurofaschismus und bürgerliche Dekadenz, Kiel 2011, S. 121–135.

iii O. Mosley: Ich glaube an Europa. Ein Weg aus der Krise – Eine Einführung in das europäische Denken, Lippoldsberg 1962, S. 9.

iv Vgl. ebd., S. 10. Zu M. muß ergänzend gesagt werden, daß er spätestens ab 1948 die Nation Europa wollte. Im Gegensatz zum einer europäischen Konföderation aufgeschlossenen Drieu sah Mosley solcherlei Zwischenstufen als Einfallstor für klassische Konflikte an nationalen Scheidelinien. Vgl. insb. Mosley: Rettung des Abendlandes, 2. Aufl., London 1950, S. 2 f., ders.: Die europäische Revolution, London 1950.

v Vgl. dazu Dominik Schwarzenberger: „Paneuropa und totaler Mensch. Das politische Denken Richard Coudenhove-Kalergis, München 2006, S. 29 u. 34.

vi R. Coudenhove-Kalergi: Paneuropa-ABC, Wien 1931.

vii P. Drieu la Rochelle: Socialisme fasciste, Paris 1934, S. 205.

viii Ebd., S. 232.

ix Ebd., S. 235.

x Vgl. ebd.

xi Vgl. B. Kaiser: Faschismus universal, in: Neue Ordnung 2/14, S. 29–35, hier: 29.

xii Vgl. Z. Sternhell: Faschistische Ideologie. Eine Einführung, Berlin 2002; ders. (Hrsg.): Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini. Hamburg 1999.

xiii Tony Judt/Timothy Snyder: Nachdenken über das 20. Jahrhundert, München 2013, S. 187.

xiv Mehr noch als auf der Rechten kokettierten auf der antifaschistischen Linken intellektuelle Persönlichkeiten mit einem Unrechtsstaat, in ihrem Fall mit der stalinistischen Sowjetunion. J. P. Sartre, L. Feuchtwanger, W. Benjamin, E. Bloch, H. Mann oder auch J. Mitford dürften prominente Beispiele einer solchen mésalliance sein, ohne aber dafür im 21. Jahrhundert der Generalächtung ausgeliefert zu werden – im Unterschied zu ihren rechten Gegenspielern, die samt ideenpolitischem Vermächtnis dem Vergessen anheimfallen sollen.

xv Vgl. O. Mosley: Last Words. Broadsheets 1970–1980, London 2012, S. 109, 145, 158 f.

xvi A. Mölzer: Europa der Heimaten. Illusion und Wirklichkeit, in: Deutsche Annalen 23 (1994), Berg 1994, S. 167–176, hier: 170.

xvii Ebd., S. 175.

xviii Ebd., S. 176.

xix Dies wird in Communiqués und bei Kundgebungen etc. recht deutlich. Aber auch in einem programmatischen Gesprächs- und Theorieheft ist diese „dreifache Zugehörigkeit“ ein zentraler Aspekt, vgl. Orientations Identitaires: Vers un post-nationalisme? Entretiens sur la question européenne, Numéro 1, o. O. 2011, insb. S. 5–8.

xx Milovan Djilas: Die unvollkommene Gesellschaft. Jenseits der ‚neuen Klasse‘, Wien 1969, S. 246.

xxi Vgl. u. a. zahlreiche Beiträge auf „Sezession im Netz“ (www.sezession.de).

 
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