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Carl Schmitts „Politische Romantik“ neu gelesen

Von Univ.-Prof. Dr. Paul Gottfried

Frühwerk mit Schwächen

Dem sogenannten romantischen Konservatismus begegnet Carl Schmitt in seiner „Politischen Romantik“ (1919) mit einigem Vorbehalt und stellenweise sogar mit Hohn. Der Text gibt jedoch zu gewissen Fragen Anlaß. Warum bricht Schmitt darin einen Streit mit Leitfiguren des klassischen Konservatismus wie Adam Müller und Friedrich Schlegel vom Zaun? Und wozu sein Versuch, die ausgeprägte romantische Einbildungskraft, die Schmitt seinen Subjekten zuschreibt, auf den gelehrten französischen Theologen des siebzehnten Jahrhunderts, Nicolas Malebranche, zurückzuführen? Schmitt wendet den von Malebranche entlehnten Begriff gezielt an, um Müller und Schlegel in negativem Licht erscheinen zu lassen.

Mit einer Erkenntnislehre, die Malebranche als „Occasionalismus“ bezeichnet, versucht er keineswegs, den Inhalt der menschlichen Wahrnehmung als eine Aneinanderreihung von göttlichen Offenbarungen darzustellen. Vielmehr geht es Malebranche darum, die sinnliche Anschauung auf eine göttliche Ursache (res efficiens) zurückzuführen. Die Wahrnehmung entspringt demnach einer göttlichen Handlung oder ist unmittelbar darauf angewiesen.
Man muß ebenso anerkennen, daß dem Kosmos von Malebranche eine eiserne Regelmäßigkeit zugrunde liegt. Schmitt merkt an, daß in diesem Denken „der persönliche Gott in eine allgemeine Naturordnung verwandelt (ist), in einen ordre en général“. Malebranches schwer zu fassende Lehre läuft auf die „Auflösung der Aktivität Gottes in eine allgemeine Harmonie“ hinaus. Wenn dem aber so ist, dann stimmte es beim besten Willen nicht, daß der französische Theologe der Willkür der romantischen Schöpfungskraft Tür und Tor öffnet. Es besteht ein klarer Widerspruch zwischen Malebranches streng ausgerichteter Naturordnung und dem, was Schmitt den Romantikern nachsagt.
Schmitt beschuldigte die Romantik einer folgenschweren Verschiebung, die von Malebranche bestimmt nicht behauptet werden kann, nämlich der Ersetzung der göttlichen Wissensquelle durch eine „Verabsolutierung des Ästhetischen“: „eine Verabsolutierung der Kunst wird proklamiert, eine Universalkunst gefordert und alles Geistige, Religion, Kirche, Nation, fließt in den Strom, der von dem neuen Zentrum, dem Ästhetischen, ausgeht.“ Dieses Projekt stimmt mit der Zielsetzung des französischen Augustiners und Nachfolgers von Descartes, den Schmitt für sein Romantikbild heranzieht, schwerlich überein. Malebranche war kein Spinner, wie die von Schmitt gezeichneten Romantiker, sondern ein genauer Zergliederer des Erkenntnisvorgangs. Die Welt als Vorstellung hat er niemals als Anlaß zur Träumerei begriffen oder mit willkürlichen Ansprüchen auf göttliche Erbauung gleichgesetzt. Der wahrgenommenen Außenwelt verschafft er Geltung im Sinne einer Reihe durch Gottes Vermittlung ermöglichter Sinneseindrücke.

Kampagne gegen die Romantik

In seiner 1923 erschienenen Schrift „Politische Theologie“ äußert sich Schmitt erstaunlich positiv zur Tendenz der katholischen Länder, das Übernatürliche mit der Obrigkeit zu verbinden. Im Gegensatz zu allen Protestanten neigen die Katholiken der Auffassung zu, daß eine gute Regierung nicht auf bestimmte Gesetze und Normen oder auf ein kontrolliertes Staatswesen reduzierbar sei. Wie beim Eingreifen von Wundertätern und Heiligen aus dem Jenseits sind die Wechselfälle des politischen Lebens aus katholischer Sicht einer göttlich durchstimmten Natur durchaus ähnlich. In beiden Bereichen muß der Gläubige dem Wunderbaren und Unerwarteten Rechnung tragen.
In der Politik muß man demzufolge den Ausnahmezustand nicht als eine bloße Unterbrechung der Regel ansehen, sondern als Ausdruck eines wandelbaren und nie ganz voraussagbaren menschlichen Schicksals. Mit seiner These über den Ausnahmezustand und die Befugnis zur Entscheidung bezieht sich Schmitt auf die Einbildungskraft im katholischen Sinne. Obwohl nicht ganz deckungsgleich, weist die richtig definierte katholische Einstellung zur monarchistischen Obrigkeit mit der Gewohnheit der romantischen Konservativen, überall eine übernatürliche Offenbarung zu entdecken, deutliche Überschneidungen auf. Schmitt neigt ohnehin einer politiktheoretischen Vorstellung zu, die das Metarationale in eine Verteidigung der hergebrachten monarchistischen Staatsform eingliedert. Hier aber kann Schmitt kontern, daß er sich nicht gegen die Verflechtung des Wunderbaren mit einer Naturordnung wendet, sondern vielmehr gegen einen verschwommenen Selbstwert und die Verabsolutierung des Ästhetischen.
Die „Politische Romantik“ ist für eine Gattung bezeichnend, die schon vor dem Erscheinen dieser Arbeit weithin bekannt war. Der angestellte Vergleich von Malebranche mit den deutschen Romantikern und die Untersuchung von bestimmten Romantikern als Beispiel für die romantische Stimmungslage lassen Schmitts Beitrag als Teil einer ganzen Kampagne gegen die Romantik erscheinen. Als Wegbereiter dieser Kampfliteratur gilt „Le mal romantique: L’impérialisme de l’irrationel“, eine Schrift, die der französische rechtskonservative Literat Ernest Seillière 1908 herausbrachte, und die bald darauf für antideutsche Nationalisten in Frankreich zum Schlachtruf wurde. (Entsprechend beginnt Schmitt mit einem anerkennenden Verweis auf den französischen Gewährsmann.) Charles Maurras, die Leitfigur der „Action Française“, thematisierte denselben Gedanken in seinen literatur- und zeitkritischen Essays. Maurras, den Schmitt ebenfalls wohlwollend erwähnt, brachte die romantische Verträumtheit mit der mangelnden Willenskraft seiner Nation in Verbindung. Die organisatorische Zucht und kollektive Lebenskraft, die die Franzosen in einer monarchistischen Staatsform hätten aufbringen können, ging demnach an der Niederlage von 1871, an der Schwäche einer alles verderbenden republikanischen Staatsform und nicht zuletzt an der Weltfremdheit und der Ausschweifung des romantischen Kunstschaffens zugrunde.

Schmitt übernimmt antideutsche Haltung

Der Bezug dieser antiromantischen Kritik auf die Dekadenzlehre und die vom romantischen Individualismus betroffene Nation erweckte bei den Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg einen unverkennbaren Nachhall. In den Schriften Ernst Jüngers und bei anderen konservativen Revolutionären findet man positive Hinweise auf die antidemokratischen und antibürgerlichen Vertreter der französischen Rechten in der Dritten Republik.
Kaum wahrgenommen werden hingegen die affektgeladene Hetze der französischen Nationalisten gegen alles Deutsche sowie ihre Forderung nach Wiedererstattung der „beiden den Franzosen entrissenen Provinzen Elsaß und Lothringen“ als Rache für die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Was haften bleibt, ist nur die Verachtung für eine Regierung und Kultur, der es an einer echten Führung fehlt, und der Groll der französischen Rechtsnationalisten gegen die massendemokratische Einstellung, die einer Wiederauferstehung der Nation im Weg steht. Zum Ideengerüst der deutschen Bewunderer dieser französischen Literaten gehört nicht notwendigerweise die Ablehnung einer romantischen Gesinnung, doch erscheint sie als befremdliches Anhängsel.
Ein ähnliches Stahlgewitter prasselte gleichzeitig in England und in den USA auf den romantischen Denkstil herunter. Im Bann der französischen Literaturkritiker, die während der Dritten Republik von der Rechten kamen, brachen der Harvard Literaturwissenschaftler Irving Babbitt und sein ehemaliger Student in England, der renommierte Dichter T. S. Eliot, eine Lanze für den Klassizismus. Parallel dazu nahm Babbitt die „romantische Abirrung“ in Literatur und Politik aufs Korn, die er auf eine verzerrte Menschenliebe und die Mitleidsethik bei Jean-Jacques Rousseau zurückführte. Im Gegensatz zu den französischen Vorbildern (allen voran Seillière) befaßte Babbitt sich in einflußreichen Studien wie „Rousseau and Romanticism“ (1919) weniger mit dem „mal allemand“ als mit den französischen Wurzeln des Übels. In Babbitts späteren Schriften wie „Democracy and Leadership“ (1924) treten die aus der romantischen Empfindung hervorgehenden humanitären Folgen als politisches Grundübel hervor.

Klassizismus und Katholizismus gehören zusammen

Bei seiner Kritik der damals um sich greifenden Humanitäts-Rhetorik richtete sich Babbitt gegen den Wohlfahrtsstaat mit seinen lockenden und trügerischen Versprechungen von Massenwohlstand durch die Einsetzung einer Umverteilungs-Bürokratie. Babbitt bestreitet die Voraussetzung, daß die Beamten sozial eingestellt seien, und hält ihnen eine libido dominandi vor, die Ehrgeiz mit Selbstlosigkeit verwechselt. Beachtenswert ist, daß sowohl die „Politische Romantik“ wie auch „Rousseau and Romanticism“ im Nachkriegsjahr erschienen sind. Das ist kein Zufall.
In diesen Zusammenhang gehört auch der katholische Vorstoß gegen die romantische Zeitstimmung. Abgesehen von Babbitt, dem Vollblut-Yankee aus dem amerikanischen Mittelwesten, entstammten die ausgesprochenen Gegner der Romantik einem katholischen Umkreis. Parallel zur Verdrängung der romantischen theologischen Richtung mit pantheistischem Einschlag durch eine neothomistische Orientierung beginnt auch im weiteren Umfeld des katholischen Denkens eine Offensive gegen jede romantische Denkweise oder „Gefühlsethik“.
Das Gegenstück zur neothomistischen Theologie soll im Klassizismus Ausdruck finden. Der Sprachkünstler Eliot und der Südstaaten-Dichter und Essayist Allen Tate erklärten sich für den Dreiklang von Katholizismus oder Anglo-Katholizismus, Klassizismus und politischem Konservatismus. Beide machten die Romantik für Gefühlsduselei und das „Getöse und Getümmel“ der künstlerischen Formlosigkeit verantwortlich. Sie brachten ihren Lesern nahe, daß theologische Orthodoxie und klassische Form zusammengehören. Zu einem durchdachten Konservatismus gehöre vorrangig die Antiromantik.

Gegen die Ästhetisierung der Politik

Als Schmitt seine „Politische Romantik“ verfaßte, war er mit den Angelegenheiten der katholischen Kirche in Deutschland bereits vielfach verflochten. Als Kirchgänger, Sachverständiger über Kanonisches sowie Römisches Recht und dann in den 1920er Jahren als Berater in Verfassungsfragen bei der Zentrumspartei, gestaltete sich sein Verhältnis zum Katholizismus damals weitgefächert. 1923 brachte Schmitt sein Büchlein „Römischer Katholizismus und politische Form“ heraus, worin versucht wird, den katholischen Geist mit einem besonderen Obrigkeitsverständnis zu verknüpfen.
Wesentlich dafür war die Auffassung von Repräsentation im Sinne der Besetzung kirchlicher Ämter von führenden Persönlichkeiten, die sich nicht auf eine schwankende Wählerschaft stützen.se Representatio wird als göttlich gegebener Auftrag angesehen und der Beauftragte als Instrument, der eine heilige Verantwortlichkeit übernimmt. Darüber hinaus schätzt Schmitt die Kirche wegen ihres Vermögens, das Irdische und das Geistliche in einer Complexio Oppositorum zu vereinen. Dabei wird die kirchliche Hierarchie und Dogmenlehre als ein fest verwurzeltes und gegliedertes Ganzes aufgefaßt. Es ist ein einzigartiger Zug im Katholizismus, zwischen Jenseitigkeit und Diesseitigkeit ständig zu vermitteln und beide dauerhaft zu verweben.
Ein roter Faden zieht sich von der „Politischen Romantik“ zu dem vier Jahre später erschienenen Text über die katholische Hierarchienlehre. In beiden Schriften geht es Schmitt darum, richtige und falsche Begriffe von Obrigkeit zu unterscheiden. In keiner der beiden Schriften zielt der Verfasser auf die Gestaltung einer parlamentarischen Mehrheit oder auf Abstimmungsmehrheiten. Die Berechtigung zu herrschen, wird von oben nach unten verteilt. Auctoritas soll jenseits eines wankelmütigen Volkswillens als eine Art Gottesgnade an die jeweiligen Untertanen übergehen.
Es komme nur darauf an, das Wesen der Obrigkeit sachgerecht zu erfassen; die politischen Romantiker waren diesem Auftrag jedoch nicht gewachsen. Sie glaubten zu sehr an „eine neue Kunst, ohne die Verpflichtung zur großen und strengen Form“ und verwechselten eine weder Maß noch Ziel kennende Ästhetik mit Politik: „Weder religiöse noch moralische noch politische Entscheidungen noch wissenschaftliche Begriffe sind im Bereiche des Nur-Ästhetischen möglich.“ Die Folgen kennzeichnet Schmitt dahingehend: „Wohl aber können alle sachlichen Gegensätze und Unterschiede, Gut und Böse, Freund und Feind, Christ und Antichrist, zu ästhetischen Kontrasten und zu Mitteln der Intrige eines Romans werden und sich ästhetisch in die Gesamtwirkung eines Kunstwerks einfügen.“

Eindeutig auf der Seite Metternichs

Das Werk bietet die bekannte Kombination von Kirchlichkeit und Klassizismus, wie sie im einführenden Kapitel herausgearbeitet ist. Die Romantik bedeutet demnach eine „Aufsässigkeit“, die sich unter anderem im protestantischen Abfall von Rom zeigt. Das „Andere“, das der romantische Künstler als „höchste Instanz und maßgebenden Faktor“ „an Stelle Gottes“ rangieren läßt, ist schließlich nur „das einzelne Subjekt“: „Romantik ist subjektivierter Occasionalismus, d. h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlaß und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität.“ Im nächsten Kapitel rühmt Schmitt den Literaten und Staatsbeamten Friedrich von Gentz, wie sein Vorgesetzter Metternich ein Bewunderer des klassischen Denkstils.
Er behauptet aber, daß Gentz kurz vor seinem Tod unter dem Einfluß des Romantikers Adam Müller in eine fragwürdige Stimmung abglitt. So klingt es jedenfalls in einem Brief von Metternich. Nach einer Reihe von scharfen Verurteilungen gegen Ehrgeiz und Intrigenspiel seines Prügelknaben Adam Müller schließt Schmitt seine Erläuterung zum Subjekt mit einer Schilderung von Müllers Wendung zum Katholizismus: Obwohl Müller „der eifrige Diener eines beliebigen Systems“ gewesen sei, immer bereit, „den Teil seiner Ideen, der einem ungehinderten Funktionieren im Wege stehen konnte, beiseite zu stellen und den anderen zu assimilieren“, bekundete er später Zeichen einer wahren Konversion. „Aber die katholische Kirche erwies sich hier als der Felsen, an dem die romantische Eitelkeit, die alles über sein wahres Wesen belehren will, zerbrach. Nach dem napoleonischen Krieg trat in Deutschland die starke religiöse Bewegung auf, die viele Katholiken und Protestanten wieder zu einem frommen und bewußten Christentum führte.“ Damit die Stoßrichtung niemandem entgeht, setzt Schmitt noch hinzu: „Der Katholizismus ist nichts Romantisches. Sooft die katholische Kirche das Objekt romantischen Interesses war und sooft sie auch romantische Tendenzen in ihren Dienst zu stellen wußte, sie selbst ist nie, sowenig wie irgendeine andere Weltmacht, Subjekt und Träger einer Romantik gewesen.“

Bis hin zu persönlichen Invektiven

Schmitt sorgt dafür, daß der Leser seine gezielte Kritik an der politischen Romantik keineswegs mißversteht. Er will die Gegenrevolutionäre des frühen neunzehnten Jahrhunderts damit verschonen. Im Gegenteil: Schmitt befleißigt sich der Aufgabe, Joseph de Maistre, Louis Gabriel Vicomte de Bonald, Prinz von Metternich und im Ansatz auch Müllers Gönner Friedrich Gentz von seiner Verurteilung der politischen Romantik auszunehmen. Er kennzeichnet diese Gestalten als vorbildlich für einen aus dem achtzehnten Jahrhundert überlieferten Klassizismus. Schmitt stellt fest, daß konservative Staatsdenker wie Edmund Burke und Friedrich Stahl eine geschichtlich angelegte Verteidigung der Staatsformen und verbrieften Rechte erneuern, ohne dem „romantischen Subjektivismus“ und der Irrationalität zu verfallen. Auf zwei Zielscheiben konzentriert sich der Großteil seiner Romantik-Kritik, nämlich auf Adam Müller und Friedrich Schlegel. Der Tadel ist sowohl auf persönliche und berufliche wie weltanschauliche Punkte gerichtet.
Weshalb aber sollen Schlegels Schlemmerei und Dickleibigkeit oder Müllers Untugend, einem Gastfreund die Frau auszuspannen, als Zeugnis gegen eine Ästhetisierung der Politik oder eine überschwängliche Einbildungskraft dienen können? Wäre es nicht passender, solche biographischen Einzelheiten bei der philosophischen Beurteilung beiseite zu lassen? Der diplomatisch gewandte Metternich hatte bedeutend mehr Seitensprünge auf dem Konto als ein Adam Müller. Kaum zu reden von Carl Schmitts eigenen Obsessionen, die seine Leistungen als Staatsdenker nicht im geringsten schmälern.

Romantik ist selbst konservativ

Genauso merkwürdig ist Schmitts Verfahren, eine Menge von Charakteristika aufzuzählen, die der Romantik eignen, um dann seine bevorzugten herauszusuchen. Warum soll nur seine eigene Auswahl romantischer Wesenszüge Gültigkeit haben und nicht eine andere oder sogar gegensätzliche? Warum sind alle Interpreten auf dem Holzweg, die die romantische Denkweise hauptsächlich mit dem Hüten des Hergebrachten und des Organischen gleichsetzen? Schlägt man in der entsprechenden Literatur nach, so kommt Schmitt ziemlich willkürlich auf seine Auswahlkriterien.
Ohne auf diese Fragen weiter einzugehen, genügt es wohl zu erwähnen, daß Schmitt mit seiner Kampfschrift als junger Gelehrter vor die Öffentlichkeit treten wollte. In dieser Lebensphase wurde er von einem lateinisch-katholischen Denken stark mitgeprägt, das sich in der „Politischen Romantik“ deutlich kundgibt. Die Arbeit dient ebenso als Brücke zu seinen späteren Beiträgen zur katholischen Politik, die ausführlich in sein Traktat „Römischer Katholizismus und Politische Form“ eingehen. Bei den Vertretern dieser Schule war es allgemein üblich, die Romantik, Rousseau und deutsche Idealisten wie Fichte nebeneinanderzustellen. Von diesem vorgefertigten Muster ist der junge Schmitt damals kaum abgewichen.

Romantiker gehören nicht zur „ewigen Linken“

Obwohl seine Ausführungen nichts Neues enthielten, gelang es Schmitt, eine Kontroverse zu entfachen. Zwar bietet der hochangesehene Ideengeschichtler Friedrich Meinecke in seinem Meisterwerk „Das Weltbürgertum und der Nationalstaat“ (1927) in der 7. Auflage im Zusammenhang mit Adam Müller nur einen spärlichen Verweis zu Schmitt, doch läßt das keine Verallgemeinerung zu. Der Wissenssoziologe Karl Mannheim, der in der Zeit zwischen den beiden Kriegen große Wirkung hatte, widmete der „Entwicklungsgeschichte des konservativen Denken, ausgehend von Adam Müller“ eine detaillierte Untersuchung. Durch seine einfühlsame Schilderung der konservativen Weltanschauung anhand der Schriften und Briefe von Müller versucht Mannheim, Schmitts Darstellung entgegenzuwirken. Mannheim verschweigt dabei nicht seine Neigung zu seinem Lieblingssubjekt – Müller, einem tiefsinnigen bürgerlichen Ausdeuter der adligen Gesinnung von diesem Gesichtspunkt her. Die gleiche Gegenposition zu Carl Schmitt, die im „Konservativen Denken“ zum Ausdruck kommt, ist in Mannheims Opus Magnum „Ideologie und Utopie“ weitergeführt und in den Stoff für eine der vier grundlegenden utopischen Weltansichten in dessen Spätwerk eingegangen.
Zur Ergänzung dieser Rezeption muß jedoch angemerkt werden: Die amerikanische alte Rechte beschäftigt sich schon lange mit Schmitts (Beinah-)Erstlingswerk in englischsprachiger Übersetzung. Neben den antiromantischen Schriften von Irving Babbitt empfiehlt man Schmitts „Erledigung der politischen Romantik“. Dabei überträgt man den „romantischen Geist“ bequem auf eine klischeehaft dargestellte Linke, die mit verschwommenen („romantischen“) Begriffen hantiere. Mit Romantik hat das aber gar nicht viel zu tun. Müller und Schlegel wollen keineswegs menschliche Ungleichheiten einebnen, sondern das hierarchische Prinzip zum Fundament einer wohlgegliederten Gesellschaft erheben. Im Gegensatz zu unseren engagierten Linken waren die Romantiker nicht bestrebt, das Örtliche und Partikularistische zu entwerten, sondern es in ihr Bild einer Idealgemeinschaft einzubauen.

US-Schmittianer lesen oberflächlich

In der „wertkonservativen“ amerikanischen Gedankenwelt bezieht man sich gern auf Schmitts Forderung nach Klassizismus und seine Verächtlichmachung des romantischen Umfelds. Doch genügt das nicht zur Klärung seines Standpunkts. Dem Zweigestirn von Klassizismus und Katholizismus fehlt das Dritte, nämlich Schmitts Obrigkeitslehre, die zur amerikanischen Kulturlandschaft paßt wie die Faust aufs Auge. Oft liest man die „Politische Romantik“ nicht von Anfang bis Ende. Schmitt legt bei den Amerikanern keine Ehre ein, wenn er Bonald, de Maistre und andere katholische Gegenrevolutionäre, die erst im zweiten Teil der Schrift („Die Struktur der romantischen Realität“) vorkommen, durchaus positiv beurteilt. Wer den Text von Schmitt ernstnimmt, muß feststellen, daß seine beschränkten Bewunderer nur hineinlesen, was ihnen ins Konzept paßt.
Überschäumenden Dank erringe ich mir auch nicht, wenn ich mitunter klarstelle, daß die besagte Schrift bei weitem nicht den besten Jahrgang aus Schmitts Weingut abgibt. Ich studiere das Jugendwerk, weil der spätere Schmitt mir zutiefst imponiert, und ich möchte wissen, aus welchen Ideenquellen seine tiefgründigen Abhandlungen gestiegen sind. Aussagekräftig für seine denkerische Weiterentwicklung ist die sympathisierende Behandlung der Gegenrevolutionäre.
Was in dieser Hinsicht des Zitierens würdig erscheint, ist die verdienstvolle Einschätzung von Schlegels „von der Stimmung der Restauration erfüllte(m) Aufsatz über die , Signatur des Zeitalters‘“. In seiner Auswertung dieses Klassikers der Restaurationsepoche findet Schmitt „einen beweiskräftigen Beleg und aus mehreren Gründen ein brauchbares Beispiel für den Unterschied zwischen politischer Romantik und gegenrevolutionärer Staatstheorie“. Aus seiner Analyse der aktuell politischen Haltungen von Schlegel erschließt sich, wie wenig Schmitts Romantik-Bild mit der Ausrichtung der heutigen Linken übereinstimmt. An Schlegel, Müller, Novalis und deren Umfeld kritisiert er ein Vermeiden von jeder eindeutigen politischen Haltung: „Die Romantik gebraucht das Wort , historisch‘ so gut wie das Christentum als Deckung für seine Passivität.“

Erste Vorzeichen von Schmitts Genialität

In ihrer schlechthinnigen Abneigung gegen das Handeln hoben die politischen Romantiker sich, so Schmitt, von Gegenrevolutionären wie dem streitbaren Bonald ab, die sich für die eigene Partei stark machten und nie zögerten, gegen „das willkürliche, unhistorische Experimentieren in politischen Dingen“ zu eifern. In der „Signatur des Zeitalters“ nimmt Schlegel von jeder Parteinahme bezüglich des Metternichschen Zentralstaates Abstand. Er scheut „die Ultras“, aber auch die Mitte will er nicht besetzen. Statt einer dezidierten Stellungnahme begegnet Schlegel dem Leser mit einer Flucht in die Mystik: „Nicht an den Enden und Extremen, und nicht in der Mitte liegt die Lösung des großen Problems, sondern einzig und allein in der Tiefe und der Höhe.“ Das bedächtige Ausweichen zur Mystik wirkt wie ein Schmerzmittel und hat mit der Härte einer wahrhaften Zeitkritik nichts gemeinsam.
Im Unterschied zu einer tatkräftigen Linken enthielten sich Schmitts Romantiker jeder brauchbaren Beurteilung der eigenen oder der vorausgegangenen Zeitepoche – geschweige denn einer Entscheidung, ins Weltgeschehen einzugreifen: „Konkret gesprochen bedeutet das: Revolution oder Restauration können in gleicher Weise romantisch genommen, d. h. zum Anlaß romantischen Interesses gemacht werden, und es ist falsch und irreführend, die Gedanken oder auch nur die Stimmungs- und Gefühlswelt des Legitimismus im besonderen Sinne als ,politische Romantik‘ zu bezeichnen. Ganz verschiedenartige, entgegengesetzte Vorgänge und Gestalten können vom romantischen Subjekt als Anfang des romantischen Romans betrachtet werden.“ Es ist schwer denkbar, daß diese weltferne Besinnlichkeit einen Brückenschlag zu unserer spätmodernen Linken abgeben könnte. Die meisten amerikanischen Schmitt-Interessenten mißdeuten den Sinn, in welchem Schmitt mit den Romantikern ins Gericht geht.
Am wenigsten beeindruckend (wenn das noch nicht klar ist) wirkt Schmitts Behandlung des „subjektiven Occasionalismus“. Schmitt verwendet Malebranches Lehre zweckentfremdend, um einen passenden Ursprungsort für die Romantik herzuzaubern. Seinem Zweck hätte es nicht im mindesten geschadet, wenn dieser Bezug ganz weggefallen wäre. Obwohl eine spürbare Genialität in der „Politischen Romantik“ durchklingt, befindet sie sich mit den späteren Meisterwerken wie „Der Begriff des Politischen“ und „Der Nomos der Erde“ keineswegs auf dem gleichen Niveau. Trotz hie und da eingestreuter luzider Betrachtungen verhält sich die Studie zum „Nomos“ wie Richard Wagners „Die Feen“ zum „Ring des Nibelungen“. Schon gar nicht ist die besondere Geistigkeit Schmitts aus seinem jugendlichen Angriff auf einige deutsche Romantiker zu verstehen. Damit verstellt man sich den Blick auf die dauerhafte Wirkung.

 
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